Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

nen glauben; daß er wiße, was die Natur in jeder
Stufe der Krankheit unter allen Umständen vermag
-- Freylich würde der, der dieses leistete, den wich-
sten Mängeln der Heilkunde abhelfen.

§. 59.

Aber die Leibesbeschaffenheit des Kranken, der
angegriffene Theil, und jede wesentlich verschiedene
Krankheit haben ihre Eigenheiten. In Faulfiebern z.
B. ist die Schwäche nicht eher auf ihrer höchsten Stu-
fe, als bis der Kranke nimmer auf der Seite liegen
kann, zu den Füßen herabschurrt; bis die Sinne
stumpf sind, das Getränke aus dem Munde fließet, und
der Schlund gelähmt zu seyn scheint. In der Lungen-
schwindsucht hingegen essen, trinken, sprechen, ste-
hen und gehen die Kranken manchmal noch einige Au-
genblicke vor dem Tode; die Stimme verliert sich
nicht allemal; ausser einer besondern Vergessenheit und
einem ganz leichten Irreseyn, welche kurz vor dem
Tode zuweilen anwandeln, bleiben die Verrichtungen
der Sinne und der Denkkraft zum Erstaunen stand-
haft. -- Aderlassen verursachen manchen eine solche
Entkräftung, daß Ohnmachten und Zuckungen entste-
hen; andern wiederfährt dieses auf starke Leibesöff-
nungen, auf Klystiren, auf Samenergießungen. Eben
so wird in den verschiedenen Arten des Scharbockes
die Blödigkeit endlich so groß, daß der Kranke bey
dem geringsten Anlaße, bey der unbeträchtlichsten Be-
wegung, ja zuweilen bey dem bloßen Aufrechtsitzen in
tödtliche Ohnmachten versinkt. In allen diesen Fällen

kömmt

nen glauben; daß er wiße, was die Natur in jeder
Stufe der Krankheit unter allen Umſtaͤnden vermag
— Freylich wuͤrde der, der dieſes leiſtete, den wich-
ſten Maͤngeln der Heilkunde abhelfen.

§. 59.

Aber die Leibesbeſchaffenheit des Kranken, der
angegriffene Theil, und jede weſentlich verſchiedene
Krankheit haben ihre Eigenheiten. In Faulfiebern z.
B. iſt die Schwaͤche nicht eher auf ihrer hoͤchſten Stu-
fe, als bis der Kranke nimmer auf der Seite liegen
kann, zu den Fuͤßen herabſchurrt; bis die Sinne
ſtumpf ſind, das Getraͤnke aus dem Munde fließet, und
der Schlund gelaͤhmt zu ſeyn ſcheint. In der Lungen-
ſchwindſucht hingegen eſſen, trinken, ſprechen, ſte-
hen und gehen die Kranken manchmal noch einige Au-
genblicke vor dem Tode; die Stimme verliert ſich
nicht allemal; auſſer einer beſondern Vergeſſenheit und
einem ganz leichten Irreſeyn, welche kurz vor dem
Tode zuweilen anwandeln, bleiben die Verrichtungen
der Sinne und der Denkkraft zum Erſtaunen ſtand-
haft. — Aderlaſſen verurſachen manchen eine ſolche
Entkraͤftung, daß Ohnmachten und Zuckungen entſte-
hen; andern wiederfaͤhrt dieſes auf ſtarke Leibesoͤff-
nungen, auf Klyſtiren, auf Samenergießungen. Eben
ſo wird in den verſchiedenen Arten des Scharbockes
die Bloͤdigkeit endlich ſo groß, daß der Kranke bey
dem geringſten Anlaße, bey der unbetraͤchtlichſten Be-
wegung, ja zuweilen bey dem bloßen Aufrechtſitzen in
toͤdtliche Ohnmachten verſinkt. In allen dieſen Faͤllen

