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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Gefühl in dem kleinsten Insekt nicht eben so wunder-
bar, als das Vermögen zu denken im Gehirn eines
Newtons? Ist die Empfindung nicht eben sowohl ein
unvergleichliches Kunststück des Schöpfers? oder,
würde Helvet sagen, ist Denken etwas anders, als
Empfinden? Aus dem, daß alle empfindende Nerven
zum Gehirne laufen, folgt eben so wenig, daß dort
die denkende Seele wohne, als wenig man daraus er-
weisen kann, daß sie im Herzen wohne, weil aus
demselben der Ursprung aller Bewegung der Säfte
kömmt. Der Magen ist gebaut zur Dauung, das
Auge zum Sehen, das Ohr zum Hören: gewisse Thei-
le dienen zur Zeugung unseres Gleichens: das Herz ist
bestimmt zur Bewegung des Blutes, und das Gehirn
zum Denken: Gemüthskrankheiten fühlt man in der
Herzgrube. Warum habt ihr, sagen nun die Phi-
losophen, euer dauendes, euer hörendes, euer füh-
lendes Wesen nicht auch zur Seele gemacht? Kann
euer denkendes Wesen dem Ohr, dem Magen, dem
Herze gebieten? Wenn eure Seele, sagen sie weiter,
das denkende Wesen ist: so sollte man glauben, daß
sie in einem so eben abgehauenen Kopfe, der oft noch
nach seiner Trennung vom Körper in die Höhe springt,
mit den Lefzen plappert, wie ich es selber gesehen ha-
be, und in welchem der Markbalke, der Ursprungs-
ort der Nervenfasern, die Zirbeldrüse, oder was man
sonst zum Wohnsitze der Seele macht, noch lange un-
verändert bleibt, ungemein lebhaft denken müsse. --
Wenn euer Kopf vom Körper getrennt ist, so ist ver-
muthlich euer Vermögen zu Denken fort: Das Herz

hat

Gefuͤhl in dem kleinſten Inſekt nicht eben ſo wunder-
bar, als das Vermoͤgen zu denken im Gehirn eines
Newtons? Iſt die Empfindung nicht eben ſowohl ein
unvergleichliches Kunſtſtuͤck des Schoͤpfers? oder,
wuͤrde Helvet ſagen, iſt Denken etwas anders, als
Empfinden? Aus dem, daß alle empfindende Nerven
zum Gehirne laufen, folgt eben ſo wenig, daß dort
die denkende Seele wohne, als wenig man daraus er-
weiſen kann, daß ſie im Herzen wohne, weil aus
demſelben der Urſprung aller Bewegung der Saͤfte
koͤmmt. Der Magen iſt gebaut zur Dauung, das
Auge zum Sehen, das Ohr zum Hoͤren: gewiſſe Thei-
le dienen zur Zeugung unſeres Gleichens: das Herz iſt
beſtimmt zur Bewegung des Blutes, und das Gehirn
zum Denken: Gemuͤthskrankheiten fuͤhlt man in der
Herzgrube. Warum habt ihr, ſagen nun die Phi-
loſophen, euer dauendes, euer hoͤrendes, euer fuͤh-
lendes Weſen nicht auch zur Seele gemacht? Kann
euer denkendes Weſen dem Ohr, dem Magen, dem
Herze gebieten? Wenn eure Seele, ſagen ſie weiter,
das denkende Weſen iſt: ſo ſollte man glauben, daß
ſie in einem ſo eben abgehauenen Kopfe, der oft noch
nach ſeiner Trennung vom Koͤrper in die Hoͤhe ſpringt,
mit den Lefzen plappert, wie ich es ſelber geſehen ha-
be, und in welchem der Markbalke, der Urſprungs-
ort der Nervenfaſern, die Zirbeldruͤſe, oder was man
ſonſt zum Wohnſitze der Seele macht, noch lange un-
veraͤndert bleibt, ungemein lebhaft denken muͤſſe. —
Wenn euer Kopf vom Koͤrper getrennt iſt, ſo iſt ver-
muthlich euer Vermoͤgen zu Denken fort: Das Herz

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[175/0194] Gefuͤhl in dem kleinſten Inſekt nicht eben ſo wunder- bar, als das Vermoͤgen zu denken im Gehirn eines Newtons? Iſt die Empfindung nicht eben ſowohl ein unvergleichliches Kunſtſtuͤck des Schoͤpfers? oder, wuͤrde Helvet ſagen, iſt Denken etwas anders, als Empfinden? Aus dem, daß alle empfindende Nerven zum Gehirne laufen, folgt eben ſo wenig, daß dort die denkende Seele wohne, als wenig man daraus er- weiſen kann, daß ſie im Herzen wohne, weil aus demſelben der Urſprung aller Bewegung der Saͤfte koͤmmt. Der Magen iſt gebaut zur Dauung, das Auge zum Sehen, das Ohr zum Hoͤren: gewiſſe Thei- le dienen zur Zeugung unſeres Gleichens: das Herz iſt beſtimmt zur Bewegung des Blutes, und das Gehirn zum Denken: Gemuͤthskrankheiten fuͤhlt man in der Herzgrube. Warum habt ihr, ſagen nun die Phi- loſophen, euer dauendes, euer hoͤrendes, euer fuͤh- lendes Weſen nicht auch zur Seele gemacht? Kann euer denkendes Weſen dem Ohr, dem Magen, dem Herze gebieten? Wenn eure Seele, ſagen ſie weiter, das denkende Weſen iſt: ſo ſollte man glauben, daß ſie in einem ſo eben abgehauenen Kopfe, der oft noch nach ſeiner Trennung vom Koͤrper in die Hoͤhe ſpringt, mit den Lefzen plappert, wie ich es ſelber geſehen ha- be, und in welchem der Markbalke, der Urſprungs- ort der Nervenfaſern, die Zirbeldruͤſe, oder was man ſonſt zum Wohnſitze der Seele macht, noch lange un- veraͤndert bleibt, ungemein lebhaft denken muͤſſe. — Wenn euer Kopf vom Koͤrper getrennt iſt, ſo iſt ver- muthlich euer Vermoͤgen zu Denken fort: Das Herz hat

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/194>, abgerufen am 24.11.2024.