Sydenham alles gegen diese Betäubung an, wie- derholte Aderlässe am Arm, Hals und Fuß, Zugpfla- ster, schweißtreibende Mittel; allein alles umsonst; endlich entschloß er sich den Gang der Natur zu beo- bachten, und ließ es bey einer Aderlaß, einem Zug- pflaster und Klystiren bewenden. So verschwand nach und nach die Betäubung. Sydenham folgert da- raus, daß man sich oft zu sehr eile, und der Natur öfters mehr Zeit lassen sollte.*)Pujati erzählt den Fall von einem sehr tödtlichen epidemischen Pete- chienfieber bey einem Bauern, der ebenfalls nichts als Brunnenwasser brauchte, und obschon er sehr mager, bleich, und der Aderschlag sehr schwach war, dennoch den sechzehnten Tag durch einen häufigen Schweiß vom Fieber befreyet wurde.**) Die epidemischen Petechien von 1758 heilten am besten bey einer ein- fachen Heilart, und der Freyherr Störck sagt aus- drücklich, daß, wo die Weinmolken nicht zureichten, auch alle andern Arzneyen unzureichend waren.***) Bey- nahe alle Epidemien werden durch eine wirksame Heil- art in einer Zeit, wo ihre Natur noch nicht offenbar ist, gefährlicher, als sie sind, wenn sie ganz der Natur überlassen werden.
§. 7.
Um die Heilkräfte der Natur noch vollständi- ger kennen zu lernen, will ich ihr Verfahren in ei-
nigen
*)Sect. V cap. I.
**)De Viotn febricitantium.
***)Ann. med. I. Aug. 758 p. 20 23:
Gall I. Band P
Sydenham alles gegen dieſe Betaͤubung an, wie- derholte Aderlaͤſſe am Arm, Hals und Fuß, Zugpfla- ſter, ſchweißtreibende Mittel; allein alles umſonſt; endlich entſchloß er ſich den Gang der Natur zu beo- bachten, und ließ es bey einer Aderlaß, einem Zug- pflaſter und Klyſtiren bewenden. So verſchwand nach und nach die Betaͤubung. Sydenham folgert da- raus, daß man ſich oft zu ſehr eile, und der Natur oͤfters mehr Zeit laſſen ſollte.*)Pujati erzaͤhlt den Fall von einem ſehr toͤdtlichen epidemiſchen Pete- chienfieber bey einem Bauern, der ebenfalls nichts als Brunnenwaſſer brauchte, und obſchon er ſehr mager, bleich, und der Aderſchlag ſehr ſchwach war, dennoch den ſechzehnten Tag durch einen haͤufigen Schweiß vom Fieber befreyet wurde.**) Die epidemiſchen Petechien von 1758 heilten am beſten bey einer ein- fachen Heilart, und der Freyherr Störck ſagt aus- druͤcklich, daß, wo die Weinmolken nicht zureichten, auch alle andern Arzneyen unzureichend waren.***) Bey- nahe alle Epidemien werden durch eine wirkſame Heil- art in einer Zeit, wo ihre Natur noch nicht offenbar iſt, gefaͤhrlicher, als ſie ſind, wenn ſie ganz der Natur uͤberlaſſen werden.
§. 7.
Um die Heilkraͤfte der Natur noch vollſtaͤndi- ger kennen zu lernen, will ich ihr Verfahren in ei-
nigen
*)Sect. V cap. I.
**)De Viotn febricitantium.
***)Ann. med. I. Aug. 758 p. 20 23:
Gall I. Band P
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Sydenham alles gegen dieſe Betaͤubung an, wie-
derholte Aderlaͤſſe am Arm, Hals und Fuß, Zugpfla-
ſter, ſchweißtreibende Mittel; allein alles umſonſt;
endlich entſchloß er ſich den Gang der Natur zu beo-
bachten, und ließ es bey einer Aderlaß, einem Zug-
pflaſter und Klyſtiren bewenden. So verſchwand nach
und nach die Betaͤubung. Sydenham folgert da-
raus, daß man ſich oft zu ſehr eile, und der Natur
oͤfters mehr Zeit laſſen ſollte. *) Pujati erzaͤhlt
den Fall von einem ſehr toͤdtlichen epidemiſchen Pete-
chienfieber bey einem Bauern, der ebenfalls nichts als
Brunnenwaſſer brauchte, und obſchon er ſehr mager,
bleich, und der Aderſchlag ſehr ſchwach war, dennoch
den ſechzehnten Tag durch einen haͤufigen Schweiß
vom Fieber befreyet wurde. **) Die epidemiſchen
Petechien von 1758 heilten am beſten bey einer ein-
fachen Heilart, und der Freyherr Störck ſagt aus-
druͤcklich, daß, wo die Weinmolken nicht zureichten,
auch alle andern Arzneyen unzureichend waren. ***) Bey-
nahe alle Epidemien werden durch eine wirkſame Heil-
art in einer Zeit, wo ihre Natur noch nicht offenbar
iſt, gefaͤhrlicher, als ſie ſind, wenn ſie ganz der
Natur uͤberlaſſen werden.
§. 7.
Um die Heilkraͤfte der Natur noch vollſtaͤndi-
ger kennen zu lernen, will ich ihr Verfahren in ei-
nigen
*) Sect. V cap. I.
**) De Viotn febricitantium.
***) Ann. med. I. Aug. 758 p. 20 23:
Gall I. Band P
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/244>, abgerufen am 23.11.2024.
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