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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Vorstellungen von Mördern, Räubern Gefängnissen etc.
Nach langem fruchtlosem und ermattendem Bestreben,
ihre Freyheit zu erhalten, nehmen sie ihre Zuflucht zur
Verstellung, werden sanftmüthig, flehen ihre besten
Freunde sehnlichst um Befreyung. -- Dieser gewalt-
same Seelenzustand, nebst den schreckvollen Vorstel-
lungen, und das heftige Bestreben des Körpers müs-
sen nothwendig vieles zur Verschlimmerung der Krank-
heit beytragen; man sollte also nur in ganz unver-
meidlichen Fällen zu diesem Verfahren schreiten

Die Aerzte begnügen sich in diesen Fällen mit
den allgemeinen Ausdrücken: Der Kranke sprach irre,
rasete u. s w. Aber ich lobe die Philosophen, wel-
che sich über die Seltenheit solcher genau aufgezeichne-
ten Geschichten beschweren. Den Nutzen für die See-
lenkenntniß sollte doch ein Arzt einsehen -- und daß
eine genauere, pünktliche Beobachtung auf die Art und
den Gang des Irreseyns auch in Rücksicht der Heil-
art gar nicht gleichgültig seye, werde ich in der Fol-
ge, öfters zu zeigen, Gelegenheit haben.

Sonderbar, und vielleicht mehr aus den Ge-
setzen der Gewohnheit und der Fertigkeiten, als aus
einer thätigen Einwirkung der Seele erklärbar, sind
jene Geistesverirrungen, wobey der Mensch nur über
diejenigen Dinge, die er vorzüglich betrieben hat,
richtig zu urtheilen im Stande ist.

Ein Arzt, der sich vorzüglich auf die Scheide-
kunst verlegte, wurde wahnsinnig, und er bethete un-
aufhörlich. So oft man ihm von einem Gegenstand
aus der Scheidekunst sprach, gab er die vernünftig-

sten

Vorſtellungen von Moͤrdern, Raͤubern Gefaͤngniſſen ꝛc.
Nach langem fruchtloſem und ermattendem Beſtreben,
ihre Freyheit zu erhalten, nehmen ſie ihre Zuflucht zur
Verſtellung, werden ſanftmuͤthig, flehen ihre beſten
Freunde ſehnlichſt um Befreyung. — Dieſer gewalt-
ſame Seelenzuſtand, nebſt den ſchreckvollen Vorſtel-
lungen, und das heftige Beſtreben des Koͤrpers muͤſ-
ſen nothwendig vieles zur Verſchlimmerung der Krank-
heit beytragen; man ſollte alſo nur in ganz unver-
meidlichen Faͤllen zu dieſem Verfahren ſchreiten

Die Aerzte begnuͤgen ſich in dieſen Faͤllen mit
den allgemeinen Ausdruͤcken: Der Kranke ſprach irre,
raſete u. ſ w. Aber ich lobe die Philoſophen, wel-
che ſich uͤber die Seltenheit ſolcher genau aufgezeichne-
ten Geſchichten beſchweren. Den Nutzen fuͤr die See-
lenkenntniß ſollte doch ein Arzt einſehen — und daß
eine genauere, puͤnktliche Beobachtung auf die Art und
den Gang des Irreſeyns auch in Ruͤckſicht der Heil-
art gar nicht gleichguͤltig ſeye, werde ich in der Fol-
ge, oͤfters zu zeigen, Gelegenheit haben.

Sonderbar, und vielleicht mehr aus den Ge-
ſetzen der Gewohnheit und der Fertigkeiten, als aus
einer thaͤtigen Einwirkung der Seele erklaͤrbar, ſind
jene Geiſtesverirrungen, wobey der Menſch nur uͤber
diejenigen Dinge, die er vorzuͤglich betrieben hat,
richtig zu urtheilen im Stande iſt.

Ein Arzt, der ſich vorzuͤglich auf die Scheide-
kunſt verlegte, wurde wahnſinnig, und er bethete un-
aufhoͤrlich. So oft man ihm von einem Gegenſtand
aus der Scheidekunſt ſprach, gab er die vernuͤnftig-

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[196/0215] Vorſtellungen von Moͤrdern, Raͤubern Gefaͤngniſſen ꝛc. Nach langem fruchtloſem und ermattendem Beſtreben, ihre Freyheit zu erhalten, nehmen ſie ihre Zuflucht zur Verſtellung, werden ſanftmuͤthig, flehen ihre beſten Freunde ſehnlichſt um Befreyung. — Dieſer gewalt- ſame Seelenzuſtand, nebſt den ſchreckvollen Vorſtel- lungen, und das heftige Beſtreben des Koͤrpers muͤſ- ſen nothwendig vieles zur Verſchlimmerung der Krank- heit beytragen; man ſollte alſo nur in ganz unver- meidlichen Faͤllen zu dieſem Verfahren ſchreiten Die Aerzte begnuͤgen ſich in dieſen Faͤllen mit den allgemeinen Ausdruͤcken: Der Kranke ſprach irre, raſete u. ſ w. Aber ich lobe die Philoſophen, wel- che ſich uͤber die Seltenheit ſolcher genau aufgezeichne- ten Geſchichten beſchweren. Den Nutzen fuͤr die See- lenkenntniß ſollte doch ein Arzt einſehen — und daß eine genauere, puͤnktliche Beobachtung auf die Art und den Gang des Irreſeyns auch in Ruͤckſicht der Heil- art gar nicht gleichguͤltig ſeye, werde ich in der Fol- ge, oͤfters zu zeigen, Gelegenheit haben. Sonderbar, und vielleicht mehr aus den Ge- ſetzen der Gewohnheit und der Fertigkeiten, als aus einer thaͤtigen Einwirkung der Seele erklaͤrbar, ſind jene Geiſtesverirrungen, wobey der Menſch nur uͤber diejenigen Dinge, die er vorzuͤglich betrieben hat, richtig zu urtheilen im Stande iſt. Ein Arzt, der ſich vorzuͤglich auf die Scheide- kunſt verlegte, wurde wahnſinnig, und er bethete un- aufhoͤrlich. So oft man ihm von einem Gegenſtand aus der Scheidekunſt ſprach, gab er die vernuͤnftig- ſten

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/215>, abgerufen am 22.11.2024.