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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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ihrem Schöpfer so angelegen, daß er es allen schlech-
terdings unmöglich machte, ein erkanntes Uebel zu
wollen, oder ein erkanntes Gut zu hassen.

Der Mensch ist also bey weitem nicht so seinem
Dünkel überlassen worden; er ist bey weitem nicht
so sehr Schöpfer seiner Handlungen, als es ihn der
Stolz und die Eigenliebe überredet haben. Der
Hauptplan ist auch ihm vorgezeichnet. Und er steht
zwischen Schranken, die ihn nur deswegen nicht auf-
zuhalten scheinen, weil sein Gott alles, was in seinen
Wirkungskreis gehören sollte, mit seinem Glück und
seiner Behaglichkeit wunderbar zu vereinigen wuste.

Man löse sich nun selbst die Frage auf: Wer
von beyden, der Mensch oder das Thier vollkommner
oder unvollkommner gebohren werde? -- Dennoch
sagt Herder: "das Menschliche Kind kömmt schwä-
cher auf die Welt, als keines der Thiere. -- -- --
Ehe das Kind gehen lernt, lernt es sehen, hören,
greifen und die feinste Mechanik und Meßkunst dieser
Sinne üben. Es übt sie so instinktmäßig als das
Thier; nur auf eine feinere Weise. Nicht durch an-
gebohrne Fertigkeiten und Künste: denn alle Kunst-
fertigkeiten der Thiere sind Folgen gröberer Reize;
und wären diese von Kindheit an herrschend da: so
bliebe der Mensch ein Thier, so würde er, da er schon
alles kann, ehe ers lernte, nichts menschliches lernen."
-- Allein das Verhältniß der Schwäche zwischen dem
Menschen und dem Thiere bey ihrer Geburt läßt sich
auf keine Weise genau bestimmen. Manche Thiere,
die übrigens ihrer Art nach vollkommen und nerven-

ihrem Schoͤpfer ſo angelegen, daß er es allen ſchlech-
terdings unmoͤglich machte, ein erkanntes Uebel zu
wollen, oder ein erkanntes Gut zu haſſen.

Der Menſch iſt alſo bey weitem nicht ſo ſeinem
Duͤnkel uͤberlaſſen worden; er iſt bey weitem nicht
ſo ſehr Schoͤpfer ſeiner Handlungen, als es ihn der
Stolz und die Eigenliebe uͤberredet haben. Der
Hauptplan iſt auch ihm vorgezeichnet. Und er ſteht
zwiſchen Schranken, die ihn nur deswegen nicht auf-
zuhalten ſcheinen, weil ſein Gott alles, was in ſeinen
Wirkungskreis gehoͤren ſollte, mit ſeinem Gluͤck und
ſeiner Behaglichkeit wunderbar zu vereinigen wuſte.

Man loͤſe ſich nun ſelbſt die Frage auf: Wer
von beyden, der Menſch oder das Thier vollkommner
oder unvollkommner gebohren werde? — Dennoch
ſagt Herder: „das Menſchliche Kind koͤmmt ſchwaͤ-
cher auf die Welt, als keines der Thiere. — — —
Ehe das Kind gehen lernt, lernt es ſehen, hoͤren,
greifen und die feinſte Mechanik und Meßkunſt dieſer
Sinne uͤben. Es uͤbt ſie ſo inſtinktmaͤßig als das
Thier; nur auf eine feinere Weiſe. Nicht durch an-
gebohrne Fertigkeiten und Kuͤnſte: denn alle Kunſt-
fertigkeiten der Thiere ſind Folgen groͤberer Reize;
und waͤren dieſe von Kindheit an herrſchend da: ſo
bliebe der Menſch ein Thier, ſo wuͤrde er, da er ſchon
alles kann, ehe ers lernte, nichts menſchliches lernen.„
— Allein das Verhaͤltniß der Schwaͤche zwiſchen dem
Menſchen und dem Thiere bey ihrer Geburt laͤßt ſich
auf keine Weiſe genau beſtimmen. Manche Thiere,
die uͤbrigens ihrer Art nach vollkommen und nerven-

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[118/0137] ihrem Schoͤpfer ſo angelegen, daß er es allen ſchlech- terdings unmoͤglich machte, ein erkanntes Uebel zu wollen, oder ein erkanntes Gut zu haſſen. Der Menſch iſt alſo bey weitem nicht ſo ſeinem Duͤnkel uͤberlaſſen worden; er iſt bey weitem nicht ſo ſehr Schoͤpfer ſeiner Handlungen, als es ihn der Stolz und die Eigenliebe uͤberredet haben. Der Hauptplan iſt auch ihm vorgezeichnet. Und er ſteht zwiſchen Schranken, die ihn nur deswegen nicht auf- zuhalten ſcheinen, weil ſein Gott alles, was in ſeinen Wirkungskreis gehoͤren ſollte, mit ſeinem Gluͤck und ſeiner Behaglichkeit wunderbar zu vereinigen wuſte. Man loͤſe ſich nun ſelbſt die Frage auf: Wer von beyden, der Menſch oder das Thier vollkommner oder unvollkommner gebohren werde? — Dennoch ſagt Herder: „das Menſchliche Kind koͤmmt ſchwaͤ- cher auf die Welt, als keines der Thiere. — — — Ehe das Kind gehen lernt, lernt es ſehen, hoͤren, greifen und die feinſte Mechanik und Meßkunſt dieſer Sinne uͤben. Es uͤbt ſie ſo inſtinktmaͤßig als das Thier; nur auf eine feinere Weiſe. Nicht durch an- gebohrne Fertigkeiten und Kuͤnſte: denn alle Kunſt- fertigkeiten der Thiere ſind Folgen groͤberer Reize; und waͤren dieſe von Kindheit an herrſchend da: ſo bliebe der Menſch ein Thier, ſo wuͤrde er, da er ſchon alles kann, ehe ers lernte, nichts menſchliches lernen.„ — Allein das Verhaͤltniß der Schwaͤche zwiſchen dem Menſchen und dem Thiere bey ihrer Geburt laͤßt ſich auf keine Weiſe genau beſtimmen. Manche Thiere, die uͤbrigens ihrer Art nach vollkommen und nerven-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/137>, abgerufen am 24.11.2024.