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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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die lebhaftesten Temperamente zerstört. Wenn ich
oft Klagen und Bemerkungen dieser Art äußere, so
kömmt dieß daher, daß mir viele Geschichten von
Krankheiten, die ich aus allen Ländern vor Augen
gehabt habe, beweisen, wie wenig noch die meisten
von denen, die die Arzneywissenschaft ausüben, auf-
merksam sind; und wie sehr sie die Gefahr verkennen,
die aus der Vernachläßigung der üblen Wirkung der
Reitzung auf die Nerven erwächst"*) In der Ab-
handlung von der Selbstbefleckung drückt er sich schon
ganz auf ähnliche Art aus: "Die durch die Selbstbe-
fleckung erzeugte Schwachheit verursacht bey der Wahl
der stärkenden Mittel eine Schwierigkeit, die bey an-
dern Fällen nicht vorkömmt, nämlich, daß man sich
aufs sorgfältigste vor allen den Mitteln hüten muß,
die, indem sie reitzen, den Stachel des Fleisches aufs
Neue reg machen können. In der Mechanik beleb-
ter Körper, die von der Einrichtung lebloser Maschi-
nen so sehr unterschieden, und nicht sonderlich an die
Regeln der letztern gebunden ist, hat das Gesetz statt,
daß, wenn sich die Bewegungen vermehren, diese
Vermehrung stärker in denjenigen Theilen vorgeht,
die dazu am besten geschickt sind. Dieß sind bey den
Selbstbefleckern die Zeugungstheile: Dort wird sich
also die Wirkung reitzender Mittel am ersten offenba-
ren, und die gefährlichen Folgen dieser Wirkung kön-
nen uns in Ansehung der anzuwendenden Mitteln nicht
behutsam genug machen." Dem nämlichen Gesetze
zu Folge wird jeder andere sehr reizbare Theil, oder

wo
*) Abhandl, ü. d. Nerven und deren Krankh. 2ter B. 2ter Th.
S. 595.

die lebhafteſten Temperamente zerſtoͤrt. Wenn ich
oft Klagen und Bemerkungen dieſer Art aͤußere, ſo
koͤmmt dieß daher, daß mir viele Geſchichten von
Krankheiten, die ich aus allen Laͤndern vor Augen
gehabt habe, beweiſen, wie wenig noch die meiſten
von denen, die die Arzneywiſſenſchaft ausuͤben, auf-
merkſam ſind; und wie ſehr ſie die Gefahr verkennen,
die aus der Vernachlaͤßigung der uͤblen Wirkung der
Reitzung auf die Nerven erwaͤchſt„*) In der Ab-
handlung von der Selbſtbefleckung druͤckt er ſich ſchon
ganz auf aͤhnliche Art aus: “Die durch die Selbſtbe-
fleckung erzeugte Schwachheit verurſacht bey der Wahl
der ſtaͤrkenden Mittel eine Schwierigkeit, die bey an-
dern Faͤllen nicht vorkoͤmmt, naͤmlich, daß man ſich
aufs ſorgfaͤltigſte vor allen den Mitteln huͤten muß,
die, indem ſie reitzen, den Stachel des Fleiſches aufs
Neue reg machen koͤnnen. In der Mechanik beleb-
ter Koͤrper, die von der Einrichtung lebloſer Maſchi-
nen ſo ſehr unterſchieden, und nicht ſonderlich an die
Regeln der letztern gebunden iſt, hat das Geſetz ſtatt,
daß, wenn ſich die Bewegungen vermehren, dieſe
Vermehrung ſtaͤrker in denjenigen Theilen vorgeht,
die dazu am beſten geſchickt ſind. Dieß ſind bey den
Selbſtbefleckern die Zeugungstheile: Dort wird ſich
alſo die Wirkung reitzender Mittel am erſten offenba-
ren, und die gefaͤhrlichen Folgen dieſer Wirkung koͤn-
nen uns in Anſehung der anzuwendenden Mitteln nicht
behutſam genug machen.„ Dem naͤmlichen Geſetze
zu Folge wird jeder andere ſehr reizbare Theil, oder

wo
*) Abhandl, uͤ. d. Nerven und deren Krankh. 2ter B. 2ter Th.
S. 595.
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[574/0593] die lebhafteſten Temperamente zerſtoͤrt. Wenn ich oft Klagen und Bemerkungen dieſer Art aͤußere, ſo koͤmmt dieß daher, daß mir viele Geſchichten von Krankheiten, die ich aus allen Laͤndern vor Augen gehabt habe, beweiſen, wie wenig noch die meiſten von denen, die die Arzneywiſſenſchaft ausuͤben, auf- merkſam ſind; und wie ſehr ſie die Gefahr verkennen, die aus der Vernachlaͤßigung der uͤblen Wirkung der Reitzung auf die Nerven erwaͤchſt„ *) In der Ab- handlung von der Selbſtbefleckung druͤckt er ſich ſchon ganz auf aͤhnliche Art aus: “Die durch die Selbſtbe- fleckung erzeugte Schwachheit verurſacht bey der Wahl der ſtaͤrkenden Mittel eine Schwierigkeit, die bey an- dern Faͤllen nicht vorkoͤmmt, naͤmlich, daß man ſich aufs ſorgfaͤltigſte vor allen den Mitteln huͤten muß, die, indem ſie reitzen, den Stachel des Fleiſches aufs Neue reg machen koͤnnen. In der Mechanik beleb- ter Koͤrper, die von der Einrichtung lebloſer Maſchi- nen ſo ſehr unterſchieden, und nicht ſonderlich an die Regeln der letztern gebunden iſt, hat das Geſetz ſtatt, daß, wenn ſich die Bewegungen vermehren, dieſe Vermehrung ſtaͤrker in denjenigen Theilen vorgeht, die dazu am beſten geſchickt ſind. Dieß ſind bey den Selbſtbefleckern die Zeugungstheile: Dort wird ſich alſo die Wirkung reitzender Mittel am erſten offenba- ren, und die gefaͤhrlichen Folgen dieſer Wirkung koͤn- nen uns in Anſehung der anzuwendenden Mitteln nicht behutſam genug machen.„ Dem naͤmlichen Geſetze zu Folge wird jeder andere ſehr reizbare Theil, oder wo *) Abhandl, uͤ. d. Nerven und deren Krankh. 2ter B. 2ter Th. S. 595.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/593>, abgerufen am 24.11.2024.