sang und viel von ihrer Schönheit, die Fische ihren Wohlgeschmack, und die Pflanzen ihre schönste Farbe. Dem Schmetterlinge entfallen die Flügel und der A- them geht ihm aus. Ungeschwächt und allein kann er ein halbes Jahr leben. So lange die junge Pflan- ze keine Blume trägt, wiedersteht sie der Kälte des Winters, und die zu früh tragen, verderben zu erst. Die Maser hat oft hundert Jahre erlebt: sobald sie aber einmal die Blüthe entfaltet hat, so wird keine Erfahrung, keine Kunst hindern, daß nicht der präch- tige Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide. Die Schirmpalme wächst fünf und dreißig Jahr zu einer Höhe von siebenzig Schuhen, hierauf in vier Monaten noch dreißig Schuhe; nun blüht sie, bringt Früchte, und stirbt in demselben Jahr. Dieß ist der Gang der Natur bey Entwicklung der Wesen ausein- ander; der Strom geht fort, indeß sich eine Welle in die andere verliert." *)
Eben so geht es einzelnen Theilen. So bald sie überflüssig geworden sind, so hört Wachsthum und Nahrung bey Vieh und Mensch in denselben auf, z. B. in der großen Halsdrüse, der Nabelschnur, Bo- talls arteriösem Kanale; ja diese Theile werden nicht nur am Ende nicht mehr genährt, sondern ihre Be- standtheile werden abgenutzt und eingesogen, so daß sie endlich einschrumpfen, und an Grösse und Gewicht verlieren, wie wir dieses täglich an den Kinnladen und allen knorplichten Theilen u. s. w. alter Leute,
an
*) Herder 1 Thl. S. 70.
ſang und viel von ihrer Schoͤnheit, die Fiſche ihren Wohlgeſchmack, und die Pflanzen ihre ſchoͤnſte Farbe. Dem Schmetterlinge entfallen die Fluͤgel und der A- them geht ihm aus. Ungeſchwaͤcht und allein kann er ein halbes Jahr leben. So lange die junge Pflan- ze keine Blume traͤgt, wiederſteht ſie der Kaͤlte des Winters, und die zu fruͤh tragen, verderben zu erſt. Die Maſer hat oft hundert Jahre erlebt: ſobald ſie aber einmal die Bluͤthe entfaltet hat, ſo wird keine Erfahrung, keine Kunſt hindern, daß nicht der praͤch- tige Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide. Die Schirmpalme waͤchſt fuͤnf und dreißig Jahr zu einer Hoͤhe von ſiebenzig Schuhen, hierauf in vier Monaten noch dreißig Schuhe; nun bluͤht ſie, bringt Fruͤchte, und ſtirbt in demſelben Jahr. Dieß iſt der Gang der Natur bey Entwicklung der Weſen ausein- ander; der Strom geht fort, indeß ſich eine Welle in die andere verliert.〟 *)
Eben ſo geht es einzelnen Theilen. So bald ſie uͤberfluͤſſig geworden ſind, ſo hoͤrt Wachsthum und Nahrung bey Vieh und Menſch in denſelben auf, z. B. in der großen Halsdruͤſe, der Nabelſchnur, Bo- talls arterioͤſem Kanale; ja dieſe Theile werden nicht nur am Ende nicht mehr genaͤhrt, ſondern ihre Be- ſtandtheile werden abgenutzt und eingeſogen, ſo daß ſie endlich einſchrumpfen, und an Groͤſſe und Gewicht verlieren, wie wir dieſes taͤglich an den Kinnladen und allen knorplichten Theilen u. ſ. w. alter Leute,
an
*) Herder 1 Thl. S. 70.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0163"n="144"/>ſang und viel von ihrer Schoͤnheit, die Fiſche ihren<lb/>
Wohlgeſchmack, und die Pflanzen ihre ſchoͤnſte Farbe.<lb/>
Dem Schmetterlinge entfallen die Fluͤgel und der A-<lb/>
