sprüche der Aerzte, die allesammt ihre Entstehung der Erfahrung zu verdanken haben mögen, würde verei- nigen können, wenn man bey Beurtheilung derselben mehr auf die Natur der Krankheit, und auf die Beschaf- fenheit der Kranken, als auf die Gestalt und die Zufäl- le, unter welchen die Krankheit erscheint, aufmerksam wäre. Man würde seine Anzeigen nicht mehr nach dem täuschenden Schein der so wandelbaren Zufälle machen; nicht mehr Aderlassen, um des Schmerzens an der Seite willen; nicht mehr fäulnißwidrige Herz- stärkungen und Kampfer und spanische Fliegenpflaster um der Betäubung, der Kraftlosigkeit, oder der et- wannigen Petechien willen gebrauchen; und folglich bey einerley sinnlichen Erscheinungen, und einerley Heil- art nimmer die entgegengesetztesten Folgen beobachten. Die Erfahrung hat es sattsam bewiesen, daß man von den Zufällen, besonders der epidemischen Krank- heiten, nur selten auf die wahre Natur des Uebels, und auf das dabey obwaltende Verderbniß folgern kön- ne. Es ist also nothwendig, daß man von einem ganz andern Standpunkte ausgehe. -- Und dann wer- den wir ohne Zweifel, in Rücksicht der Heilanzeigen auf keine entgegengesetzte Weege, und noch weniger auf Widersprüche gerathen.
§. 30.
Die nämlichen Uebel, wenn sie verschieden be- schaffne Leute befallen, nehmen ganz verschiedene Ge- stalten an. Eine umständlichere Berichtigung dieser Sache wird uns theils vollständig überzeugen, daß
die
ſpruͤche der Aerzte, die alleſammt ihre Entſtehung der Erfahrung zu verdanken haben moͤgen, wuͤrde verei- nigen koͤnnen, wenn man bey Beurtheilung derſelben mehr auf die Natur der Krankheit, und auf die Beſchaf- fenheit der Kranken, als auf die Geſtalt und die Zufaͤl- le, unter welchen die Krankheit erſcheint, aufmerkſam waͤre. Man wuͤrde ſeine Anzeigen nicht mehr nach dem taͤuſchenden Schein der ſo wandelbaren Zufaͤlle machen; nicht mehr Aderlaſſen, um des Schmerzens an der Seite willen; nicht mehr faͤulnißwidrige Herz- ſtaͤrkungen und Kampfer und ſpaniſche Fliegenpflaſter um der Betaͤubung, der Kraftloſigkeit, oder der et- wannigen Petechien willen gebrauchen; und folglich bey einerley ſinnlichen Erſcheinungen, und einerley Heil- art nimmer die entgegengeſetzteſten Folgen beobachten. Die Erfahrung hat es ſattſam bewieſen, daß man von den Zufaͤllen, beſonders der epidemiſchen Krank- heiten, nur ſelten auf die wahre Natur des Uebels, und auf das dabey obwaltende Verderbniß folgern koͤn- ne. Es iſt alſo nothwendig, daß man von einem ganz andern Standpunkte ausgehe. — Und dann wer- den wir ohne Zweifel, in Ruͤckſicht der Heilanzeigen auf keine entgegengeſetzte Weege, und noch weniger auf Widerſpruͤche gerathen.
§. 30.
