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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Zweyter Abschnitt.

Vom
Heilvermögen der Kunst.
§. 35.

Bis daher bin ich der Lobredner der Natur gewe-
sen, und habe die Grenzen der Kunst gezeigt, indem
ich ihr ausser dem Vermögen, die Hindernisse zu he-
ben, nichts eingeräumt habe. -- Ist aber darum die
Kunst entbehrlich? Sind die Aerzte überflüssige Glie-
der der Gesellschaft? -- --

Es herrschen Gesetze in der thierischen Haushal-
tung, vermög welcher auf gewisse Veranlassungen Be-
wegungen erfolgen, oder unterdrückt werden, die kei-
neswegs zur Erhaltung derselben beytragen. Die
Körperwelt hat dieses mit der sittlichen gemein, daß
das Uebel eine unzertrennliche Folge derjenigen Ein-
richtung ist, welche zum Leben, zum Wachsthum,
zur Gesundheit und Erhaltung nöthig war. Nicht al-
le Zufälle, das heißet, nicht alles, was eine krank-
hafte Beschaffenheit veranlasset; nicht alles, worinn
die gekränkten Lebenskräfte von ihrer natürlichen Wir-
kung abweichen, kann als wohlthätige Anstalt betrach-
tet werden. Der Mensch sollte sterben -- Es muß-

te

Zweyter Abſchnitt.

Vom
Heilvermoͤgen der Kunſt.
§. 35.

Bis daher bin ich der Lobredner der Natur gewe-
ſen, und habe die Grenzen der Kunſt gezeigt, indem
ich ihr auſſer dem Vermoͤgen, die Hinderniſſe zu he-
ben, nichts eingeraͤumt habe. — Iſt aber darum die
Kunſt entbehrlich? Sind die Aerzte uͤberfluͤſſige Glie-
der der Geſellſchaft? — —

Es herrſchen Geſetze in der thieriſchen Haushal-
tung, vermoͤg welcher auf gewiſſe Veranlaſſungen Be-
wegungen erfolgen, oder unterdruͤckt werden, die kei-
neswegs zur Erhaltung derſelben beytragen. Die
Koͤrperwelt hat dieſes mit der ſittlichen gemein, daß
das Uebel eine unzertrennliche Folge derjenigen Ein-
richtung iſt, welche zum Leben, zum Wachsthum,
zur Geſundheit und Erhaltung noͤthig war. Nicht al-
le Zufaͤlle, das heißet, nicht alles, was eine krank-
hafte Beſchaffenheit veranlaſſet; nicht alles, worinn
die gekraͤnkten Lebenskraͤfte von ihrer natuͤrlichen Wir-
kung abweichen, kann als wohlthaͤtige Anſtalt betrach-
tet werden. Der Menſch ſollte ſterben — Es muß-

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[251/0270] Zweyter Abſchnitt. Vom Heilvermoͤgen der Kunſt. §. 35. Bis daher bin ich der Lobredner der Natur gewe- ſen, und habe die Grenzen der Kunſt gezeigt, indem ich ihr auſſer dem Vermoͤgen, die Hinderniſſe zu he- ben, nichts eingeraͤumt habe. — Iſt aber darum die Kunſt entbehrlich? Sind die Aerzte uͤberfluͤſſige Glie- der der Geſellſchaft? — — Es herrſchen Geſetze in der thieriſchen Haushal- tung, vermoͤg welcher auf gewiſſe Veranlaſſungen Be- wegungen erfolgen, oder unterdruͤckt werden, die kei- neswegs zur Erhaltung derſelben beytragen. Die Koͤrperwelt hat dieſes mit der ſittlichen gemein, daß das Uebel eine unzertrennliche Folge derjenigen Ein- richtung iſt, welche zum Leben, zum Wachsthum, zur Geſundheit und Erhaltung noͤthig war. Nicht al- le Zufaͤlle, das heißet, nicht alles, was eine krank- hafte Beſchaffenheit veranlaſſet; nicht alles, worinn die gekraͤnkten Lebenskraͤfte von ihrer natuͤrlichen Wir- kung abweichen, kann als wohlthaͤtige Anſtalt betrach- tet werden. Der Menſch ſollte ſterben — Es muß- te

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/270>, abgerufen am 13.11.2024.