Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.weis, daß er verrückt geworden, und den Abend erzählte er Jedem, der es hören wollte, im Wirthshause: Artmann's Bernhard is unwies worn! Bernhard aber sprach zu sich selbst: So mußte es kommen! Mich will man die Treppe hinunterwerfen in dem Hause, das meinem Kinde sein Glück verdankt; und meiner Frau versagt das Dorf, dessen Wohlthäterin sie für ewige Zeiten war, ein Grab bei seinen Gräbern. Am folgenden Tage fuhr Bernhard selbst die Leiche seiner Frau nach dem nächsten Städtchen, wo sie im Schooße der kleinen Gemeinde ihrer Glaubensbrüder aufgenommen wurde. Er selbst verließ den Pachthof, verkaufte Alles und bereitete sich zur Ueberfahrt nach Amerika -- -- allein wollte er aber das Weltmeer nicht durchschiffen und früher, viel früher, als die vom Grafen ihm abgedrungenen sechs Monate abgelaufen waren, brachte ihm eines Abends der Graf selbst sein Kind auf die niedere Kammer, die er fürs Erste im Dorfwirthshaus bezogen. Wir sind quitt, sagte der Graf. Gestern Nacht ist meine Frau gestorben, nachdem sie ein todtes Kind geboren. Seit jenem Schrecken, den du ihr verursacht hast, als du damals dein Kind zu fordern kamst, war sie leidend -- ich war Schuld am Tode deiner Frau, du bist es am Tode der meinigen! Hier ist dein Kind! weis, daß er verrückt geworden, und den Abend erzählte er Jedem, der es hören wollte, im Wirthshause: Artmann's Bernhard is unwies worn! Bernhard aber sprach zu sich selbst: So mußte es kommen! Mich will man die Treppe hinunterwerfen in dem Hause, das meinem Kinde sein Glück verdankt; und meiner Frau versagt das Dorf, dessen Wohlthäterin sie für ewige Zeiten war, ein Grab bei seinen Gräbern. Am folgenden Tage fuhr Bernhard selbst die Leiche seiner Frau nach dem nächsten Städtchen, wo sie im Schooße der kleinen Gemeinde ihrer Glaubensbrüder aufgenommen wurde. Er selbst verließ den Pachthof, verkaufte Alles und bereitete sich zur Ueberfahrt nach Amerika — — allein wollte er aber das Weltmeer nicht durchschiffen und früher, viel früher, als die vom Grafen ihm abgedrungenen sechs Monate abgelaufen waren, brachte ihm eines Abends der Graf selbst sein Kind auf die niedere Kammer, die er fürs Erste im Dorfwirthshaus bezogen. Wir sind quitt, sagte der Graf. Gestern Nacht ist meine Frau gestorben, nachdem sie ein todtes Kind geboren. Seit jenem Schrecken, den du ihr verursacht hast, als du damals dein Kind zu fordern kamst, war sie leidend — ich war Schuld am Tode deiner Frau, du bist es am Tode der meinigen! Hier ist dein Kind! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0072"/> weis, daß er verrückt geworden, und den Abend erzählte er Jedem, der es hören wollte, im Wirthshause: Artmann's Bernhard is unwies worn!</p><lb/> <p>Bernhard aber sprach zu sich selbst: So mußte es kommen! Mich will man die Treppe hinunterwerfen in dem Hause, das meinem Kinde sein Glück verdankt; und meiner Frau versagt das Dorf, dessen Wohlthäterin sie für ewige Zeiten war, ein Grab bei seinen Gräbern.</p><lb/> <p>Am folgenden Tage fuhr Bernhard selbst die Leiche seiner Frau nach dem nächsten Städtchen, wo sie im Schooße der kleinen Gemeinde ihrer Glaubensbrüder aufgenommen wurde.</p><lb/> <p>Er selbst verließ den Pachthof, verkaufte Alles und bereitete sich zur Ueberfahrt nach Amerika — — allein wollte er aber das Weltmeer nicht durchschiffen und früher, viel früher, als die vom Grafen ihm abgedrungenen sechs Monate abgelaufen waren, brachte ihm eines Abends der Graf selbst sein Kind auf die niedere Kammer, die er fürs Erste im Dorfwirthshaus bezogen.</p><lb/> <p>Wir sind quitt, sagte der Graf. Gestern Nacht ist meine Frau gestorben, nachdem sie ein todtes Kind geboren. Seit jenem Schrecken, den du ihr verursacht hast, als du damals dein Kind zu fordern kamst, war sie leidend — ich war Schuld am Tode deiner Frau, du bist es am Tode der meinigen! Hier ist dein Kind!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
weis, daß er verrückt geworden, und den Abend erzählte er Jedem, der es hören wollte, im Wirthshause: Artmann's Bernhard is unwies worn!
Bernhard aber sprach zu sich selbst: So mußte es kommen! Mich will man die Treppe hinunterwerfen in dem Hause, das meinem Kinde sein Glück verdankt; und meiner Frau versagt das Dorf, dessen Wohlthäterin sie für ewige Zeiten war, ein Grab bei seinen Gräbern.
Am folgenden Tage fuhr Bernhard selbst die Leiche seiner Frau nach dem nächsten Städtchen, wo sie im Schooße der kleinen Gemeinde ihrer Glaubensbrüder aufgenommen wurde.
Er selbst verließ den Pachthof, verkaufte Alles und bereitete sich zur Ueberfahrt nach Amerika — — allein wollte er aber das Weltmeer nicht durchschiffen und früher, viel früher, als die vom Grafen ihm abgedrungenen sechs Monate abgelaufen waren, brachte ihm eines Abends der Graf selbst sein Kind auf die niedere Kammer, die er fürs Erste im Dorfwirthshaus bezogen.
Wir sind quitt, sagte der Graf. Gestern Nacht ist meine Frau gestorben, nachdem sie ein todtes Kind geboren. Seit jenem Schrecken, den du ihr verursacht hast, als du damals dein Kind zu fordern kamst, war sie leidend — ich war Schuld am Tode deiner Frau, du bist es am Tode der meinigen! Hier ist dein Kind!
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Zitationshilfe: | Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/72>, abgerufen am 18.07.2024. |