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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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hat aber noch Gefühl und Reizbarkeit. Wenn die
Muskelbewegungen Wirkungen der wollenden Seele
sind, so erkläre man, wie es geschieht, daß wir bey
einem gählingen Schrecken, bey einem Kanonenschus-
se, in die Höhe springen, alle Glieder bewegen, Din-
ge ergreifen oder von uns werfen, ohne daß es die
geringste Wirkung unseres Wollens war. Man hat
vom Schrecken gählinge Proben unglaublicher Stärke
gesehen. Eine schwache Weibsperson wies einen star-
ken Bettler ab. Der Spitzbub ergriff seinen Dolch.
Das Weibsbild pakte in außerordentlichem Schrecken
den Kerl am Leibe, und trug ihn schwebend zur Thür
hinaus. Wir sehen einen Menschen von der Höhe
stürzen; wir fühlen den Fall gleichsam in allen Glie-
dern, und springen herbey oder greifen nach ihm, oh-
ne überlegt zu haben, daß wir helfen wollen. Kann
man dieses Wirkungen einer wollenden Seele heis-
sen"?*) -- -- Isenflamm erzählt den Fall, wo
das Herz durch das Brustbein mit dem Sucher (Son-
de) berührt wurde; der Sucher wurde merklich zu-
rückgestossen, und der Kranke empfand eine sonderba-
re Empfindung, die durch den ganzen Körper drang,
und wobey er augenblicklich, ohne was davon zu wis-
sen, vom Stule aufsprang, und sich alsogleich wieder
niedersetzte.**)

§. 42.

Uebrigens hat man allzeit zugegeben, daß un-
ter gewissen Umständen die Seele einige Herrschaft

über
*) 1 Stück S. 171--173.
**) Praktische Anmerkungen über die Muskeln S. 82.

hat aber noch Gefuͤhl und Reizbarkeit. Wenn die
Muskelbewegungen Wirkungen der wollenden Seele
ſind, ſo erklaͤre man, wie es geſchieht, daß wir bey
einem gaͤhlingen Schrecken, bey einem Kanonenſchuſ-
ſe, in die Hoͤhe ſpringen, alle Glieder bewegen, Din-
ge ergreifen oder von uns werfen, ohne daß es die
geringſte Wirkung unſeres Wollens war. Man hat
vom Schrecken gaͤhlinge Proben unglaublicher Staͤrke
geſehen. Eine ſchwache Weibsperſon wies einen ſtar-
ken Bettler ab. Der Spitzbub ergriff ſeinen Dolch.
Das Weibsbild pakte in außerordentlichem Schrecken
den Kerl am Leibe, und trug ihn ſchwebend zur Thuͤr
hinaus. Wir ſehen einen Menſchen von der Hoͤhe
ſtuͤrzen; wir fuͤhlen den Fall gleichſam in allen Glie-
dern, und ſpringen herbey oder greifen nach ihm, oh-
ne uͤberlegt zu haben, daß wir helfen wollen. Kann
man dieſes Wirkungen einer wollenden Seele heiſ-
ſen„?*) — — Iſenflamm erzaͤhlt den Fall, wo
das Herz durch das Bruſtbein mit dem Sucher (Son-
de) beruͤhrt wurde; der Sucher wurde merklich zu-
ruͤckgeſtoſſen, und der Kranke empfand eine ſonderba-
re Empfindung, die durch den ganzen Koͤrper drang,
und wobey er augenblicklich, ohne was davon zu wiſ-
ſen, vom Stule aufſprang, und ſich alſogleich wieder
niederſetzte.**)

§. 42.

Uebrigens hat man allzeit zugegeben, daß un-
ter gewiſſen Umſtaͤnden die Seele einige Herrſchaft

uͤber
*) 1 Stuͤck S. 171—173.
**) Praktiſche Anmerkungen uͤber die Muskeln S. 82.
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[176/0195] hat aber noch Gefuͤhl und Reizbarkeit. Wenn die Muskelbewegungen Wirkungen der wollenden Seele ſind, ſo erklaͤre man, wie es geſchieht, daß wir bey einem gaͤhlingen Schrecken, bey einem Kanonenſchuſ- ſe, in die Hoͤhe ſpringen, alle Glieder bewegen, Din- ge ergreifen oder von uns werfen, ohne daß es die geringſte Wirkung unſeres Wollens war. Man hat vom Schrecken gaͤhlinge Proben unglaublicher Staͤrke geſehen. Eine ſchwache Weibsperſon wies einen ſtar- ken Bettler ab. Der Spitzbub ergriff ſeinen Dolch. Das Weibsbild pakte in außerordentlichem Schrecken den Kerl am Leibe, und trug ihn ſchwebend zur Thuͤr hinaus. Wir ſehen einen Menſchen von der Hoͤhe ſtuͤrzen; wir fuͤhlen den Fall gleichſam in allen Glie- dern, und ſpringen herbey oder greifen nach ihm, oh- ne uͤberlegt zu haben, daß wir helfen wollen. Kann man dieſes Wirkungen einer wollenden Seele heiſ- ſen„? *) — — Iſenflamm erzaͤhlt den Fall, wo das Herz durch das Bruſtbein mit dem Sucher (Son- de) beruͤhrt wurde; der Sucher wurde merklich zu- ruͤckgeſtoſſen, und der Kranke empfand eine ſonderba- re Empfindung, die durch den ganzen Koͤrper drang, und wobey er augenblicklich, ohne was davon zu wiſ- ſen, vom Stule aufſprang, und ſich alſogleich wieder niederſetzte. **) §. 42. Uebrigens hat man allzeit zugegeben, daß un- ter gewiſſen Umſtaͤnden die Seele einige Herrſchaft uͤber *) 1 Stuͤck S. 171—173. **) Praktiſche Anmerkungen uͤber die Muskeln S. 82.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/195>, abgerufen am 13.11.2024.