Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
behutsamste Erfahrung ein Trugschluß seye? Setz-
ten uns Zeitalter, Hilfswissenschaften und
Vorbegriffe, die gewöhnte Gedankenreihe, kal-
ter, aber ernster Beobachtungstrieb, scharfer,
geübter Beobachtungsgeist, Selbstbeherrschung,
Anhaltsamkeit und Langmuth im Prüfen, Drang
an Kenntnißen zu wachsen, Wahrheitsliebe und
Wahrheitssinn; -- die Abwesenheit mancher-
ley Hinderniße, als: Uebereilung, unruhige Be-
gierde etwas Bestimmtes zu beobachten, Satt-
weisheit, Allgenügsamkeit, Vorurtheil etc. --
Setzten uns endlich Laune, Temperament, die
unentbehrliche Begünstigung von Seiten der
Organisation, und die wiederholten Gelegen-
heiten in den Stand, richtig zu erfahren, und
das Erfahrne zu berichtigen? -- -- In der
That eben so viele Ursachen, warum man alle
Hoffnung aufgeben sollte, je zu einer vollständi-
gen Kenntniß des kranken und gesunden Zustan-
des des Menschen zu gelangen.

Dazu kömmt noch, daß durch die man-
nigfaltigen Zerrüttungen der menschlichen Na-

tur

Vorrede.
behutſamſte Erfahrung ein Trugſchluß ſeye? Setz-
ten uns Zeitalter, Hilfswiſſenſchaften und
Vorbegriffe, die gewoͤhnte Gedankenreihe, kal-
ter, aber ernſter Beobachtungstrieb, ſcharfer,
geuͤbter Beobachtungsgeiſt, Selbſtbeherrſchung,
Anhaltſamkeit und Langmuth im Pruͤfen, Drang
an Kenntnißen zu wachſen, Wahrheitsliebe und
Wahrheitsſinn; — die Abweſenheit mancher-
ley Hinderniße, als: Uebereilung, unruhige Be-
gierde etwas Beſtimmtes zu beobachten, Satt-
weisheit, Allgenuͤgſamkeit, Vorurtheil ꝛc. —
Setzten uns endlich Laune, Temperament, die
unentbehrliche Beguͤnſtigung von Seiten der
Organiſation, und die wiederholten Gelegen-
heiten in den Stand, richtig zu erfahren, und
das Erfahrne zu berichtigen? — — In der
That eben ſo viele Urſachen, warum man alle
Hoffnung aufgeben ſollte, je zu einer vollſtaͤndi-
gen Kenntniß des kranken und geſunden Zuſtan-
des des Menſchen zu gelangen.

Dazu koͤmmt noch, daß durch die man-
nigfaltigen Zerruͤttungen der menſchlichen Na-

tur
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="VI"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
behut&#x017F;am&#x017F;te Erfahrung ein Trug&#x017F;chluß &#x017F;eye? Setz-<lb/>
ten uns Zeitalter, Hilfswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und<lb/>
Vorbegriffe, die gewo&#x0364;hnte Gedankenreihe, kal-<lb/>
ter, aber ern&#x017F;ter Beobachtungstrieb, &#x017F;charfer,<lb/>
geu&#x0364;bter Beobachtungsgei&#x017F;t, Selb&#x017F;tbeherr&#x017F;chung,<lb/>
Anhalt&#x017F;amkeit und Langmuth im Pru&#x0364;fen, Drang<lb/>
an Kenntnißen zu wach&#x017F;en, Wahrheitsliebe und<lb/>
Wahrheits&#x017F;inn; &#x2014; die Abwe&#x017F;enheit mancher-<lb/>
ley Hinderniße, als: Uebereilung, unruhige Be-<lb/>
gierde etwas Be&#x017F;timmtes zu beobachten, Satt-<lb/>
weisheit, Allgenu&#x0364;g&#x017F;amkeit, Vorurtheil &#xA75B;c. &#x2014;<lb/>
Setzten uns endlich Laune, Temperament, die<lb/>
unentbehrliche Begu&#x0364;n&#x017F;tigung von Seiten der<lb/>
Organi&#x017F;ation, und die wiederholten Gelegen-<lb/>
heiten in den Stand, richtig zu erfahren, und<lb/>
das Erfahrne zu berichtigen? &#x2014; &#x2014; In der<lb/>
That eben &#x017F;o viele Ur&#x017F;achen, warum man alle<lb/>
Hoffnung aufgeben &#x017F;ollte, je zu einer voll&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Kenntniß des kranken und ge&#x017F;unden Zu&#x017F;tan-<lb/>
des des Men&#x017F;chen zu gelangen.</p><lb/>
        <p>Dazu ko&#x0364;mmt noch, daß durch die man-<lb/>
nigfaltigen Zerru&#x0364;ttungen der men&#x017F;chlichen Na-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tur</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VI/0011] Vorrede. behutſamſte Erfahrung ein Trugſchluß ſeye? Setz- ten uns Zeitalter, Hilfswiſſenſchaften und Vorbegriffe, die gewoͤhnte Gedankenreihe, kal- ter, aber ernſter Beobachtungstrieb, ſcharfer, geuͤbter Beobachtungsgeiſt, Selbſtbeherrſchung, Anhaltſamkeit und Langmuth im Pruͤfen, Drang an Kenntnißen zu wachſen, Wahrheitsliebe und Wahrheitsſinn; — die Abweſenheit mancher- ley Hinderniße, als: Uebereilung, unruhige Be- gierde etwas Beſtimmtes zu beobachten, Satt- weisheit, Allgenuͤgſamkeit, Vorurtheil ꝛc. — Setzten uns endlich Laune, Temperament, die unentbehrliche Beguͤnſtigung von Seiten der Organiſation, und die wiederholten Gelegen- heiten in den Stand, richtig zu erfahren, und das Erfahrne zu berichtigen? — — In der That eben ſo viele Urſachen, warum man alle Hoffnung aufgeben ſollte, je zu einer vollſtaͤndi- gen Kenntniß des kranken und geſunden Zuſtan- des des Menſchen zu gelangen. Dazu koͤmmt noch, daß durch die man- nigfaltigen Zerruͤttungen der menſchlichen Na- tur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/11
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/11>, abgerufen am 24.11.2024.