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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Feuchtigkeiten schlückt der Bewohner der St. Thomas-
insel, der bengalischen Küsten ein! Viele tausend
bringen in Potosi ihr ganzes Leben in Spaniens Mi-
nen zu, ohne je vor ihrem Tode wieder an das Tages-
licht zu kommen; und dennoch leben sie fröhlich viele
Jahre lang in diesen mit giftigen Dünsten geschwän-
gerten Kerkern. Condamine fand auf dem Wege von
Loxa nach Jaen ein bewohntes Land, welches gewöhn-
lich zehn Monate lang vom Regen überschwemmt ist.
-- Die Hundszähne des Menschen, sein einziger, häu-
tiger Magen, und seine nicht gar übermäßig langen
Gedärme sind Beweise, daß ihn die Natur zur thie-
rischen Nahrung bestimmte. Der ehemalige Teutsche,
der kolosalische Patagone und der größte Theil der frey-
en Tartarn leben von Fleisch und sind muthvoll und
stark. Ganze Völker, z. B. die Bewohner des neu
entdekten rußischen Archipels essen nichts als Fische;
der Chineser befindet sich wohl bey seinem Reis und
Schweinefleisch; Lybien ernährt Nationen mit getrock-
neten Heuschrecken; der Grönländer und Alaska Be-
wohner verdauet den thranichten Wallfisch; ja, sie mi-
schen frische, faule, und halbausgebrütete Eyer, Kräh-
beeren, und Angelika in einen Sack von Seehundfell
zusammen, gießen Thran dazu, und heben dieß als
eine Erfrischung auf den Winter auf; die Jakuter es-
sen Mäuse, Wölfe, Füchse, Pferde, Raubvögel und
ungekochte Kräuter in Menge; die Kalifornier genies-
sen bald aus Hirschleder gemachte Schuhe, bald ge-
trocknetes Ochsenfell. -- Auch eine und eben dieselbe
Nation kann eine unbegreifliche Mischung von Spei-

sen

Feuchtigkeiten ſchluͤckt der Bewohner der St. Thomas-
inſel, der bengaliſchen Kuͤſten ein! Viele tauſend
bringen in Potoſi ihr ganzes Leben in Spaniens Mi-
nen zu, ohne je vor ihrem Tode wieder an das Tages-
licht zu kommen; und dennoch leben ſie froͤhlich viele
Jahre lang in dieſen mit giftigen Duͤnſten geſchwaͤn-
gerten Kerkern. Condamine fand auf dem Wege von
Loxa nach Jaen ein bewohntes Land, welches gewoͤhn-
lich zehn Monate lang vom Regen uͤberſchwemmt iſt.
— Die Hundszaͤhne des Menſchen, ſein einziger, haͤu-
tiger Magen, und ſeine nicht gar uͤbermaͤßig langen
Gedaͤrme ſind Beweiſe, daß ihn die Natur zur thie-
riſchen Nahrung beſtimmte. Der ehemalige Teutſche,
der koloſaliſche Patagone und der groͤßte Theil der frey-
en Tartarn leben von Fleiſch und ſind muthvoll und
ſtark. Ganze Voͤlker, z. B. die Bewohner des neu
entdekten rußiſchen Archipels eſſen nichts als Fiſche;
der Chineſer befindet ſich wohl bey ſeinem Reis und
Schweinefleiſch; Lybien ernaͤhrt Nationen mit getrock-
neten Heuſchrecken; der Groͤnlaͤnder und Alaſka Be-
wohner verdauet den thranichten Wallfiſch; ja, ſie mi-
ſchen friſche, faule, und halbausgebruͤtete Eyer, Kraͤh-
beeren, und Angelika in einen Sack von Seehundfell
zuſammen, gießen Thran dazu, und heben dieß als
eine Erfriſchung auf den Winter auf; die Jakuter eſ-
ſen Maͤuſe, Woͤlfe, Fuͤchſe, Pferde, Raubvoͤgel und
ungekochte Kraͤuter in Menge; die Kalifornier genieſ-
ſen bald aus Hirſchleder gemachte Schuhe, bald ge-
trocknetes Ochſenfell. — Auch eine und eben dieſelbe
Nation kann eine unbegreifliche Miſchung von Spei-

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[82/0101] Feuchtigkeiten ſchluͤckt der Bewohner der St. Thomas- inſel, der bengaliſchen Kuͤſten ein! Viele tauſend bringen in Potoſi ihr ganzes Leben in Spaniens Mi- nen zu, ohne je vor ihrem Tode wieder an das Tages- licht zu kommen; und dennoch leben ſie froͤhlich viele Jahre lang in dieſen mit giftigen Duͤnſten geſchwaͤn- gerten Kerkern. Condamine fand auf dem Wege von Loxa nach Jaen ein bewohntes Land, welches gewoͤhn- lich zehn Monate lang vom Regen uͤberſchwemmt iſt. — Die Hundszaͤhne des Menſchen, ſein einziger, haͤu- tiger Magen, und ſeine nicht gar uͤbermaͤßig langen Gedaͤrme ſind Beweiſe, daß ihn die Natur zur thie- riſchen Nahrung beſtimmte. Der ehemalige Teutſche, der koloſaliſche Patagone und der groͤßte Theil der frey- en Tartarn leben von Fleiſch und ſind muthvoll und ſtark. Ganze Voͤlker, z. B. die Bewohner des neu entdekten rußiſchen Archipels eſſen nichts als Fiſche; der Chineſer befindet ſich wohl bey ſeinem Reis und Schweinefleiſch; Lybien ernaͤhrt Nationen mit getrock- neten Heuſchrecken; der Groͤnlaͤnder und Alaſka Be- wohner verdauet den thranichten Wallfiſch; ja, ſie mi- ſchen friſche, faule, und halbausgebruͤtete Eyer, Kraͤh- beeren, und Angelika in einen Sack von Seehundfell zuſammen, gießen Thran dazu, und heben dieß als eine Erfriſchung auf den Winter auf; die Jakuter eſ- ſen Maͤuſe, Woͤlfe, Fuͤchſe, Pferde, Raubvoͤgel und ungekochte Kraͤuter in Menge; die Kalifornier genieſ- ſen bald aus Hirſchleder gemachte Schuhe, bald ge- trocknetes Ochſenfell. — Auch eine und eben dieſelbe Nation kann eine unbegreifliche Miſchung von Spei- ſen

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/101>, abgerufen am 22.11.2024.