Die naͤmlichen Uebel, wenn ſie verſchieden be- ſchaffne Leute befallen, nehmen ganz verſchiedene Ge- ſtalten an. Eine umſtaͤndlichere Berichtigung dieſer Sache wird uns theils vollſtaͤndig uͤberzeugen, daß
die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0337"n="318"/>ſpruͤche der Aerzte, die alleſammt ihre Entſtehung der<lb/>
Erfahrung zu verdanken haben moͤgen, wuͤrde verei-<lb/>
nigen koͤnnen, wenn man bey Beurtheilung derſelben<lb/>
mehr auf die Natur der Krankheit, und auf die Beſchaf-<lb/>
fenheit der Kranken, als auf die Geſtalt und die Zufaͤl-<lb/>
le, unter welchen die Krankheit erſcheint, aufmerkſam<lb/>
waͤre. Man wuͤrde ſeine Anzeigen nicht mehr nach<lb/>
dem taͤuſchenden Schein der ſo wandelbaren Zufaͤlle<lb/>
machen; nicht mehr Aderlaſſen, um des Schmerzens<lb/>
an der Seite willen; nicht mehr faͤulnißwidrige Herz-<lb/>ſtaͤrkungen und Kampfer und ſpaniſche Fliegenpflaſter<lb/>
um der Betaͤubung, der Kraftloſigkeit, oder der et-<lb/>
wannigen Petechien willen gebrauchen; und folglich<lb/>
bey einerley ſinnlichen Erſcheinungen, und einerley Heil-<lb/>
art nimmer die entgegengeſetzteſten Folgen beobachten.<lb/>
Die Erfahrung hat es ſattſam bewieſen, daß man<lb/>
von den Zufaͤllen, beſonders der epidemiſchen Krank-<lb/>
heiten, nur ſelten auf die wahre Natur des Uebels,<lb/>
und auf das dabey obwaltende Verderbniß folgern koͤn-<lb/>
ne. Es iſt alſo nothwendig, daß man von einem<lb/>
ganz andern Standpunkte ausgehe. — Und dann wer-<lb/>
den wir ohne Zweifel, in Ruͤckſicht der Heilanzeigen<lb/>
auf keine entgegengeſetzte Weege, und noch weniger<lb/>
auf Widerſpruͤche gerathen.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 30.</head><lb/><p>Die naͤmlichen Uebel, wenn ſie verſchieden be-<lb/>ſchaffne Leute befallen, nehmen ganz verſchiedene Ge-<lb/>ſtalten an. Eine umſtaͤndlichere Berichtigung dieſer<lb/>
Sache wird uns theils vollſtaͤndig uͤberzeugen, daß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[318/0337]
ſpruͤche der Aerzte, die alleſammt ihre Entſtehung der
Erfahrung zu verdanken haben moͤgen, wuͤrde verei-
nigen koͤnnen, wenn man bey Beurtheilung derſelben
mehr auf die Natur der Krankheit, und auf die Beſchaf-
fenheit der Kranken, als auf die Geſtalt und die Zufaͤl-
le, unter welchen die Krankheit erſcheint, aufmerkſam
waͤre. Man wuͤrde ſeine Anzeigen nicht mehr nach
dem taͤuſchenden Schein der ſo wandelbaren Zufaͤlle
machen; nicht mehr Aderlaſſen, um des Schmerzens
an der Seite willen; nicht mehr faͤulnißwidrige Herz-
ſtaͤrkungen und Kampfer und ſpaniſche Fliegenpflaſter
um der Betaͤubung, der Kraftloſigkeit, oder der et-
wannigen Petechien willen gebrauchen; und folglich
bey einerley ſinnlichen Erſcheinungen, und einerley Heil-
art nimmer die entgegengeſetzteſten Folgen beobachten.
Die Erfahrung hat es ſattſam bewieſen, daß man
von den Zufaͤllen, beſonders der epidemiſchen Krank-
heiten, nur ſelten auf die wahre Natur des Uebels,
und auf das dabey obwaltende Verderbniß folgern koͤn-
ne. Es iſt alſo nothwendig, daß man von einem
ganz andern Standpunkte ausgehe. — Und dann wer-
den wir ohne Zweifel, in Ruͤckſicht der Heilanzeigen
auf keine entgegengeſetzte Weege, und noch weniger
auf Widerſpruͤche gerathen.
§. 30.
Die naͤmlichen Uebel, wenn ſie verſchieden be-
ſchaffne Leute befallen, nehmen ganz verſchiedene Ge-
ſtalten an. Eine umſtaͤndlichere Berichtigung dieſer
Sache wird uns theils vollſtaͤndig uͤberzeugen, daß
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/337>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.