Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.konnte, streckte ganz erschrocken die Arme nach seiner Mutter aus, die ebenso erschrocken in ihres Mannes blasses Gesicht sah. Endlich sagte Artmann vorwurfsvoll: Herr Graf! Haltet mich nicht für wahnsinnig! Ich sage euch im Ernst: ihr müßt mir euer Kind mitgeben, damit ich es der Gräfin als ihr eigenes zeigen kann, sie würde die Nachricht seines Todes nicht ertragen. Eher das Leben! riefen aus Einem Munde Bernhard und seine Frau. Der Graf sah sie verwundert an. Es versteht sich von selbst, daß ich zu jedem Opfer bereit bin. Bernhard fuhr auf, aber Therese legte ihm die Hand auf den Mund und sagte: Stille, laß mich reden! Herr Graf, das Kind ist unser höchstes Glück, wir können es nicht missen, um keinen Preis der Welt! Um keinen Preis der Welt? frug verwundert der Graf, der hier eigentlich an gar keinen Widerstand gedacht. -- Nun wohl, sagte er nach einer Pause, ich will das Kind nicht für immer, nur auf ein halbes Jahr -- bis dahin, hoffe ich, wird die Gesundheit meiner Frau so gestärkt sein, daß sie die Wahrheit ertragen kann, und will sie sich, wenn sie Alles erfahren, von dem Kinde nicht trennen, könnt ihr ja auf das Schloß ziehen, ich gebe euch die Rentmeisterstelle. konnte, streckte ganz erschrocken die Arme nach seiner Mutter aus, die ebenso erschrocken in ihres Mannes blasses Gesicht sah. Endlich sagte Artmann vorwurfsvoll: Herr Graf! Haltet mich nicht für wahnsinnig! Ich sage euch im Ernst: ihr müßt mir euer Kind mitgeben, damit ich es der Gräfin als ihr eigenes zeigen kann, sie würde die Nachricht seines Todes nicht ertragen. Eher das Leben! riefen aus Einem Munde Bernhard und seine Frau. Der Graf sah sie verwundert an. Es versteht sich von selbst, daß ich zu jedem Opfer bereit bin. Bernhard fuhr auf, aber Therese legte ihm die Hand auf den Mund und sagte: Stille, laß mich reden! Herr Graf, das Kind ist unser höchstes Glück, wir können es nicht missen, um keinen Preis der Welt! Um keinen Preis der Welt? frug verwundert der Graf, der hier eigentlich an gar keinen Widerstand gedacht. — Nun wohl, sagte er nach einer Pause, ich will das Kind nicht für immer, nur auf ein halbes Jahr — bis dahin, hoffe ich, wird die Gesundheit meiner Frau so gestärkt sein, daß sie die Wahrheit ertragen kann, und will sie sich, wenn sie Alles erfahren, von dem Kinde nicht trennen, könnt ihr ja auf das Schloß ziehen, ich gebe euch die Rentmeisterstelle. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0034"/> konnte, streckte ganz erschrocken die Arme nach seiner Mutter aus, die ebenso erschrocken in ihres Mannes blasses Gesicht sah. Endlich sagte Artmann vorwurfsvoll: Herr Graf!</p><lb/> <p>Haltet mich nicht für wahnsinnig! Ich sage euch im Ernst: ihr müßt mir euer Kind mitgeben, damit ich es der Gräfin als ihr eigenes zeigen kann, sie würde die Nachricht seines Todes nicht ertragen.</p><lb/> <p>Eher das Leben! riefen aus Einem Munde Bernhard und seine Frau.</p><lb/> <p>Der Graf sah sie verwundert an. Es versteht sich von selbst, daß ich zu jedem Opfer bereit bin.</p><lb/> <p>Bernhard fuhr auf, aber Therese legte ihm die Hand auf den Mund und sagte: Stille, laß mich reden!</p><lb/> <p>Herr Graf, das Kind ist unser höchstes Glück, wir können es nicht missen, um keinen Preis der Welt!</p><lb/> <p>Um keinen Preis der Welt? frug verwundert der Graf, der hier eigentlich an gar keinen Widerstand gedacht. — Nun wohl, sagte er nach einer Pause, ich will das Kind nicht für immer, nur auf ein halbes Jahr — bis dahin, hoffe ich, wird die Gesundheit meiner Frau so gestärkt sein, daß sie die Wahrheit ertragen kann, und will sie sich, wenn sie Alles erfahren, von dem Kinde nicht trennen, könnt ihr ja auf das Schloß ziehen, ich gebe euch die Rentmeisterstelle.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
konnte, streckte ganz erschrocken die Arme nach seiner Mutter aus, die ebenso erschrocken in ihres Mannes blasses Gesicht sah. Endlich sagte Artmann vorwurfsvoll: Herr Graf!
Haltet mich nicht für wahnsinnig! Ich sage euch im Ernst: ihr müßt mir euer Kind mitgeben, damit ich es der Gräfin als ihr eigenes zeigen kann, sie würde die Nachricht seines Todes nicht ertragen.
Eher das Leben! riefen aus Einem Munde Bernhard und seine Frau.
Der Graf sah sie verwundert an. Es versteht sich von selbst, daß ich zu jedem Opfer bereit bin.
Bernhard fuhr auf, aber Therese legte ihm die Hand auf den Mund und sagte: Stille, laß mich reden!
Herr Graf, das Kind ist unser höchstes Glück, wir können es nicht missen, um keinen Preis der Welt!
Um keinen Preis der Welt? frug verwundert der Graf, der hier eigentlich an gar keinen Widerstand gedacht. — Nun wohl, sagte er nach einer Pause, ich will das Kind nicht für immer, nur auf ein halbes Jahr — bis dahin, hoffe ich, wird die Gesundheit meiner Frau so gestärkt sein, daß sie die Wahrheit ertragen kann, und will sie sich, wenn sie Alles erfahren, von dem Kinde nicht trennen, könnt ihr ja auf das Schloß ziehen, ich gebe euch die Rentmeisterstelle.
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Zitationshilfe: | Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/34>, abgerufen am 17.02.2025. |