Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

sen, und wirklich ändern, wie das Beyspiel einiger
verwilderten Menschen zeigt. Der Irrländische Kna-
be, den Tulpius beschrieben, hatte eine flache Stirn,
ein erhöhetes Hinterhaupt, eine weite blökende Keh-
le, eine dicke an den Gaumen gewachsene Zunge, eine
starke einwärts gezogene Herzgrube; gerade wie es sein
vierfüssiger Gang geben muste.

"Lauter Erweise, sagt Herder, wie sehr sich
die biegsame menschliche Natur, selbst da sie von Men-
schen gebohren, und eine Zeitlang unter ihnen erzogen
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart
gewöhnen konnte, unter die sie ein unglücklicher Zufall
setzte. -- -- -- Wo er ist, ist er der Herr und
Diener der Natur, ihr liebstes Kind, und vielleicht
härteste gehaltene Sklave. Vortheile und Nachtheile,
Krankheiten und Uibel, so wie neue Arten des Ge-
nusses, der Fülle, des Seegens erwarten überall sein,
und nachdem die Würfel dieser Umstände und Beschaf-
fenheiten fallen, nachdem wird er werden."

§. 30.
In Rücksicht der Vorsorge der Natur, der an-
gebohrnen Kunstfertigkeiten, angebohrnen Ge-
müthsfähigkeiten und der angebohrnen Voll-
kommenheit.

Da kein Geschöpf für sich allein bestehen konn-
te, so ist jedwedes in das ihm zuträgliche Element
und zu der nöthigen Nahrung gesetzt worden, oder es
erhielt Sinne, dieselbe aufzusuchen und zu unterschei-
den. Eben so hat die Natur die ersten Menschen mit

denje-

ſen, und wirklich aͤndern, wie das Beyſpiel einiger
verwilderten Menſchen zeigt. Der Irrlaͤndiſche Kna-
be, den Tulpius beſchrieben, hatte eine flache Stirn,
ein erhoͤhetes Hinterhaupt, eine weite bloͤkende Keh-
le, eine dicke an den Gaumen gewachſene Zunge, eine
ſtarke einwaͤrts gezogene Herzgrube; gerade wie es ſein
vierfuͤſſiger Gang geben muſte.

“Lauter Erweiſe, ſagt Herder, wie ſehr ſich
die biegſame menſchliche Natur, ſelbſt da ſie von Men-
ſchen gebohren, und eine Zeitlang unter ihnen erzogen
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart
gewoͤhnen konnte, unter die ſie ein ungluͤcklicher Zufall
ſetzte. — — — Wo er iſt, iſt er der Herr und
Diener der Natur, ihr liebſtes Kind, und vielleicht
haͤrteſte gehaltene Sklave. Vortheile und Nachtheile,
Krankheiten und Uibel, ſo wie neue Arten des Ge-
nuſſes, der Fuͤlle, des Seegens erwarten uͤberall ſein,
und nachdem die Wuͤrfel dieſer Umſtaͤnde und Beſchaf-
fenheiten fallen, nachdem wird er werden.„

§. 30.
In Ruͤckſicht der Vorſorge der Natur, der an-
gebohrnen Kunſtfertigkeiten, angebohrnen Ge-
muͤthsfaͤhigkeiten und der angebohrnen Voll-
kommenheit.

Da kein Geſchoͤpf fuͤr ſich allein beſtehen konn-
te, ſo iſt jedwedes in das ihm zutraͤgliche Element
und zu der noͤthigen Nahrung geſetzt worden, oder es
erhielt Sinne, dieſelbe aufzuſuchen und zu unterſchei-
den. Eben ſo hat die Natur die erſten Menſchen mit

