Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Gewächse gewöhnen sich nur nach und nach,
wie Mensch und Vieh, an einen fremden Himmels-
strich. Pflanzen, die in den südlichen Welttheilen ge-
wachsen, nach Europa gebracht werden, reifen das er-
ste Jahr später, weil sie noch, wie Herder sagt, die
Sonne ihres Klima erwarten; den folgenden Som-
mer allmählig geschwinder, weil sich schon ihre ganze
Beschaffenheit nach den Eindrücken von Außen zu rich-
ten angefangen hat. In der künstlichen Wärme der
Treibhäuser halten sie noch die Zeit ihres Vaterlandes
nach fünfzig Jahren. Die Pflanzen vom Cap blühen
im Winter, weil alsdann in ihrem Vaterlande Som-
mer ist. Die Wunderblume blüht gröstentheils nur
Nachts, vermuthlich, weil dann in Amerika, ihrem
Vaterlande, Tageszeit ist. Eben so hielt der ameri-
kanische Bär, den Linne beschrieben, in Schweden
die amerikanische Tag und Nachtzeit. Er schlief von
Mitternacht bis zu Mittag, und spazierte von Mit-
tag bis zur Mitternacht; mit seinen übrigen Instink-
ten hielt er sich ebenfalls an das Zeitmaaß seines Va-
terlandes. -- Wer sieht nicht überall die durchschei-
nende Aehnlichkeit zu den Thieren und dem Men-
schen?

§. 39.
Folgerungen aus den angeführten Vergleichen.

Also haben auch die Pflanzen einen organischen
Körper; sie haben ein Leben und einen Kreislauf,
wodurch Nahrung, Wachsthum, Ab- und Ausson-
derung und allerley Zubereitungen bewirkt werden; sie

befruchten

Die Gewaͤchſe gewoͤhnen ſich nur nach und nach,
wie Menſch und Vieh, an einen fremden Himmels-
ſtrich. Pflanzen, die in den ſuͤdlichen Welttheilen ge-
wachſen, nach Europa gebracht werden, reifen das er-
ſte Jahr ſpaͤter, weil ſie noch, wie Herder ſagt, die
Sonne ihres Klima erwarten; den folgenden Som-
mer allmaͤhlig geſchwinder, weil ſich ſchon ihre ganze
Beſchaffenheit nach den Eindruͤcken von Außen zu rich-
ten angefangen hat. In der kuͤnſtlichen Waͤrme der
Treibhaͤuſer halten ſie noch die Zeit ihres Vaterlandes
nach fuͤnfzig Jahren. Die Pflanzen vom Cap bluͤhen
im Winter, weil alsdann in ihrem Vaterlande Som-
mer iſt. Die Wunderblume bluͤht groͤſtentheils nur
Nachts, vermuthlich, weil dann in Amerika, ihrem
Vaterlande, Tageszeit iſt. Eben ſo hielt der ameri-
kaniſche Baͤr, den Linne beſchrieben, in Schweden
die amerikaniſche Tag und Nachtzeit. Er ſchlief von
Mitternacht bis zu Mittag, und ſpazierte von Mit-
tag bis zur Mitternacht; mit ſeinen uͤbrigen Inſtink-
ten hielt er ſich ebenfalls an das Zeitmaaß ſeines Va-
terlandes. — Wer ſieht nicht uͤberall die durchſchei-
nende Aehnlichkeit zu den Thieren und dem Men-
ſchen?

§. 39.
Folgerungen aus den angefuͤhrten Vergleichen.

Alſo haben auch die Pflanzen einen organiſchen
Koͤrper; ſie haben ein Leben und einen Kreislauf,
wodurch Nahrung, Wachsthum, Ab- und Ausſon-
derung und allerley Zubereitungen bewirkt werden; ſie

