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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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mit achtzehn Monaten den Goldaderfluß hatte. Ich
sah in Straßburg ein zweyjähriges Mädchen von sehr
schwächlichen, ungesunden Eltern, welches ihn so häu-
fig hatte, daß es noch vor dem Ende des dritten Jah-
res an der Abzehrung starb. Berdot erzählt diesen
Fall von einem dreyjährigen, und Grim von einem
sechsjährigen Knaben. Grant kannte einen Mann,
der bald, nachdem er das zwanzigste Jahr erreicht
hatte, nach Londen kam. Er war damals sehr ge-
sund und stark, und sein Magen war im Stande,
alles zu verdauen; ein Umstand, der ihn auch anreiz-
te, alles, was ihm vorkam, zu essen und zu trin-
ken. Die Folge davon war, daß er schon nach zehn
Jahren dick, fett und aufgedunsen wurde. Es währ-
te nicht lange, so bekam er die Hämorrhoiden, da-
rauf das Podagra, und zuletzt verlor er den Gebrauch
seiner Füsse und Hände, noch eher, als er das acht
und vierzigste Jahr erreicht hatte.

So viel wird genug seyn, um die Aussprüche
der grösten Aerzte zu bestättigen: "Daß nämlich,
schwächliche, ungesunde, und schlecht beschaffene Kör-
per viel leichter und öfters als gesunde und wohlbe-
schaffne erkranken; weil nicht selten die unbedeutend-
ste Ursache in einem solchen Körper grosse Unordnun-
gen erregt, da indessen starke wohlbeschaffene nicht
das geringste davon empfinden.*)" Je besser die
Theile gebaut sind, sagt Schröder; je vollkomme-
ner ihre Schnellkraft, ihr Zusammenhang, ihre Bieg-

samkeit
*) L. B. de Stoerk Praecep. med. praet, T. I. §. 30.

mit achtzehn Monaten den Goldaderfluß hatte. Ich
ſah in Straßburg ein zweyjaͤhriges Maͤdchen von ſehr
ſchwaͤchlichen, ungeſunden Eltern, welches ihn ſo haͤu-
fig hatte, daß es noch vor dem Ende des dritten Jah-
res an der Abzehrung ſtarb. Berdot erzaͤhlt dieſen
Fall von einem dreyjaͤhrigen, und Grim von einem
ſechsjaͤhrigen Knaben. Grant kannte einen Mann,
der bald, nachdem er das zwanzigſte Jahr erreicht
hatte, nach Londen kam. Er war damals ſehr ge-
ſund und ſtark, und ſein Magen war im Stande,
alles zu verdauen; ein Umſtand, der ihn auch anreiz-
te, alles, was ihm vorkam, zu eſſen und zu trin-
ken. Die Folge davon war, daß er ſchon nach zehn
Jahren dick, fett und aufgedunſen wurde. Es waͤhr-
te nicht lange, ſo bekam er die Haͤmorrhoiden, da-
rauf das Podagra, und zuletzt verlor er den Gebrauch
ſeiner Fuͤſſe und Haͤnde, noch eher, als er das acht
und vierzigſte Jahr erreicht hatte.

So viel wird genug ſeyn, um die Ausſpruͤche
der groͤſten Aerzte zu beſtaͤttigen: “Daß naͤmlich,
ſchwaͤchliche, ungeſunde, und ſchlecht beſchaffene Koͤr-
per viel leichter und oͤfters als geſunde und wohlbe-
ſchaffne erkranken; weil nicht ſelten die unbedeutend-
ſte Urſache in einem ſolchen Koͤrper groſſe Unordnun-
gen erregt, da indeſſen ſtarke wohlbeſchaffene nicht
das geringſte davon empfinden.*)„ Je beſſer die
Theile gebaut ſind, ſagt Schröder; je vollkomme-
ner ihre Schnellkraft, ihr Zuſammenhang, ihre Bieg-

ſamkeit
*) L. B. de Stœrk Præcep. med. praet, T. I. §. 30.
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[313/0332] mit achtzehn Monaten den Goldaderfluß hatte. Ich ſah in Straßburg ein zweyjaͤhriges Maͤdchen von ſehr ſchwaͤchlichen, ungeſunden Eltern, welches ihn ſo haͤu- fig hatte, daß es noch vor dem Ende des dritten Jah- res an der Abzehrung ſtarb. Berdot erzaͤhlt dieſen Fall von einem dreyjaͤhrigen, und Grim von einem ſechsjaͤhrigen Knaben. Grant kannte einen Mann, der bald, nachdem er das zwanzigſte Jahr erreicht hatte, nach Londen kam. Er war damals ſehr ge- ſund und ſtark, und ſein Magen war im Stande, alles zu verdauen; ein Umſtand, der ihn auch anreiz- te, alles, was ihm vorkam, zu eſſen und zu trin- ken. Die Folge davon war, daß er ſchon nach zehn Jahren dick, fett und aufgedunſen wurde. Es waͤhr- te nicht lange, ſo bekam er die Haͤmorrhoiden, da- rauf das Podagra, und zuletzt verlor er den Gebrauch ſeiner Fuͤſſe und Haͤnde, noch eher, als er das acht und vierzigſte Jahr erreicht hatte. So viel wird genug ſeyn, um die Ausſpruͤche der groͤſten Aerzte zu beſtaͤttigen: “Daß naͤmlich, ſchwaͤchliche, ungeſunde, und ſchlecht beſchaffene Koͤr- per viel leichter und oͤfters als geſunde und wohlbe- ſchaffne erkranken; weil nicht ſelten die unbedeutend- ſte Urſache in einem ſolchen Koͤrper groſſe Unordnun- gen erregt, da indeſſen ſtarke wohlbeſchaffene nicht das geringſte davon empfinden. *)„ Je beſſer die Theile gebaut ſind, ſagt Schröder; je vollkomme- ner ihre Schnellkraft, ihr Zuſammenhang, ihre Bieg- ſamkeit *) L. B. de Stœrk Præcep. med. praet, T. I. §. 30.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/332>, abgerufen am 22.11.2024.