them geht ihm aus. Ungeſchwaͤcht und allein kann<lb/>
er ein halbes Jahr leben. So lange die junge Pflan-<lb/>
ze keine Blume traͤgt, wiederſteht ſie der Kaͤlte des<lb/>
Winters, und die zu fruͤh tragen, verderben zu erſt.<lb/>
Die Maſer hat oft hundert Jahre erlebt: ſobald ſie<lb/>
aber einmal die Bluͤthe entfaltet hat, ſo wird keine<lb/>
Erfahrung, keine Kunſt hindern, daß nicht der praͤch-<lb/>
tige Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide.<lb/>
Die Schirmpalme waͤchſt fuͤnf und dreißig Jahr zu<lb/>
einer Hoͤhe von ſiebenzig Schuhen, hierauf in vier<lb/>
Monaten noch dreißig Schuhe; nun bluͤht ſie, bringt<lb/>
Fruͤchte, und ſtirbt in demſelben Jahr. Dieß iſt der<lb/>
Gang der Natur bey Entwicklung der Weſen ausein-<lb/>
ander; der Strom geht fort, indeß ſich eine Welle<lb/>
in die andere verliert.〟<noteplace="foot"n="*)">Herder 1 Thl. S. 70.</note></p><lb/><p>Eben ſo geht es einzelnen Theilen. So bald<lb/>ſie uͤberfluͤſſig geworden ſind, ſo hoͤrt Wachsthum und<lb/>
Nahrung bey Vieh und Menſch in denſelben auf, z.<lb/>
B. in der großen Halsdruͤſe, der Nabelſchnur, <hirendition="#fr">Bo-<lb/>
talls</hi> arterioͤſem Kanale; ja dieſe Theile werden nicht<lb/>
nur am Ende nicht mehr genaͤhrt, ſondern ihre Be-<lb/>ſtandtheile werden abgenutzt und eingeſogen, ſo daß<lb/>ſie endlich einſchrumpfen, und an Groͤſſe und Gewicht<lb/>
verlieren, wie wir dieſes taͤglich an den Kinnladen<lb/>
und allen knorplichten Theilen u. ſ. w. alter Leute,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">an</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[144/0163]
ſang und viel von ihrer Schoͤnheit, die Fiſche ihren
Wohlgeſchmack, und die Pflanzen ihre ſchoͤnſte Farbe.
Dem Schmetterlinge entfallen die Fluͤgel und der A-
them geht ihm aus. Ungeſchwaͤcht und allein kann
er ein halbes Jahr leben. So lange die junge Pflan-
ze keine Blume traͤgt, wiederſteht ſie der Kaͤlte des
Winters, und die zu fruͤh tragen, verderben zu erſt.
Die Maſer hat oft hundert Jahre erlebt: ſobald ſie
aber einmal die Bluͤthe entfaltet hat, ſo wird keine
Erfahrung, keine Kunſt hindern, daß nicht der praͤch-
tige Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide.
Die Schirmpalme waͤchſt fuͤnf und dreißig Jahr zu
einer Hoͤhe von ſiebenzig Schuhen, hierauf in vier
Monaten noch dreißig Schuhe; nun bluͤht ſie, bringt
Fruͤchte, und ſtirbt in demſelben Jahr. Dieß iſt der
Gang der Natur bey Entwicklung der Weſen ausein-
ander; der Strom geht fort, indeß ſich eine Welle
in die andere verliert.〟 *)
Eben ſo geht es einzelnen Theilen. So bald
ſie uͤberfluͤſſig geworden ſind, ſo hoͤrt Wachsthum und
Nahrung bey Vieh und Menſch in denſelben auf, z.
B. in der großen Halsdruͤſe, der Nabelſchnur, Bo-
talls arterioͤſem Kanale; ja dieſe Theile werden nicht
nur am Ende nicht mehr genaͤhrt, ſondern ihre Be-
ſtandtheile werden abgenutzt und eingeſogen, ſo daß
ſie endlich einſchrumpfen, und an Groͤſſe und Gewicht
verlieren, wie wir dieſes taͤglich an den Kinnladen
und allen knorplichten Theilen u. ſ. w. alter Leute,
an
*) Herder 1 Thl. S. 70.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/163>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.