denje-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0130" n="111"/>
&#x017F;en, und wirklich a&#x0364;ndern, wie das Bey&#x017F;piel einiger<lb/>
verwilderten Men&#x017F;chen zeigt. Der Irrla&#x0364;ndi&#x017F;che Kna-<lb/>
be, den <hi rendition="#fr">Tulpius</hi> be&#x017F;chrieben, hatte eine flache Stirn,<lb/>
ein erho&#x0364;hetes Hinterhaupt, eine weite blo&#x0364;kende Keh-<lb/>
le, eine dicke an den Gaumen gewach&#x017F;ene Zunge, eine<lb/>
&#x017F;tarke einwa&#x0364;rts gezogene Herzgrube; gerade wie es &#x017F;ein<lb/>
vierfu&#x0364;&#x017F;&#x017F;iger Gang geben mu&#x017F;te.</p><lb/>
            <p>&#x201C;Lauter Erwei&#x017F;e, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Herder</hi>, wie &#x017F;ehr &#x017F;ich<lb/>
die bieg&#x017F;ame men&#x017F;chliche Natur, &#x017F;elb&#x017F;t da &#x017F;ie von Men-<lb/>
&#x017F;chen gebohren, und eine Zeitlang unter ihnen erzogen<lb/>
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart<lb/>
gewo&#x0364;hnen konnte, unter die &#x017F;ie ein unglu&#x0364;cklicher Zufall<lb/>
&#x017F;etzte. &#x2014; &#x2014; &#x2014; Wo er i&#x017F;t, i&#x017F;t er der Herr und<lb/>
Diener der Natur, ihr lieb&#x017F;tes Kind, und vielleicht<lb/>
ha&#x0364;rte&#x017F;te gehaltene Sklave. Vortheile und Nachtheile,<lb/>
Krankheiten und Uibel, &#x017F;o wie neue Arten des Ge-<lb/>
nu&#x017F;&#x017F;es, der Fu&#x0364;lle, des Seegens erwarten u&#x0364;berall &#x017F;ein,<lb/>
und nachdem die Wu&#x0364;rfel die&#x017F;er Um&#x017F;ta&#x0364;nde und Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheiten fallen, nachdem wird er werden.&#x201E;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 30.<lb/><hi rendition="#b">In Ru&#x0364;ck&#x017F;icht der Vor&#x017F;orge der Natur, der an-<lb/>
gebohrnen Kun&#x017F;tfertigkeiten, angebohrnen Ge-<lb/>
mu&#x0364;thsfa&#x0364;higkeiten und der angebohrnen Voll-<lb/>
kommenheit.</hi></head><lb/>
            <p>Da kein Ge&#x017F;cho&#x0364;pf fu&#x0364;r &#x017F;ich allein be&#x017F;tehen konn-<lb/>
te, &#x017F;o i&#x017F;t jedwedes in das ihm zutra&#x0364;gliche Element<lb/>
und zu der no&#x0364;thigen Nahrung ge&#x017F;etzt worden, oder es<lb/>
erhielt Sinne, die&#x017F;elbe aufzu&#x017F;uchen und zu unter&#x017F;chei-<lb/>
den. Eben &#x017F;o hat die Natur die er&#x017F;ten Men&#x017F;chen mit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">denje-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0130] ſen, und wirklich aͤndern, wie das Beyſpiel einiger verwilderten Menſchen zeigt. Der Irrlaͤndiſche Kna- be, den Tulpius beſchrieben, hatte eine flache Stirn, ein erhoͤhetes Hinterhaupt, eine weite bloͤkende Keh- le, eine dicke an den Gaumen gewachſene Zunge, eine ſtarke einwaͤrts gezogene Herzgrube; gerade wie es ſein vierfuͤſſiger Gang geben muſte. “Lauter Erweiſe, ſagt Herder, wie ſehr ſich die biegſame menſchliche Natur, ſelbſt da ſie von Men- ſchen gebohren, und eine Zeitlang unter ihnen erzogen worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart gewoͤhnen konnte, unter die ſie ein ungluͤcklicher Zufall ſetzte. — — — Wo er iſt, iſt er der Herr und Diener der Natur, ihr liebſtes Kind, und vielleicht haͤrteſte gehaltene Sklave. Vortheile und Nachtheile, Krankheiten und Uibel, ſo wie neue Arten des Ge- nuſſes, der Fuͤlle, des Seegens erwarten uͤberall ſein, und nachdem die Wuͤrfel dieſer Umſtaͤnde und Beſchaf- fenheiten fallen, nachdem wird er werden.„ §. 30. In Ruͤckſicht der Vorſorge der Natur, der an- gebohrnen Kunſtfertigkeiten, angebohrnen Ge- muͤthsfaͤhigkeiten und der angebohrnen Voll- kommenheit. Da kein Geſchoͤpf fuͤr ſich allein beſtehen konn- te, ſo iſt jedwedes in das ihm zutraͤgliche Element und zu der noͤthigen Nahrung geſetzt worden, oder es erhielt Sinne, dieſelbe aufzuſuchen und zu unterſchei- den. Eben ſo hat die Natur die erſten Menſchen mit denje-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/130
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/130>, abgerufen am 22.11.2024.