befruchten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0181" n="162"/>
            <p>Die Gewa&#x0364;ch&#x017F;e gewo&#x0364;hnen &#x017F;ich nur nach und nach,<lb/>
wie Men&#x017F;ch und Vieh, an einen fremden Himmels-<lb/>
&#x017F;trich. Pflanzen, die in den &#x017F;u&#x0364;dlichen Welttheilen ge-<lb/>
wach&#x017F;en, nach Europa gebracht werden, reifen das er-<lb/>
&#x017F;te Jahr &#x017F;pa&#x0364;ter, weil &#x017F;ie noch, wie <hi rendition="#fr">Herder</hi> &#x017F;agt, die<lb/>
Sonne ihres Klima erwarten; den folgenden Som-<lb/>
mer allma&#x0364;hlig ge&#x017F;chwinder, weil &#x017F;ich &#x017F;chon ihre ganze<lb/>
Be&#x017F;chaffenheit nach den Eindru&#x0364;cken von Außen zu rich-<lb/>
ten angefangen hat. In der ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Wa&#x0364;rme der<lb/>
Treibha&#x0364;u&#x017F;er halten &#x017F;ie noch die Zeit ihres Vaterlandes<lb/>
nach fu&#x0364;nfzig Jahren. Die Pflanzen vom Cap blu&#x0364;hen<lb/>
im Winter, weil alsdann in ihrem Vaterlande Som-<lb/>
mer i&#x017F;t. Die Wunderblume blu&#x0364;ht gro&#x0364;&#x017F;tentheils nur<lb/>
Nachts, vermuthlich, weil dann in Amerika, ihrem<lb/>
Vaterlande, Tageszeit i&#x017F;t. Eben &#x017F;o hielt der ameri-<lb/>
kani&#x017F;che Ba&#x0364;r, den <hi rendition="#fr">Linne</hi> be&#x017F;chrieben, in Schweden<lb/>
die amerikani&#x017F;che Tag und Nachtzeit. Er &#x017F;chlief von<lb/>
Mitternacht bis zu Mittag, und &#x017F;pazierte von Mit-<lb/>
tag bis zur Mitternacht; mit &#x017F;einen u&#x0364;brigen In&#x017F;tink-<lb/>
ten hielt er &#x017F;ich ebenfalls an das Zeitmaaß &#x017F;eines Va-<lb/>
terlandes. &#x2014; Wer &#x017F;ieht nicht u&#x0364;berall die durch&#x017F;chei-<lb/>
nende Aehnlichkeit zu den Thieren und dem Men-<lb/>
&#x017F;chen?</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 39.<lb/><hi rendition="#b">Folgerungen aus den angefu&#x0364;hrten Vergleichen.</hi></head><lb/>
            <p>Al&#x017F;o haben auch die Pflanzen einen organi&#x017F;chen<lb/>
Ko&#x0364;rper; &#x017F;ie haben ein Leben und einen Kreislauf,<lb/>
wodurch Nahrung, Wachsthum, Ab- und Aus&#x017F;on-<lb/>
derung und allerley Zubereitungen bewirkt werden; &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">befruchten</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0181] Die Gewaͤchſe gewoͤhnen ſich nur nach und nach, wie Menſch und Vieh, an einen fremden Himmels- ſtrich. Pflanzen, die in den ſuͤdlichen Welttheilen ge- wachſen, nach Europa gebracht werden, reifen das er- ſte Jahr ſpaͤter, weil ſie noch, wie Herder ſagt, die Sonne ihres Klima erwarten; den folgenden Som- mer allmaͤhlig geſchwinder, weil ſich ſchon ihre ganze Beſchaffenheit nach den Eindruͤcken von Außen zu rich- ten angefangen hat. In der kuͤnſtlichen Waͤrme der Treibhaͤuſer halten ſie noch die Zeit ihres Vaterlandes nach fuͤnfzig Jahren. Die Pflanzen vom Cap bluͤhen im Winter, weil alsdann in ihrem Vaterlande Som- mer iſt. Die Wunderblume bluͤht groͤſtentheils nur Nachts, vermuthlich, weil dann in Amerika, ihrem Vaterlande, Tageszeit iſt. Eben ſo hielt der ameri- kaniſche Baͤr, den Linne beſchrieben, in Schweden die amerikaniſche Tag und Nachtzeit. Er ſchlief von Mitternacht bis zu Mittag, und ſpazierte von Mit- tag bis zur Mitternacht; mit ſeinen uͤbrigen Inſtink- ten hielt er ſich ebenfalls an das Zeitmaaß ſeines Va- terlandes. — Wer ſieht nicht uͤberall die durchſchei- nende Aehnlichkeit zu den Thieren und dem Men- ſchen? §. 39. Folgerungen aus den angefuͤhrten Vergleichen. Alſo haben auch die Pflanzen einen organiſchen Koͤrper; ſie haben ein Leben und einen Kreislauf, wodurch Nahrung, Wachsthum, Ab- und Ausſon- derung und allerley Zubereitungen bewirkt werden; ſie befruchten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/181
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/181>, abgerufen am 22.11.2024.