koͤmmt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0453" n="434"/>
nen glauben; daß er wiße, was die Natur in jeder<lb/>
Stufe der Krankheit unter allen Um&#x017F;ta&#x0364;nden vermag<lb/>
&#x2014; Freylich wu&#x0364;rde der, der die&#x017F;es lei&#x017F;tete, den wich-<lb/>
&#x017F;ten Ma&#x0364;ngeln der Heilkunde abhelfen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 59.</head><lb/>
              <p>Aber die Leibesbe&#x017F;chaffenheit des Kranken, der<lb/>
angegriffene Theil, und jede we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedene<lb/>
Krankheit haben ihre Eigenheiten. In Faulfiebern z.<lb/>
B. i&#x017F;t die Schwa&#x0364;che nicht eher auf ihrer ho&#x0364;ch&#x017F;ten Stu-<lb/>
fe, als bis der Kranke nimmer auf der Seite liegen<lb/>
kann, zu den Fu&#x0364;ßen herab&#x017F;churrt; bis die Sinne<lb/>
&#x017F;tumpf &#x017F;ind, das Getra&#x0364;nke aus dem Munde fließet, und<lb/>
der Schlund gela&#x0364;hmt zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint. In der Lungen-<lb/>
&#x017F;chwind&#x017F;ucht hingegen e&#x017F;&#x017F;en, trinken, &#x017F;prechen, &#x017F;te-<lb/>
hen und gehen die Kranken manchmal noch einige Au-<lb/>
genblicke vor dem Tode; die Stimme verliert &#x017F;ich<lb/>
nicht allemal; au&#x017F;&#x017F;er einer be&#x017F;ondern Verge&#x017F;&#x017F;enheit und<lb/>
einem ganz leichten Irre&#x017F;eyn, welche kurz vor dem<lb/>
Tode zuweilen anwandeln, bleiben die Verrichtungen<lb/>
der Sinne und der Denkkraft zum Er&#x017F;taunen &#x017F;tand-<lb/>
haft. &#x2014; Aderla&#x017F;&#x017F;en verur&#x017F;achen manchen eine &#x017F;olche<lb/>
Entkra&#x0364;ftung, daß Ohnmachten und Zuckungen ent&#x017F;te-<lb/>
hen; andern wiederfa&#x0364;hrt die&#x017F;es auf &#x017F;tarke Leibeso&#x0364;ff-<lb/>
nungen, auf Kly&#x017F;tiren, auf Samenergießungen. Eben<lb/>
&#x017F;o wird in den ver&#x017F;chiedenen Arten des Scharbockes<lb/>
die Blo&#x0364;digkeit endlich &#x017F;o groß, daß der Kranke bey<lb/>
dem gering&#x017F;ten Anlaße, bey der unbetra&#x0364;chtlich&#x017F;ten Be-<lb/>
wegung, ja zuweilen bey dem bloßen Aufrecht&#x017F;itzen in<lb/>
to&#x0364;dtliche Ohnmachten ver&#x017F;inkt. In allen die&#x017F;en Fa&#x0364;llen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ko&#x0364;mmt</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0453] nen glauben; daß er wiße, was die Natur in jeder Stufe der Krankheit unter allen Umſtaͤnden vermag — Freylich wuͤrde der, der dieſes leiſtete, den wich- ſten Maͤngeln der Heilkunde abhelfen. §. 59. Aber die Leibesbeſchaffenheit des Kranken, der angegriffene Theil, und jede weſentlich verſchiedene Krankheit haben ihre Eigenheiten. In Faulfiebern z. B. iſt die Schwaͤche nicht eher auf ihrer hoͤchſten Stu- fe, als bis der Kranke nimmer auf der Seite liegen kann, zu den Fuͤßen herabſchurrt; bis die Sinne ſtumpf ſind, das Getraͤnke aus dem Munde fließet, und der Schlund gelaͤhmt zu ſeyn ſcheint. In der Lungen- ſchwindſucht hingegen eſſen, trinken, ſprechen, ſte- hen und gehen die Kranken manchmal noch einige Au- genblicke vor dem Tode; die Stimme verliert ſich nicht allemal; auſſer einer beſondern Vergeſſenheit und einem ganz leichten Irreſeyn, welche kurz vor dem Tode zuweilen anwandeln, bleiben die Verrichtungen der Sinne und der Denkkraft zum Erſtaunen ſtand- haft. — Aderlaſſen verurſachen manchen eine ſolche Entkraͤftung, daß Ohnmachten und Zuckungen entſte- hen; andern wiederfaͤhrt dieſes auf ſtarke Leibesoͤff- nungen, auf Klyſtiren, auf Samenergießungen. Eben ſo wird in den verſchiedenen Arten des Scharbockes die Bloͤdigkeit endlich ſo groß, daß der Kranke bey dem geringſten Anlaße, bey der unbetraͤchtlichſten Be- wegung, ja zuweilen bey dem bloßen Aufrechtſitzen in toͤdtliche Ohnmachten verſinkt. In allen dieſen Faͤllen koͤmmt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/453
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/453>, abgerufen am 22.12.2024.