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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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jenigen hingegen, welche kleine Adern, schlappe, wei-
che Fasern, feine Nerven und Sehnen haben, sind
schwächliche, hinfällige Menschen, von denen Zimmer-
mann
sagt: "Gefühlvoll für die sanftesten Eindrücke
zittern ihre Fibern, wenn ein Stäubchen sie berührt;
ein Mückenflügel umgiebt sie mit Finsterniß; ein Hauch
kann sie erschrecken, sie rasen bey dem kleinsten Wi-
derspruche. -- Leute, bey denen das ganze System der
Nerven von der Geburt her schwach ist, haben kleine
Knochen, zarte Glieder, ein weiches Fleisch; sie sind
überhaupt blaß, und haben nur eine flüchtige Röthe;
sie werden bald ermüdet, ihr Puls ist schwach, ihr
Gemüth ist sehr empfindlich und beweglich, und sie sind
allen Krankheiten um so mehr ausgesetzt, je mehr sie
dieselben fürchten. Ich kenne einen geistvollen, durch
die Größe seines Herzens so sehr, als durch die Vor-
züge seines Verstandes verehrungswerthen schweizeri-
schen Edelmann, der wegen der angebohrnen Schwach-
heit seines Nervensystems schon in seinem sechsten Jah-
re ein völliger Hypochondrist gewesen. Bey verschie-
denen Mädchen von sechs bis neun Jahren habe ich
alle kleinern Zufälle der Mutterkrankheit mit ihrem
ganzen Gefolge sehr oft bemerkt; die Ursache dieser
Zufälle waren nicht Würmer, sondern die eigentliche
Ursache, von welcher hier die Rede ist. Es giebt auch
Leute von einem hohen Alter, die wegen dieser ange-
bornen Schwachheit jeder physische oder moralische
Eindruck plötzlich zu Boden wirft, und plötzlich zu den
Sternen hebt, die sich in einem Tage tod und un-
verwundbar glauben."*)


"Jun-
*) A. [a] O. 4tes B. 14 K.

jenigen hingegen, welche kleine Adern, ſchlappe, wei-
che Faſern, feine Nerven und Sehnen haben, ſind
ſchwaͤchliche, hinfaͤllige Menſchen, von denen Zimmer-
mann
ſagt: “Gefuͤhlvoll fuͤr die ſanfteſten Eindruͤcke
zittern ihre Fibern, wenn ein Staͤubchen ſie beruͤhrt;
ein Muͤckenfluͤgel umgiebt ſie mit Finſterniß; ein Hauch
kann ſie erſchrecken, ſie raſen bey dem kleinſten Wi-
derſpruche. — Leute, bey denen das ganze Syſtem der
Nerven von der Geburt her ſchwach iſt, haben kleine
Knochen, zarte Glieder, ein weiches Fleiſch; ſie ſind
uͤberhaupt blaß, und haben nur eine fluͤchtige Roͤthe;
ſie werden bald ermuͤdet, ihr Puls iſt ſchwach, ihr
Gemuͤth iſt ſehr empfindlich und beweglich, und ſie ſind
allen Krankheiten um ſo mehr ausgeſetzt, je mehr ſie
dieſelben fuͤrchten. Ich kenne einen geiſtvollen, durch
die Groͤße ſeines Herzens ſo ſehr, als durch die Vor-
zuͤge ſeines Verſtandes verehrungswerthen ſchweizeri-
ſchen Edelmann, der wegen der angebohrnen Schwach-
heit ſeines Nervenſyſtems ſchon in ſeinem ſechſten Jah-
re ein voͤlliger Hypochondriſt geweſen. Bey verſchie-
denen Maͤdchen von ſechs bis neun Jahren habe ich
alle kleinern Zufaͤlle der Mutterkrankheit mit ihrem
ganzen Gefolge ſehr oft bemerkt; die Urſache dieſer
Zufaͤlle waren nicht Wuͤrmer, ſondern die eigentliche
Urſache, von welcher hier die Rede iſt. Es giebt auch
Leute von einem hohen Alter, die wegen dieſer ange-
bornen Schwachheit jeder phyſiſche oder moraliſche
Eindruck ploͤtzlich zu Boden wirft, und ploͤtzlich zu den
Sternen hebt, die ſich in einem Tage tod und un-
verwundbar glauben.„*)


“Jun-
*) A. [a] O. 4tes B. 14 K.
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[345/0364] jenigen hingegen, welche kleine Adern, ſchlappe, wei- che Faſern, feine Nerven und Sehnen haben, ſind ſchwaͤchliche, hinfaͤllige Menſchen, von denen Zimmer- mann ſagt: “Gefuͤhlvoll fuͤr die ſanfteſten Eindruͤcke zittern ihre Fibern, wenn ein Staͤubchen ſie beruͤhrt; ein Muͤckenfluͤgel umgiebt ſie mit Finſterniß; ein Hauch kann ſie erſchrecken, ſie raſen bey dem kleinſten Wi- derſpruche. — Leute, bey denen das ganze Syſtem der Nerven von der Geburt her ſchwach iſt, haben kleine Knochen, zarte Glieder, ein weiches Fleiſch; ſie ſind uͤberhaupt blaß, und haben nur eine fluͤchtige Roͤthe; ſie werden bald ermuͤdet, ihr Puls iſt ſchwach, ihr Gemuͤth iſt ſehr empfindlich und beweglich, und ſie ſind allen Krankheiten um ſo mehr ausgeſetzt, je mehr ſie dieſelben fuͤrchten. Ich kenne einen geiſtvollen, durch die Groͤße ſeines Herzens ſo ſehr, als durch die Vor- zuͤge ſeines Verſtandes verehrungswerthen ſchweizeri- ſchen Edelmann, der wegen der angebohrnen Schwach- heit ſeines Nervenſyſtems ſchon in ſeinem ſechſten Jah- re ein voͤlliger Hypochondriſt geweſen. Bey verſchie- denen Maͤdchen von ſechs bis neun Jahren habe ich alle kleinern Zufaͤlle der Mutterkrankheit mit ihrem ganzen Gefolge ſehr oft bemerkt; die Urſache dieſer Zufaͤlle waren nicht Wuͤrmer, ſondern die eigentliche Urſache, von welcher hier die Rede iſt. Es giebt auch Leute von einem hohen Alter, die wegen dieſer ange- bornen Schwachheit jeder phyſiſche oder moraliſche Eindruck ploͤtzlich zu Boden wirft, und ploͤtzlich zu den Sternen hebt, die ſich in einem Tage tod und un- verwundbar glauben.„ *) “Jun- *) A. a O. 4tes B. 14 K.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/364>, abgerufen am 24.11.2024.