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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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hund durch Graben und sein starkes Gebiß; was der
Gelehrte durch Wachen und Nachsinnen erlangt, das
erlangt der Müssiggänger durch Tand und gesellschaft-
liche Zudringlichkeit;" der Weise sah, daß die Weis-
heit die Thorheit übertreffe, wie das Licht die Fin-
sterniß: daß dem Weisen seine Augen im Haupte ste-
hen, aber die Narren in Finsterniß gehen, und merk-
te doch, daß es einem geht wie dem andern."*) Der
Natur ist der Elephant nicht lieber, als die Milbe,
und der Feuerländer liegt ihr so nahe am Herzen, als
der Europäer. -- Wenn man die Vernunft und die
übrigen Vorzüge des Menschen deßwegen nicht ange-
bohren heißen will, weil sie sich erst langsam, erst
durch sinnliche Bilder entspinnen, so sage ich, dem
Menschen seye das Zeugungsgeschäft und der Tod,
dem Stier das Stoßen und dem Hengst das Schlagen
auch nicht angebohren, weil sich alles dieses erst stu-
fenweis zu seiner Vollkommenheit entwickelt. Ideen
sind uns freylich keine angebohren; aber das Vermö-
gen, die Ideen, welche wir erhalten werden, zu
vergleichen -- und dieses ist Vernunft, oder, wenn man
strengere Ausdrücke verlangt, Vernunftfähigkeit. Da-
rum, daß uns die Ideen nicht angebohren sind, auch
die angebohrne Vernunft leugnen, kömmt just so her-
nus, als wenn wir sagen wollten: Die Brüste der
Mutter sind dem Kinde nicht angebohren; also ist ihm
auch das Saugen oder Saugvermögen nicht angeboh-
ren. Keinen Gegenstand zum Sehen, Hören, Fühlen

Schmecken,
*) Pred Sal. K. 2. 13. 14.
Galls I. Bard. J

hund durch Graben und ſein ſtarkes Gebiß; was der
Gelehrte durch Wachen und Nachſinnen erlangt, das
erlangt der Muͤſſiggaͤnger durch Tand und geſellſchaft-
liche Zudringlichkeit;„ der Weiſe ſah, daß die Weis-
heit die Thorheit uͤbertreffe, wie das Licht die Fin-
ſterniß: daß dem Weiſen ſeine Augen im Haupte ſte-
hen, aber die Narren in Finſterniß gehen, und merk-
te doch, daß es einem geht wie dem andern.„*) Der
Natur iſt der Elephant nicht lieber, als die Milbe,
und der Feuerlaͤnder liegt ihr ſo nahe am Herzen, als
der Europaͤer. — Wenn man die Vernunft und die
uͤbrigen Vorzuͤge des Menſchen deßwegen nicht ange-
bohren heißen will, weil ſie ſich erſt langſam, erſt
durch ſinnliche Bilder entſpinnen, ſo ſage ich, dem
Menſchen ſeye das Zeugungsgeſchaͤft und der Tod,
dem Stier das Stoßen und dem Hengſt das Schlagen
auch nicht angebohren, weil ſich alles dieſes erſt ſtu-
fenweis zu ſeiner Vollkommenheit entwickelt. Ideen
ſind uns freylich keine angebohren; aber das Vermoͤ-
gen, die Ideen, welche wir erhalten werden, zu
vergleichen — und dieſes iſt Vernunft, oder, wenn man
ſtrengere Ausdruͤcke verlangt, Vernunftfaͤhigkeit. Da-
rum, daß uns die Ideen nicht angebohren ſind, auch
die angebohrne Vernunft leugnen, koͤmmt juſt ſo her-
nus, als wenn wir ſagen wollten: Die Bruͤſte der
Mutter ſind dem Kinde nicht angebohren; alſo iſt ihm
auch das Saugen oder Saugvermoͤgen nicht angeboh-
ren. Keinen Gegenſtand zum Sehen, Hoͤren, Fuͤhlen

Schmecken,
*) Pred Sal. K. 2. 13. 14.
Galls I. Bard. J
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[129/0148] hund durch Graben und ſein ſtarkes Gebiß; was der Gelehrte durch Wachen und Nachſinnen erlangt, das erlangt der Muͤſſiggaͤnger durch Tand und geſellſchaft- liche Zudringlichkeit;„ der Weiſe ſah, daß die Weis- heit die Thorheit uͤbertreffe, wie das Licht die Fin- ſterniß: daß dem Weiſen ſeine Augen im Haupte ſte- hen, aber die Narren in Finſterniß gehen, und merk- te doch, daß es einem geht wie dem andern.„ *) Der Natur iſt der Elephant nicht lieber, als die Milbe, und der Feuerlaͤnder liegt ihr ſo nahe am Herzen, als der Europaͤer. — Wenn man die Vernunft und die uͤbrigen Vorzuͤge des Menſchen deßwegen nicht ange- bohren heißen will, weil ſie ſich erſt langſam, erſt durch ſinnliche Bilder entſpinnen, ſo ſage ich, dem Menſchen ſeye das Zeugungsgeſchaͤft und der Tod, dem Stier das Stoßen und dem Hengſt das Schlagen auch nicht angebohren, weil ſich alles dieſes erſt ſtu- fenweis zu ſeiner Vollkommenheit entwickelt. Ideen ſind uns freylich keine angebohren; aber das Vermoͤ- gen, die Ideen, welche wir erhalten werden, zu vergleichen — und dieſes iſt Vernunft, oder, wenn man ſtrengere Ausdruͤcke verlangt, Vernunftfaͤhigkeit. Da- rum, daß uns die Ideen nicht angebohren ſind, auch die angebohrne Vernunft leugnen, koͤmmt juſt ſo her- nus, als wenn wir ſagen wollten: Die Bruͤſte der Mutter ſind dem Kinde nicht angebohren; alſo iſt ihm auch das Saugen oder Saugvermoͤgen nicht angeboh- ren. Keinen Gegenſtand zum Sehen, Hoͤren, Fuͤhlen Schmecken, *) Pred Sal. K. 2. 13. 14. Galls I. Bard. J

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/148>, abgerufen am 24.11.2024.