So viel mag einstweilen im Allgemeinen genug seyn, die Ehre der Kunst zu vertheidigen. Ich gehe nun zu besondern Betrachtungen über.
Fälle, wo die Bestrebungen der Natur mangel- haft oder nachtheilig sind. §. 19.
Oben haben wir freylich gesehen, daß bey gün- stigen Umständen die Natur fast alle Krankheiten, von der geringsten Unpäßlichkeit bis zur Pest, aus eig- ner Kraft zu heilen vermag. Und dieses war noth- wendig, damit der Arzt die Weege kennen lernte, auf welchen er eine hilfreiche Mitwirkung an der Natur finden wird. -- Aber die Umstände sind oft so ungün- stig, die Hinderniße so unüberwindlich, daß die Un- thätigkeit des Arztes höchst schädlich und in der That nur gar zu oft zu einer wahrhaften Betrachtung über den Tod werden muß. Ich will jetzt die Fälle her- erzählen, wo die Natur müßig, träg, unvermögend, nachtheilig und übermäßig ist, oder es zum wenig- sten zu seyn scheint.
§. 20.
Müßig, zu träg oder ganz unvermögend ist sie überhaupt in Krankheiten, wo nur die lymphati- schen Theile angegriffen sind; in allen Arten von Aus- zehrungen und Schwindsuchten; in allen Krankheiten, die von Schwäche der Fasern, von Verderbniß der Säfte entstehen; in allen Arten rachitischer, veneri- scher, skrophulöser, und gichtflüßiger Zufälle; bey ei-
ner
So viel mag einſtweilen im Allgemeinen genug ſeyn, die Ehre der Kunſt zu vertheidigen. Ich gehe nun zu beſondern Betrachtungen uͤber.
Faͤlle, wo die Beſtrebungen der Natur mangel- haft oder nachtheilig ſind. §. 19.
Oben haben wir freylich geſehen, daß bey guͤn- ſtigen Umſtaͤnden die Natur faſt alle Krankheiten, von der geringſten Unpaͤßlichkeit bis zur Peſt, aus eig- ner Kraft zu heilen vermag. Und dieſes war noth- wendig, damit der Arzt die Weege kennen lernte, auf welchen er eine hilfreiche Mitwirkung an der Natur finden wird. — Aber die Umſtaͤnde ſind oft ſo unguͤn- ſtig, die Hinderniße ſo unuͤberwindlich, daß die Un- thaͤtigkeit des Arztes hoͤchſt ſchaͤdlich und in der That nur gar zu oft zu einer wahrhaften Betrachtung uͤber den Tod werden muß. Ich will jetzt die Faͤlle her- erzaͤhlen, wo die Natur muͤßig, traͤg, unvermoͤgend, nachtheilig und uͤbermaͤßig iſt, oder es zum wenig- ſten zu ſeyn ſcheint.
§. 20.
Muͤßig, zu traͤg oder ganz unvermoͤgend iſt ſie uͤberhaupt in Krankheiten, wo nur die lymphati- ſchen Theile angegriffen ſind; in allen Arten von Aus- zehrungen und Schwindſuchten; in allen Krankheiten, die von Schwaͤche der Faſern, von Verderbniß der Saͤfte entſtehen; in allen Arten rachitiſcher, veneri- ſcher, ſkrophuloͤſer, und gichtfluͤßiger Zufaͤlle; bey ei-
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So viel mag einſtweilen im Allgemeinen genug
ſeyn, die Ehre der Kunſt zu vertheidigen. Ich gehe
nun zu beſondern Betrachtungen uͤber.
Faͤlle, wo die Beſtrebungen der Natur mangel-
haft oder nachtheilig ſind.
§. 19.
Oben haben wir freylich geſehen, daß bey guͤn-
ſtigen Umſtaͤnden die Natur faſt alle Krankheiten,
von der geringſten Unpaͤßlichkeit bis zur Peſt, aus eig-
ner Kraft zu heilen vermag. Und dieſes war noth-
wendig, damit der Arzt die Weege kennen lernte, auf
welchen er eine hilfreiche Mitwirkung an der Natur
finden wird. — Aber die Umſtaͤnde ſind oft ſo unguͤn-
ſtig, die Hinderniße ſo unuͤberwindlich, daß die Un-
thaͤtigkeit des Arztes hoͤchſt ſchaͤdlich und in der That
nur gar zu oft zu einer wahrhaften Betrachtung uͤber
den Tod werden muß. Ich will jetzt die Faͤlle her-
erzaͤhlen, wo die Natur muͤßig, traͤg, unvermoͤgend,
nachtheilig und uͤbermaͤßig iſt, oder es zum wenig-
ſten zu ſeyn ſcheint.
§. 20.
Muͤßig, zu traͤg oder ganz unvermoͤgend iſt
ſie uͤberhaupt in Krankheiten, wo nur die lymphati-
ſchen Theile angegriffen ſind; in allen Arten von Aus-
zehrungen und Schwindſuchten; in allen Krankheiten,
die von Schwaͤche der Faſern, von Verderbniß der
Saͤfte entſtehen; in allen Arten rachitiſcher, veneri-
ſcher, ſkrophuloͤſer, und gichtfluͤßiger Zufaͤlle; bey ei-
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/283>, abgerufen am 22.11.2024.
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