Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Graf Clemens ging der zitternden Therese freundlich entgegen und bot ihr einen Sessel an, während er selbst und sein Verwandter in der Fensternische stehen blieben. Sie wollen Ihr Kind, Frau Artmann, ist's nicht so? frug nun der Graf. So ist's -- ich kann seine Entfernung nicht länger ertragen -- meine Gesundheit leidet darunter. Lassen Sie mir ihn ein einziges Jahr und fordern Sie dafür, was Sie wollen! Ein Jahr! Und am Schlusse des Jahres würden Sie gerade so sprechen. Wenn uns der Himmel bis dahin wieder ein Kind schenkt, gewiß nicht -- Nein, nein, um keinen Preis der Welt verkaufe ich die Gegenwart meines Kindes! Nicht um eine Million! Der Geistliche, den der Graf anblickte, näherte sich nun Theresen und sagte mit sanfter Stimme: Sie sind zwar nicht mein Beichtkind -- Ich bin Niemandes Beichtkind! antwortete Therese, härter, als sie es sonst in ähnlichen Fällen gethan haben würde: ich bin eine evangelische Christin. Der Geistliche sah den Grafen verwundert an; der Letztere hatte diesen Umstand ganz vergessen und ihn aufgefordert, den Vermittler zu machen! Therese weidete sich etwas an der offenbaren Verlegenheit der beiden Männer, sagte aber dann mit der Graf Clemens ging der zitternden Therese freundlich entgegen und bot ihr einen Sessel an, während er selbst und sein Verwandter in der Fensternische stehen blieben. Sie wollen Ihr Kind, Frau Artmann, ist's nicht so? frug nun der Graf. So ist's — ich kann seine Entfernung nicht länger ertragen — meine Gesundheit leidet darunter. Lassen Sie mir ihn ein einziges Jahr und fordern Sie dafür, was Sie wollen! Ein Jahr! Und am Schlusse des Jahres würden Sie gerade so sprechen. Wenn uns der Himmel bis dahin wieder ein Kind schenkt, gewiß nicht — Nein, nein, um keinen Preis der Welt verkaufe ich die Gegenwart meines Kindes! Nicht um eine Million! Der Geistliche, den der Graf anblickte, näherte sich nun Theresen und sagte mit sanfter Stimme: Sie sind zwar nicht mein Beichtkind — Ich bin Niemandes Beichtkind! antwortete Therese, härter, als sie es sonst in ähnlichen Fällen gethan haben würde: ich bin eine evangelische Christin. Der Geistliche sah den Grafen verwundert an; der Letztere hatte diesen Umstand ganz vergessen und ihn aufgefordert, den Vermittler zu machen! Therese weidete sich etwas an der offenbaren Verlegenheit der beiden Männer, sagte aber dann mit der <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0047"/> <p>Graf Clemens ging der zitternden Therese freundlich entgegen und bot ihr einen Sessel an, während er selbst und sein Verwandter in der Fensternische stehen blieben.</p><lb/> <p>Sie wollen Ihr Kind, Frau Artmann, ist's nicht so? frug nun der Graf.</p><lb/> <p>So ist's — ich kann seine Entfernung nicht länger ertragen — meine Gesundheit leidet darunter.</p><lb/> <p>Lassen Sie mir ihn ein einziges Jahr und fordern Sie dafür, was Sie wollen!</p><lb/> <p>Ein Jahr! Und am Schlusse des Jahres würden Sie gerade so sprechen.</p><lb/> <p>Wenn uns der Himmel bis dahin wieder ein Kind schenkt, gewiß nicht —</p><lb/> <p>Nein, nein, um keinen Preis der Welt verkaufe ich die Gegenwart meines Kindes! Nicht um eine Million!</p><lb/> <p>Der Geistliche, den der Graf anblickte, näherte sich nun Theresen und sagte mit sanfter Stimme: Sie sind zwar nicht mein Beichtkind —</p><lb/> <p>Ich bin Niemandes Beichtkind! antwortete Therese, härter, als sie es sonst in ähnlichen Fällen gethan haben würde: ich bin eine evangelische Christin.</p><lb/> <p>Der Geistliche sah den Grafen verwundert an; der Letztere hatte diesen Umstand ganz vergessen und ihn aufgefordert, den Vermittler zu machen!</p><lb/> <p>Therese weidete sich etwas an der offenbaren Verlegenheit der beiden Männer, sagte aber dann mit der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Graf Clemens ging der zitternden Therese freundlich entgegen und bot ihr einen Sessel an, während er selbst und sein Verwandter in der Fensternische stehen blieben.
Sie wollen Ihr Kind, Frau Artmann, ist's nicht so? frug nun der Graf.
So ist's — ich kann seine Entfernung nicht länger ertragen — meine Gesundheit leidet darunter.
Lassen Sie mir ihn ein einziges Jahr und fordern Sie dafür, was Sie wollen!
Ein Jahr! Und am Schlusse des Jahres würden Sie gerade so sprechen.
Wenn uns der Himmel bis dahin wieder ein Kind schenkt, gewiß nicht —
Nein, nein, um keinen Preis der Welt verkaufe ich die Gegenwart meines Kindes! Nicht um eine Million!
Der Geistliche, den der Graf anblickte, näherte sich nun Theresen und sagte mit sanfter Stimme: Sie sind zwar nicht mein Beichtkind —
Ich bin Niemandes Beichtkind! antwortete Therese, härter, als sie es sonst in ähnlichen Fällen gethan haben würde: ich bin eine evangelische Christin.
Der Geistliche sah den Grafen verwundert an; der Letztere hatte diesen Umstand ganz vergessen und ihn aufgefordert, den Vermittler zu machen!
Therese weidete sich etwas an der offenbaren Verlegenheit der beiden Männer, sagte aber dann mit der
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Zitationshilfe: | Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/47>, abgerufen am 27.07.2024. |