Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.1. Der Mediciner als Pachter. Fünf Stunden von Münster in Westfalen liegt ein jetzt sehr bescheidenes Dorf, welches noch vor einem halben Jahrhundert ein blühendes Städtchen gewesen ist; denn damals war es der Sommeraufenthalt des geistlichen Landesherrn, des Kurfürsten von Köln und Fürstbischofs von Münster. Christoph Bernhard von Galen, der kriegerische Bischof, der mit seinem kleinen Heere ebenso große und kriegerische Gelüste befriedigte, wie Karl XII. von Schweden mit dem seinigen; der Frankreich und Holland und Dänemark den Krieg erklärte und ihn glorreich ausfocht, wenn er auch nicht gerade diese Länder eroberte, hatte dort zuerst ein Schloß erbaut, einen großen Garten mit Weihern, Bosquets, Hügeln, dichten Taxuswänden und Hunderten von Hermen darum angelegt. Im daran grenzenden Walde hatte er die schönsten Alleen schlagen lassen und dann eine Mauer umher gezogen, die das reiche Wild ihm sichern mußte. Und so hatte noch zur Zeit des letzten regierenden geistlichen Herrn, des Erzherzogs Maximilian Franz, der großen Maria Theresia jüngstem Sohne, in ununterbrochener 1. Der Mediciner als Pachter. Fünf Stunden von Münster in Westfalen liegt ein jetzt sehr bescheidenes Dorf, welches noch vor einem halben Jahrhundert ein blühendes Städtchen gewesen ist; denn damals war es der Sommeraufenthalt des geistlichen Landesherrn, des Kurfürsten von Köln und Fürstbischofs von Münster. Christoph Bernhard von Galen, der kriegerische Bischof, der mit seinem kleinen Heere ebenso große und kriegerische Gelüste befriedigte, wie Karl XII. von Schweden mit dem seinigen; der Frankreich und Holland und Dänemark den Krieg erklärte und ihn glorreich ausfocht, wenn er auch nicht gerade diese Länder eroberte, hatte dort zuerst ein Schloß erbaut, einen großen Garten mit Weihern, Bosquets, Hügeln, dichten Taxuswänden und Hunderten von Hermen darum angelegt. Im daran grenzenden Walde hatte er die schönsten Alleen schlagen lassen und dann eine Mauer umher gezogen, die das reiche Wild ihm sichern mußte. Und so hatte noch zur Zeit des letzten regierenden geistlichen Herrn, des Erzherzogs Maximilian Franz, der großen Maria Theresia jüngstem Sohne, in ununterbrochener <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0006"/> </div> </front> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>1. Der Mediciner als Pachter.</head><lb/> <p>Fünf Stunden von Münster in Westfalen liegt ein jetzt sehr bescheidenes Dorf, welches noch vor einem halben Jahrhundert ein blühendes Städtchen gewesen ist; denn damals war es der Sommeraufenthalt des geistlichen Landesherrn, des Kurfürsten von Köln und Fürstbischofs von Münster.</p><lb/> <p>Christoph Bernhard von Galen, der kriegerische Bischof, der mit seinem kleinen Heere ebenso große und kriegerische Gelüste befriedigte, wie Karl XII. von Schweden mit dem seinigen; der Frankreich und Holland und Dänemark den Krieg erklärte und ihn glorreich ausfocht, wenn er auch nicht gerade diese Länder eroberte, hatte dort zuerst ein Schloß erbaut, einen großen Garten mit Weihern, Bosquets, Hügeln, dichten Taxuswänden und Hunderten von Hermen darum angelegt. Im daran grenzenden Walde hatte er die schönsten Alleen schlagen lassen und dann eine Mauer umher gezogen, die das reiche Wild ihm sichern mußte. Und so hatte noch zur Zeit des letzten regierenden geistlichen Herrn, des Erzherzogs Maximilian Franz, der großen Maria Theresia jüngstem Sohne, in ununterbrochener<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0006]
1. Der Mediciner als Pachter.
Fünf Stunden von Münster in Westfalen liegt ein jetzt sehr bescheidenes Dorf, welches noch vor einem halben Jahrhundert ein blühendes Städtchen gewesen ist; denn damals war es der Sommeraufenthalt des geistlichen Landesherrn, des Kurfürsten von Köln und Fürstbischofs von Münster.
Christoph Bernhard von Galen, der kriegerische Bischof, der mit seinem kleinen Heere ebenso große und kriegerische Gelüste befriedigte, wie Karl XII. von Schweden mit dem seinigen; der Frankreich und Holland und Dänemark den Krieg erklärte und ihn glorreich ausfocht, wenn er auch nicht gerade diese Länder eroberte, hatte dort zuerst ein Schloß erbaut, einen großen Garten mit Weihern, Bosquets, Hügeln, dichten Taxuswänden und Hunderten von Hermen darum angelegt. Im daran grenzenden Walde hatte er die schönsten Alleen schlagen lassen und dann eine Mauer umher gezogen, die das reiche Wild ihm sichern mußte. Und so hatte noch zur Zeit des letzten regierenden geistlichen Herrn, des Erzherzogs Maximilian Franz, der großen Maria Theresia jüngstem Sohne, in ununterbrochener
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