und Wahnsinn erregt werden, darf man es nur mit der größten Klugheit wagen, sie in die gehöri- gen Schranken zurück zu führen. Auenbrugger er- zählt von einem Rasenden, welcher nach innerhalb sechs Stunden eingenommenen acht und vierzig Gran Mohnsaft, durch sechs und dreißig Stunden betäubr lag, und hernach dumm und sinnlos blieb, bis er nach zwey Monathen an einem abzehrenden Fieber starb.*) Wird bey Kindern der Stickkatharr durch Mohnsaft oder die von scharfem Unflath der Gedärme entstandene Unruhe und Schlaflosigkeit durch Mohnkö- pfe oder Mohnsaamen gestillt, so sterben sie entweder an Dörrsucht und Abzehrung, oder es ist ein seltenes Glück, wenn nicht zum wenigsten auf ihr Lebtag eine Neigung zu allerley Krankheiten, Bauch- und Kopf- schmerzen u. d. gl. übrig bleibt.
§. 9.
Da all dieses Unheil nur dann entsteht, wenn wohlthätige Zufälle unterdrückt werden, so wird noth- wendig das Unglück desto grösser seyn, je nothwendi- ger die Zufälle zur Veränderung oder Wegschaffung des Krankheitsstoffes geworden sind. Es giebt wäh- rend dem Verlauf sowohl der hitzigen als der lang- wierigen Krankheiten, in denen man der Natur eini- ges Recht läßt, einen Zeitpunkt, wo nichts wichtiger ist, als daß man die Absicht, den Werth der Zufäl- le genau kenne, um nicht Gefahr zu laufen, das heil-
samste
*) Vom Triebe zum Selbstmord.
und Wahnſinn erregt werden, darf man es nur mit der groͤßten Klugheit wagen, ſie in die gehoͤri- gen Schranken zuruͤck zu fuͤhren. Auenbrugger er- zaͤhlt von einem Raſenden, welcher nach innerhalb ſechs Stunden eingenommenen acht und vierzig Gran Mohnſaft, durch ſechs und dreißig Stunden betaͤubr lag, und hernach dumm und ſinnlos blieb, bis er nach zwey Monathen an einem abzehrenden Fieber ſtarb.*) Wird bey Kindern der Stickkatharr durch Mohnſaft oder die von ſcharfem Unflath der Gedaͤrme entſtandene Unruhe und Schlafloſigkeit durch Mohnkoͤ- pfe oder Mohnſaamen geſtillt, ſo ſterben ſie entweder an Doͤrrſucht und Abzehrung, oder es iſt ein ſeltenes Gluͤck, wenn nicht zum wenigſten auf ihr Lebtag eine Neigung zu allerley Krankheiten, Bauch- und Kopf- ſchmerzen u. d. gl. uͤbrig bleibt.
§. 9.
