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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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fallen könnte. Steckt es aber fester, so zieht er den
Kopf rückwärts in die Höhe, und schüttelt ihn, da-
mit das Bein in den Magen falle. Endlich greift er
mit den Toppen ins Maul, bemüht sich sehr ängstlich,
es mit den Klauen loszukrazen; dieses reizt ihn zugleich
zum Husten; er zerreißet sich den Rachen, und wenn
er alles, was in seiner Macht war, umsonst versucht
hat, so eilt er traurig zu seinem Herrn, dem er seine
Noth bald zu verstehen giebt, und läßt sich das Bein
gelassen herausnehmen. -- Der eingesperrte Hahn
scharret den Mörtel von der Mauer und verschlückt
ihn. -- Der Affe, der Hund, der Hengst und der
Bock wissen sich vom Ueberfluß des Samens zu be-
freyen. Dieses sind nun freylich lauter instinktmäßig
geübte Kunstfertigkeiten, wovon ich auch beim Men-
schen schon Beyspiele genug angeführt habe, und je-
der sich selbst eine Menge denken kann.

Aber man geht zu weit, wenn man darauf ei-
nen Unterschied zwischen Mensch und Thier gründen
will: daß nämlich das Thier ursprünglich alles, was
es wissen sollte, alsogleich vollkommen wisse, seine
Sinne instinktmässig durch angebohrne Kunstfertigkei-
ten übe; da hingegen dieses der Mensch alles erst
lernen müsse, und nur durchs Lernen zum Menschen
werde. Es ist schwer, so einseitige Ausdrücke genau
nach dem Sinne des Schriftstellers zu verstehen; al-
lein so viel weiß ich gewiß, daß auch in dieser Rück-
sicht das Thier in keinem Falle mehr weiß, als der
Mensch, wenn nur nicht seine ganze Verfassung
ein vollständigeres angebohrnes Wissen nöthig mach-

te.

fallen koͤnnte. Steckt es aber feſter, ſo zieht er den
Kopf ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe, und ſchuͤttelt ihn, da-
mit das Bein in den Magen falle. Endlich greift er
mit den Toppen ins Maul, bemuͤht ſich ſehr aͤngſtlich,
es mit den Klauen loszukrazen; dieſes reizt ihn zugleich
zum Huſten; er zerreißet ſich den Rachen, und wenn
er alles, was in ſeiner Macht war, umſonſt verſucht
hat, ſo eilt er traurig zu ſeinem Herrn, dem er ſeine
Noth bald zu verſtehen giebt, und laͤßt ſich das Bein
gelaſſen herausnehmen. — Der eingeſperrte Hahn
ſcharret den Moͤrtel von der Mauer und verſchluͤckt
ihn. — Der Affe, der Hund, der Hengſt und der
Bock wiſſen ſich vom Ueberfluß des Samens zu be-
freyen. Dieſes ſind nun freylich lauter inſtinktmaͤßig
geuͤbte Kunſtfertigkeiten, wovon ich auch beim Men-
ſchen ſchon Beyſpiele genug angefuͤhrt habe, und je-
der ſich ſelbſt eine Menge denken kann.

Aber man geht zu weit, wenn man darauf ei-
nen Unterſchied zwiſchen Menſch und Thier gruͤnden
will: daß naͤmlich das Thier urſpruͤnglich alles, was
es wiſſen ſollte, alſogleich vollkommen wiſſe, ſeine
Sinne inſtinktmaͤſſig durch angebohrne Kunſtfertigkei-
ten uͤbe; da hingegen dieſes der Menſch alles erſt
lernen muͤſſe, und nur durchs Lernen zum Menſchen
werde. Es iſt ſchwer, ſo einſeitige Ausdruͤcke genau
nach dem Sinne des Schriftſtellers zu verſtehen; al-
lein ſo viel weiß ich gewiß, daß auch in dieſer Ruͤck-
ſicht das Thier in keinem Falle mehr weiß, als der
Menſch, wenn nur nicht ſeine ganze Verfaſſung
ein vollſtaͤndigeres angebohrnes Wiſſen noͤthig mach-

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[121/0140] fallen koͤnnte. Steckt es aber feſter, ſo zieht er den Kopf ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe, und ſchuͤttelt ihn, da- mit das Bein in den Magen falle. Endlich greift er mit den Toppen ins Maul, bemuͤht ſich ſehr aͤngſtlich, es mit den Klauen loszukrazen; dieſes reizt ihn zugleich zum Huſten; er zerreißet ſich den Rachen, und wenn er alles, was in ſeiner Macht war, umſonſt verſucht hat, ſo eilt er traurig zu ſeinem Herrn, dem er ſeine Noth bald zu verſtehen giebt, und laͤßt ſich das Bein gelaſſen herausnehmen. — Der eingeſperrte Hahn ſcharret den Moͤrtel von der Mauer und verſchluͤckt ihn. — Der Affe, der Hund, der Hengſt und der Bock wiſſen ſich vom Ueberfluß des Samens zu be- freyen. Dieſes ſind nun freylich lauter inſtinktmaͤßig geuͤbte Kunſtfertigkeiten, wovon ich auch beim Men- ſchen ſchon Beyſpiele genug angefuͤhrt habe, und je- der ſich ſelbſt eine Menge denken kann. Aber man geht zu weit, wenn man darauf ei- nen Unterſchied zwiſchen Menſch und Thier gruͤnden will: daß naͤmlich das Thier urſpruͤnglich alles, was es wiſſen ſollte, alſogleich vollkommen wiſſe, ſeine Sinne inſtinktmaͤſſig durch angebohrne Kunſtfertigkei- ten uͤbe; da hingegen dieſes der Menſch alles erſt lernen muͤſſe, und nur durchs Lernen zum Menſchen werde. Es iſt ſchwer, ſo einſeitige Ausdruͤcke genau nach dem Sinne des Schriftſtellers zu verſtehen; al- lein ſo viel weiß ich gewiß, daß auch in dieſer Ruͤck- ſicht das Thier in keinem Falle mehr weiß, als der Menſch, wenn nur nicht ſeine ganze Verfaſſung ein vollſtaͤndigeres angebohrnes Wiſſen noͤthig mach- te.

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/140>, abgerufen am 22.11.2024.