Gefühl das vornehmste Erweckungsmittel des Begat- tungstriebes zu seyn; obschon es, und zwar beym Men- schen auffallend gewiß ist, daß vorhergehende oder zur gleichen Zeit eintrettende Vorstellungen, Gewohnheit, Neuheit, willkührliche Ab- und Zuneigung, Einbil- dungskraft, Grundsätze u. d. gl., über alle sinnliche Eindrücke, so lange wir gesund sind, eine große Herr- schaft haben. Hingegen werden auch die Wirkungen der sinnlichen Eindrücke durch Erziehung, Alter, Ge- schlecht, durch den gegenwärtigen Gesundheitsstand, durch Uebung u. d. gl. unendlich verändert.
Die bloßen Vorstellungen veranlassen nicht sel- ten eben so starke, ja stärkere Wirkungen, als der sinn- liche Eindruck. Wenn wir uns wegen Entdeckung ei- ner eignen oder fremden Unvollkommenheit schämen, so kehrt sich die Bewegung des Blutes in den Blutadern um; wir erröthen mit einer empfindlichen Wärme über das Gesicht, die Brust, zuweilen über den gan- zen Körper. Haben wir's in der Vorstellung, z. B. beim Briefschreiben, mit einem Feinde zu thun, so stellen sich uns häufige Bilder in gedrängter Eile dar; alle willkührlichen Muskeln werden gespannt; wir drohen, ballen die Fäuste, schlagen auf den Tisch, und drücken die Füsse fest gegen den Boden an, oder springen wüthend vom Stuhle auf, stampfen, ergreif- fen ihn, wir beissen die Zähne fest übereinander, wer- fen die untere Lippe über die obere empor, runzeln die Stirne; der ganze Leib, vorzüglich der Kopf glüht, ist hochroth, glänzt, die Augen stehen starr unter den übergeworfenen Augenbraunen und funkeln vor Feuer,
die
Gefuͤhl das vornehmſte Erweckungsmittel des Begat- tungstriebes zu ſeyn; obſchon es, und zwar beym Men- ſchen auffallend gewiß iſt, daß vorhergehende oder zur gleichen Zeit eintrettende Vorſtellungen, Gewohnheit, Neuheit, willkuͤhrliche Ab- und Zuneigung, Einbil- dungskraft, Grundſaͤtze u. d. gl., uͤber alle ſinnliche Eindruͤcke, ſo lange wir geſund ſind, eine große Herr- ſchaft haben. Hingegen werden auch die Wirkungen der ſinnlichen Eindruͤcke durch Erziehung, Alter, Ge- ſchlecht, durch den gegenwaͤrtigen Geſundheitsſtand, durch Uebung u. d. gl. unendlich veraͤndert.
Die bloßen Vorſtellungen veranlaſſen nicht ſel- ten eben ſo ſtarke, ja ſtaͤrkere Wirkungen, als der ſinn- liche Eindruck. Wenn wir uns wegen Entdeckung ei- ner eignen oder fremden Unvollkommenheit ſchaͤmen, ſo kehrt ſich die Bewegung des Blutes in den Blutadern um; wir erroͤthen mit einer empfindlichen Waͤrme uͤber das Geſicht, die Bruſt, zuweilen uͤber den gan- zen Koͤrper. Haben wir’s in der Vorſtellung, z. B. beim Briefſchreiben, mit einem Feinde zu thun, ſo ſtellen ſich uns haͤufige Bilder in gedraͤngter Eile dar; alle willkuͤhrlichen Muskeln werden geſpannt; wir drohen, ballen die Faͤuſte, ſchlagen auf den Tiſch, und druͤcken die Fuͤſſe feſt gegen den Boden an, oder ſpringen wuͤthend vom Stuhle auf, ſtampfen, ergreif- fen ihn, wir beiſſen die Zaͤhne feſt uͤbereinander, wer- fen die untere Lippe uͤber die obere empor, runzeln die Stirne; der ganze Leib, vorzuͤglich der Kopf gluͤht, iſt hochroth, glaͤnzt, die Augen ſtehen ſtarr unter den uͤbergeworfenen Augenbraunen und funkeln vor Feuer,
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Gefuͤhl das vornehmſte Erweckungsmittel des Begat-
tungstriebes zu ſeyn; obſchon es, und zwar beym Men-
ſchen auffallend gewiß iſt, daß vorhergehende oder zur
gleichen Zeit eintrettende Vorſtellungen, Gewohnheit,
Neuheit, willkuͤhrliche Ab- und Zuneigung, Einbil-
dungskraft, Grundſaͤtze u. d. gl., uͤber alle ſinnliche
Eindruͤcke, ſo lange wir geſund ſind, eine große Herr-
ſchaft haben. Hingegen werden auch die Wirkungen
der ſinnlichen Eindruͤcke durch Erziehung, Alter, Ge-
ſchlecht, durch den gegenwaͤrtigen Geſundheitsſtand,
durch Uebung u. d. gl. unendlich veraͤndert.
Die bloßen Vorſtellungen veranlaſſen nicht ſel-
ten eben ſo ſtarke, ja ſtaͤrkere Wirkungen, als der ſinn-
liche Eindruck. Wenn wir uns wegen Entdeckung ei-
ner eignen oder fremden Unvollkommenheit ſchaͤmen, ſo
kehrt ſich die Bewegung des Blutes in den Blutadern
um; wir erroͤthen mit einer empfindlichen Waͤrme
uͤber das Geſicht, die Bruſt, zuweilen uͤber den gan-
zen Koͤrper. Haben wir’s in der Vorſtellung, z. B.
beim Briefſchreiben, mit einem Feinde zu thun, ſo
ſtellen ſich uns haͤufige Bilder in gedraͤngter Eile dar;
alle willkuͤhrlichen Muskeln werden geſpannt; wir
drohen, ballen die Faͤuſte, ſchlagen auf den Tiſch,
und druͤcken die Fuͤſſe feſt gegen den Boden an, oder
ſpringen wuͤthend vom Stuhle auf, ſtampfen, ergreif-
fen ihn, wir beiſſen die Zaͤhne feſt uͤbereinander, wer-
fen die untere Lippe uͤber die obere empor, runzeln
die Stirne; der ganze Leib, vorzuͤglich der Kopf gluͤht,
iſt hochroth, glaͤnzt, die Augen ſtehen ſtarr unter den
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/197>, abgerufen am 24.11.2024.
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