Da all dieſes Unheil nur dann entſteht, wenn wohlthaͤtige Zufaͤlle unterdruͤckt werden, ſo wird noth- wendig das Ungluͤck deſto groͤſſer ſeyn, je nothwendi- ger die Zufaͤlle zur Veraͤnderung oder Wegſchaffung des Krankheitsſtoffes geworden ſind. Es giebt waͤh- rend dem Verlauf ſowohl der hitzigen als der lang- wierigen Krankheiten, in denen man der Natur eini- ges Recht laͤßt, einen Zeitpunkt, wo nichts wichtiger iſt, als daß man die Abſicht, den Werth der Zufaͤl- le genau kenne, um nicht Gefahr zu laufen, das heil-
ſamſte
*) Vom Triebe zum Selbſtmord.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0254"n="235"/>
und Wahnſinn erregt werden, darf man es nur<lb/>
mit der groͤßten Klugheit wagen, ſie in die gehoͤri-<lb/>
gen Schranken zuruͤck zu fuͤhren. <hirendition="#fr">Auenbrugger</hi> er-<lb/>
zaͤhlt von einem Raſenden, welcher nach innerhalb<lb/>ſechs Stunden eingenommenen acht und vierzig Gran<lb/>
Mohnſaft, durch ſechs und dreißig Stunden betaͤubr<lb/>
lag, und hernach dumm und ſinnlos blieb, bis er<lb/>
nach zwey Monathen an einem abzehrenden Fieber<lb/>ſtarb.<noteplace="foot"n="*)">Vom Triebe zum Selbſtmord.</note> Wird bey Kindern der Stickkatharr durch<lb/>
Mohnſaft oder die von ſcharfem Unflath der Gedaͤrme<lb/>
entſtandene Unruhe und Schlafloſigkeit durch Mohnkoͤ-<lb/>
pfe oder Mohnſaamen geſtillt, ſo ſterben ſie entweder<lb/>
an Doͤrrſucht und Abzehrung, oder es iſt ein ſeltenes<lb/>
Gluͤck, wenn nicht zum wenigſten auf ihr Lebtag eine<lb/>
Neigung zu allerley Krankheiten, Bauch- und Kopf-<lb/>ſchmerzen u. d. gl. uͤbrig bleibt.</p><lb/><divn="4"><head>§. 9.</head><lb/><p>Da all dieſes Unheil nur dann entſteht, wenn<lb/>
wohlthaͤtige Zufaͤlle unterdruͤckt werden, ſo wird noth-<lb/>
wendig das Ungluͤck deſto groͤſſer ſeyn, je nothwendi-<lb/>
ger die Zufaͤlle zur Veraͤnderung oder Wegſchaffung<lb/>
des Krankheitsſtoffes geworden ſind. Es giebt waͤh-<lb/>
rend dem Verlauf ſowohl der hitzigen als der lang-<lb/>
wierigen Krankheiten, in denen man der Natur eini-<lb/>
ges Recht laͤßt, einen Zeitpunkt, wo nichts wichtiger<lb/>
iſt, als daß man die Abſicht, den Werth der Zufaͤl-<lb/>
le genau kenne, um nicht Gefahr zu laufen, das heil-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſamſte</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[235/0254]
und Wahnſinn erregt werden, darf man es nur
mit der groͤßten Klugheit wagen, ſie in die gehoͤri-
gen Schranken zuruͤck zu fuͤhren. Auenbrugger er-
zaͤhlt von einem Raſenden, welcher nach innerhalb
ſechs Stunden eingenommenen acht und vierzig Gran
Mohnſaft, durch ſechs und dreißig Stunden betaͤubr
lag, und hernach dumm und ſinnlos blieb, bis er
nach zwey Monathen an einem abzehrenden Fieber
ſtarb. *) Wird bey Kindern der Stickkatharr durch
Mohnſaft oder die von ſcharfem Unflath der Gedaͤrme
entſtandene Unruhe und Schlafloſigkeit durch Mohnkoͤ-
pfe oder Mohnſaamen geſtillt, ſo ſterben ſie entweder
an Doͤrrſucht und Abzehrung, oder es iſt ein ſeltenes
Gluͤck, wenn nicht zum wenigſten auf ihr Lebtag eine
Neigung zu allerley Krankheiten, Bauch- und Kopf-
ſchmerzen u. d. gl. uͤbrig bleibt.
§. 9.
Da all dieſes Unheil nur dann entſteht, wenn
wohlthaͤtige Zufaͤlle unterdruͤckt werden, ſo wird noth-
wendig das Ungluͤck deſto groͤſſer ſeyn, je nothwendi-
ger die Zufaͤlle zur Veraͤnderung oder Wegſchaffung
des Krankheitsſtoffes geworden ſind. Es giebt waͤh-
rend dem Verlauf ſowohl der hitzigen als der lang-
wierigen Krankheiten, in denen man der Natur eini-
ges Recht laͤßt, einen Zeitpunkt, wo nichts wichtiger
iſt, als daß man die Abſicht, den Werth der Zufaͤl-
le genau kenne, um nicht Gefahr zu laufen, das heil-
ſamſte
*) Vom Triebe zum Selbſtmord.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/254>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.