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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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weder verdunkelt, oder gar nicht empfunden werden.
Hier war der Sinn des Gefühles der herrschende, und
die Verrichtung des Sehens kann in einem an den
Reitz des Lichts noch ungewöhnten Auge nur unvollkom-
men seyn. Selbst da hat in der That zwischen den
Lichtstrahlen und dem Sehnerven eine wahre Berüh-
rung statt: Ist es also wunder wenn dieser schwächere
Eindruck den herrschenden Sinn des Gefühls in Be-
wegung setzt? Wir dörfen nur einer Musik lange
zugehört haben, so hören wir noch lange Zeit hernach
den Schall und Einklang der Instrumente. Ein sehr
lebhaftes Bild kann man oft mehrere Tage nicht vom
Gesichte weg bringen. Wer lange mit Karten gespielt
hat, glaubt nachher überall Karten zu sehen, und
er bedarf einer reflektirten Aufmerksamkeit, um ganz
der Täuschung zu entgehen. Eben dieses nebst dem gros-
sen Gesetz der Ideenvergesellschaftung ist auch die Ur-
sache, warum wir noch am abgenommenen Arme zu füh-
[l]en glauben; warum wir beym Anblick der Rose ihren
Geruch, und beym Geruch des Rosenwassers das Bild
der Rose selbst gegenwärtig haben. Endlich sezt man
hier mit unrecht ein vollkommenes Auge voraus; denn
die Lichtmaterie ist mit den Säften, den Gefäßen,
den Nerven des Auges nothwendig in so ein Verhält-
niß gesetzt worden, daß diese durch jene in ihrer Mi-
schung, Lage, Reizbarkeit u, s. w. unstreitig verschie-
deutlich verändert werden können. Daher sehen wir
nichts in die Ferne, wenn wir lange gelesen oder ge-
schrieben haben, nichts in der Nähe, wenn wir lange
weit ausgesehen haben; Licht und Finsterniß thun uns

weh,

weder verdunkelt, oder gar nicht empfunden werden.
Hier war der Sinn des Gefuͤhles der herrſchende, und
die Verrichtung des Sehens kann in einem an den
Reitz des Lichts noch ungewoͤhnten Auge nur unvollkom-
men ſeyn. Selbſt da hat in der That zwiſchen den
Lichtſtrahlen und dem Sehnerven eine wahre Beruͤh-
rung ſtatt: Iſt es alſo wunder wenn dieſer ſchwaͤchere
Eindruck den herrſchenden Sinn des Gefuͤhls in Be-
wegung ſetzt? Wir doͤrfen nur einer Muſik lange
zugehoͤrt haben, ſo hoͤren wir noch lange Zeit hernach
den Schall und Einklang der Inſtrumente. Ein ſehr
lebhaftes Bild kann man oft mehrere Tage nicht vom
Geſichte weg bringen. Wer lange mit Karten geſpielt
hat, glaubt nachher uͤberall Karten zu ſehen, und
er bedarf einer reflektirten Aufmerkſamkeit, um ganz
der Taͤuſchung zu entgehen. Eben dieſes nebſt dem groſ-
ſen Geſetz der Ideenvergeſellſchaftung iſt auch die Ur-
ſache, warum wir noch am abgenommenen Arme zu fuͤh-
[l]en glauben; warum wir beym Anblick der Roſe ihren
Geruch, und beym Geruch des Roſenwaſſers das Bild
der Roſe ſelbſt gegenwaͤrtig haben. Endlich ſezt man
hier mit unrecht ein vollkommenes Auge voraus; denn
die Lichtmaterie iſt mit den Saͤften, den Gefaͤßen,
den Nerven des Auges nothwendig in ſo ein Verhaͤlt-
niß geſetzt worden, daß dieſe durch jene in ihrer Mi-
ſchung, Lage, Reizbarkeit u, ſ. w. unſtreitig verſchie-
deutlich veraͤndert werden koͤnnen. Daher ſehen wir
nichts in die Ferne, wenn wir lange geleſen oder ge-
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[126/0145] weder verdunkelt, oder gar nicht empfunden werden. Hier war der Sinn des Gefuͤhles der herrſchende, und die Verrichtung des Sehens kann in einem an den Reitz des Lichts noch ungewoͤhnten Auge nur unvollkom- men ſeyn. Selbſt da hat in der That zwiſchen den Lichtſtrahlen und dem Sehnerven eine wahre Beruͤh- rung ſtatt: Iſt es alſo wunder wenn dieſer ſchwaͤchere Eindruck den herrſchenden Sinn des Gefuͤhls in Be- wegung ſetzt? Wir doͤrfen nur einer Muſik lange zugehoͤrt haben, ſo hoͤren wir noch lange Zeit hernach den Schall und Einklang der Inſtrumente. Ein ſehr lebhaftes Bild kann man oft mehrere Tage nicht vom Geſichte weg bringen. Wer lange mit Karten geſpielt hat, glaubt nachher uͤberall Karten zu ſehen, und er bedarf einer reflektirten Aufmerkſamkeit, um ganz der Taͤuſchung zu entgehen. Eben dieſes nebſt dem groſ- ſen Geſetz der Ideenvergeſellſchaftung iſt auch die Ur- ſache, warum wir noch am abgenommenen Arme zu fuͤh- len glauben; warum wir beym Anblick der Roſe ihren Geruch, und beym Geruch des Roſenwaſſers das Bild der Roſe ſelbſt gegenwaͤrtig haben. Endlich ſezt man hier mit unrecht ein vollkommenes Auge voraus; denn die Lichtmaterie iſt mit den Saͤften, den Gefaͤßen, den Nerven des Auges nothwendig in ſo ein Verhaͤlt- niß geſetzt worden, daß dieſe durch jene in ihrer Mi- ſchung, Lage, Reizbarkeit u, ſ. w. unſtreitig verſchie- deutlich veraͤndert werden koͤnnen. Daher ſehen wir nichts in die Ferne, wenn wir lange geleſen oder ge- ſchrieben haben, nichts in der Naͤhe, wenn wir lange weit ausgeſehen haben; Licht und Finſterniß thun uns weh,

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/145>, abgerufen am 22.11.2024.