Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sagte beleidigt Artmann, die freuen sie mehr als Alles. Der Graf bemerkte nicht einmal, daß Bernhard unter "Alles" auch goldene Brochen verstanden haben wollte und daß er den Pachter tief gekränkt, indem er das zarte Geschenk für die Frau Gevatterin zurückgewiesen; und was auch der Graf heute sagen und thun mochte, Alles verletzte den gereizten Bernhard, und heute, wo es das erste Mal war, daß ihn der Graf auszeichnete und ehrte, fühlte er sich auch zum ersten Male von ihm gedemüthigt. Bei der Tafel, wo nur die nächsten Verwandten des Grafen gegenwärtig waren und Bernhard mit der arglosen Freundlichkeit behandelten, welche auch die hochmüthigsten Vornehmen immer gegen Menschen haben, bei denen sie durchaus keine Ansprüche vermuthen, war und blieb Bernhard verstimmt, und selbst als er mit dem Neugeborenen auf dem Arme dastand, der seinen Namen Christoph Bernhard erhielt, dachte er: Daß mir vergönnt ist, dies kleine Kind hier zu halten, soll mir nun eine große Ehre sein, während mein armer süßer Junge sich geehrt fühlen soll, daß ihn der gräfliche Mann an meiner Seite auf den Armen hielt, und mein Junge ist doch viel schöner und größer und kräftiger als dieser gräfliche Sproß! Das war nun nicht so ganz wahr, denn das gräfliche Kind war wirklich auch ein schönes und ge- sagte beleidigt Artmann, die freuen sie mehr als Alles. Der Graf bemerkte nicht einmal, daß Bernhard unter „Alles“ auch goldene Brochen verstanden haben wollte und daß er den Pachter tief gekränkt, indem er das zarte Geschenk für die Frau Gevatterin zurückgewiesen; und was auch der Graf heute sagen und thun mochte, Alles verletzte den gereizten Bernhard, und heute, wo es das erste Mal war, daß ihn der Graf auszeichnete und ehrte, fühlte er sich auch zum ersten Male von ihm gedemüthigt. Bei der Tafel, wo nur die nächsten Verwandten des Grafen gegenwärtig waren und Bernhard mit der arglosen Freundlichkeit behandelten, welche auch die hochmüthigsten Vornehmen immer gegen Menschen haben, bei denen sie durchaus keine Ansprüche vermuthen, war und blieb Bernhard verstimmt, und selbst als er mit dem Neugeborenen auf dem Arme dastand, der seinen Namen Christoph Bernhard erhielt, dachte er: Daß mir vergönnt ist, dies kleine Kind hier zu halten, soll mir nun eine große Ehre sein, während mein armer süßer Junge sich geehrt fühlen soll, daß ihn der gräfliche Mann an meiner Seite auf den Armen hielt, und mein Junge ist doch viel schöner und größer und kräftiger als dieser gräfliche Sproß! Das war nun nicht so ganz wahr, denn das gräfliche Kind war wirklich auch ein schönes und ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> sagte beleidigt Artmann, die freuen sie mehr als Alles.</p><lb/> <p>Der Graf bemerkte nicht einmal, daß Bernhard unter „Alles“ auch goldene Brochen verstanden haben wollte und daß er den Pachter tief gekränkt, indem er das zarte Geschenk für die Frau Gevatterin zurückgewiesen; und was auch der Graf heute sagen und thun mochte, Alles verletzte den gereizten Bernhard, und heute, wo es das erste Mal war, daß ihn der Graf auszeichnete und ehrte, fühlte er sich auch zum ersten Male von ihm gedemüthigt.</p><lb/> <p>Bei der Tafel, wo nur die nächsten Verwandten des Grafen gegenwärtig waren und Bernhard mit der arglosen Freundlichkeit behandelten, welche auch die hochmüthigsten Vornehmen immer gegen Menschen haben, bei denen sie durchaus keine Ansprüche vermuthen, war und blieb Bernhard verstimmt, und selbst als er mit dem Neugeborenen auf dem Arme dastand, der seinen Namen Christoph Bernhard erhielt, dachte er: Daß mir vergönnt ist, dies kleine Kind hier zu halten, soll mir nun eine große Ehre sein, während mein armer süßer Junge sich geehrt fühlen soll, daß ihn der gräfliche Mann an meiner Seite auf den Armen hielt, und mein Junge ist doch viel schöner und größer und kräftiger als dieser gräfliche Sproß!</p><lb/> <p>Das war nun nicht so ganz wahr, denn das gräfliche Kind war wirklich auch ein schönes und ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
sagte beleidigt Artmann, die freuen sie mehr als Alles.
Der Graf bemerkte nicht einmal, daß Bernhard unter „Alles“ auch goldene Brochen verstanden haben wollte und daß er den Pachter tief gekränkt, indem er das zarte Geschenk für die Frau Gevatterin zurückgewiesen; und was auch der Graf heute sagen und thun mochte, Alles verletzte den gereizten Bernhard, und heute, wo es das erste Mal war, daß ihn der Graf auszeichnete und ehrte, fühlte er sich auch zum ersten Male von ihm gedemüthigt.
Bei der Tafel, wo nur die nächsten Verwandten des Grafen gegenwärtig waren und Bernhard mit der arglosen Freundlichkeit behandelten, welche auch die hochmüthigsten Vornehmen immer gegen Menschen haben, bei denen sie durchaus keine Ansprüche vermuthen, war und blieb Bernhard verstimmt, und selbst als er mit dem Neugeborenen auf dem Arme dastand, der seinen Namen Christoph Bernhard erhielt, dachte er: Daß mir vergönnt ist, dies kleine Kind hier zu halten, soll mir nun eine große Ehre sein, während mein armer süßer Junge sich geehrt fühlen soll, daß ihn der gräfliche Mann an meiner Seite auf den Armen hielt, und mein Junge ist doch viel schöner und größer und kräftiger als dieser gräfliche Sproß!
Das war nun nicht so ganz wahr, denn das gräfliche Kind war wirklich auch ein schönes und ge-
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Zitationshilfe: | Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/17>, abgerufen am 16.07.2024. |