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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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ge Todesfälle; und diese werden allemal um so bedenk-
licher, wenn man zu Entleerungen, besonders zu Blut-
entleerungen genöthigt ist. Die Nachtwachen, und
das unwiderstehliche Denkgeschäft haben den ganzen
Körper, vorzüglich aber die vornehmsten Eingeweide,
den Magen und das Gehirn so sehr an Lebenskraft
verarmt, daß sich ihre Krankheiten nur äusserst selten
gut entscheiden, allermeist in die Länge ziehen, und
beym geringsten Vergehen, der geringsten unangezeig-
ten Ausleerung Verwerfungen nach den innern Thei-
len machen. Ist der Krankheitsstoff flüchtiger Na-
tur, und hat sich der Arzt durch die hier so gewöhnli-
chen Zeichen von Wallung, Vollblütigkeit oder sonst
beweglicher Unreinigkeit täuschen lassen, so ist der Tod
nimmer zu verhüten. Viele von unsern besten Köpfen
sind entweder kurz vor, oder gleich nach ihren Prüfun-
gen in schwere Krankheiten verfallen, wodurch sie auf
der Schwelle des Glückes und der Hoffnung weggeraf-
fet wurden. Wenn nun diejenigen, welche einstens
zu schweren Kopfarbeiten bestimmt sind, schon von dem
vierten Jahre an dazu angehalten werden, und die
körperliche Vollkommenheit gegen unreifen Prunk ei-
ner begrifflosen Gelehrsamkeit aufgeopfert wird -- --
Was kann man dann anders von ihnen erwarten, als
daß sie mit zwanzig Jahren von allen hypochondri-
schen Beschwerden und Nervenzuständen gemartert ein
elendes Leben führen, elende Kinder zeugen, und vor
der Zeit veraltet dahin sterben!

Jede erschöpfende Ursache bringt ähnliche Wir-
kungen hervor. Silen bekam über vieler Ermüdung,

häu-

ge Todesfaͤlle; und dieſe werden allemal um ſo bedenk-
licher, wenn man zu Entleerungen, beſonders zu Blut-
entleerungen genoͤthigt iſt. Die Nachtwachen, und
das unwiderſtehliche Denkgeſchaͤft haben den ganzen
Koͤrper, vorzuͤglich aber die vornehmſten Eingeweide,
den Magen und das Gehirn ſo ſehr an Lebenskraft
verarmt, daß ſich ihre Krankheiten nur aͤuſſerſt ſelten
gut entſcheiden, allermeiſt in die Laͤnge ziehen, und
beym geringſten Vergehen, der geringſten unangezeig-
ten Ausleerung Verwerfungen nach den innern Thei-
len machen. Iſt der Krankheitsſtoff fluͤchtiger Na-
tur, und hat ſich der Arzt durch die hier ſo gewoͤhnli-
chen Zeichen von Wallung, Vollbluͤtigkeit oder ſonſt
beweglicher Unreinigkeit taͤuſchen laſſen, ſo iſt der Tod
nimmer zu verhuͤten. Viele von unſern beſten Koͤpfen
ſind entweder kurz vor, oder gleich nach ihren Pruͤfun-
gen in ſchwere Krankheiten verfallen, wodurch ſie auf
der Schwelle des Gluͤckes und der Hoffnung weggeraf-
fet wurden. Wenn nun diejenigen, welche einſtens
zu ſchweren Kopfarbeiten beſtimmt ſind, ſchon von dem
vierten Jahre an dazu angehalten werden, und die
koͤrperliche Vollkommenheit gegen unreifen Prunk ei-
ner begriffloſen Gelehrſamkeit aufgeopfert wird — —
Was kann man dann anders von ihnen erwarten, als
daß ſie mit zwanzig Jahren von allen hypochondri-
ſchen Beſchwerden und Nervenzuſtaͤnden gemartert ein
elendes Leben fuͤhren, elende Kinder zeugen, und vor
der Zeit veraltet dahin ſterben!

Jede erſchoͤpfende Urſache bringt aͤhnliche Wir-
kungen hervor. Silen bekam uͤber vieler Ermuͤdung,

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[352/0371] ge Todesfaͤlle; und dieſe werden allemal um ſo bedenk- licher, wenn man zu Entleerungen, beſonders zu Blut- entleerungen genoͤthigt iſt. Die Nachtwachen, und das unwiderſtehliche Denkgeſchaͤft haben den ganzen Koͤrper, vorzuͤglich aber die vornehmſten Eingeweide, den Magen und das Gehirn ſo ſehr an Lebenskraft verarmt, daß ſich ihre Krankheiten nur aͤuſſerſt ſelten gut entſcheiden, allermeiſt in die Laͤnge ziehen, und beym geringſten Vergehen, der geringſten unangezeig- ten Ausleerung Verwerfungen nach den innern Thei- len machen. Iſt der Krankheitsſtoff fluͤchtiger Na- tur, und hat ſich der Arzt durch die hier ſo gewoͤhnli- chen Zeichen von Wallung, Vollbluͤtigkeit oder ſonſt beweglicher Unreinigkeit taͤuſchen laſſen, ſo iſt der Tod nimmer zu verhuͤten. Viele von unſern beſten Koͤpfen ſind entweder kurz vor, oder gleich nach ihren Pruͤfun- gen in ſchwere Krankheiten verfallen, wodurch ſie auf der Schwelle des Gluͤckes und der Hoffnung weggeraf- fet wurden. Wenn nun diejenigen, welche einſtens zu ſchweren Kopfarbeiten beſtimmt ſind, ſchon von dem vierten Jahre an dazu angehalten werden, und die koͤrperliche Vollkommenheit gegen unreifen Prunk ei- ner begriffloſen Gelehrſamkeit aufgeopfert wird — — Was kann man dann anders von ihnen erwarten, als daß ſie mit zwanzig Jahren von allen hypochondri- ſchen Beſchwerden und Nervenzuſtaͤnden gemartert ein elendes Leben fuͤhren, elende Kinder zeugen, und vor der Zeit veraltet dahin ſterben! Jede erſchoͤpfende Urſache bringt aͤhnliche Wir- kungen hervor. Silen bekam uͤber vieler Ermuͤdung, haͤu-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/371>, abgerufen am 24.11.2024.