Wärst Du nicht in Europa, ich würde selten dahin denken, denn ich denke ungern an das dortige Getreibe. Alles was ich wieder von dort vernommen habe, ist nicht beruhigend; der große Streit ist noch nicht abgeschlossen, lange, lange noch nicht, er kann noch Menschenalter über- dauern. Furchtbare Krämpfe erschütterten die kreißende Welt, aber es erfolgte eine unzei- tige Geburt; das wirkliche Götterkind liegt noch tief verborgen im Schoße der Mutter, neue stärkere Wehen werden es einst an das Tageslicht fördern. Wann? das steht im Buche des mächtigen Schicksals. Wehe dem armen Geschlechte welches als Geburtshelfer um die Kreißende steht! aber auch Heil dem, welches um die Wiege des Neugebohrenen tanzt! Junges, kräftiges Leben entwickelt sich aus Zer- störung und Tod, das ist der Trostgedanke für das untergehende Geschlecht; der Blick in die Zukunft, kann allein den sinkenden Muth erheben. Ach, nicht jeder vermag über die Spanne seiner Zeit und seines Raums hin- weg zu blicken, und der Sohn des Staubes zer- stäubt mit ihm; nur der Geist, welcher sich
Waͤrſt Du nicht in Europa, ich wuͤrde ſelten dahin denken, denn ich denke ungern an das dortige Getreibe. Alles was ich wieder von dort vernommen habe, iſt nicht beruhigend; der große Streit iſt noch nicht abgeſchloſſen, lange, lange noch nicht, er kann noch Menſchenalter uͤber- dauern. Furchtbare Kraͤmpfe erſchuͤtterten die kreißende Welt, aber es erfolgte eine unzei- tige Geburt; das wirkliche Goͤtterkind liegt noch tief verborgen im Schoße der Mutter, neue ſtaͤrkere Wehen werden es einſt an das Tageslicht foͤrdern. Wann? das ſteht im Buche des maͤchtigen Schickſals. Wehe dem armen Geſchlechte welches als Geburtshelfer um die Kreißende ſteht! aber auch Heil dem, welches um die Wiege des Neugebohrenen tanzt! Junges, kraͤftiges Leben entwickelt ſich aus Zer- ſtoͤrung und Tod, das iſt der Troſtgedanke fuͤr das untergehende Geſchlecht; der Blick in die Zukunft, kann allein den ſinkenden Muth erheben. Ach, nicht jeder vermag uͤber die Spanne ſeiner Zeit und ſeines Raums hin- weg zu blicken, und der Sohn des Staubes zer- ſtaͤubt mit ihm; nur der Geiſt, welcher ſich
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Waͤrſt Du nicht in Europa, ich wuͤrde ſelten
dahin denken, denn ich denke ungern an das
dortige Getreibe. Alles was ich wieder von dort
vernommen habe, iſt nicht beruhigend; der große
Streit iſt noch nicht abgeſchloſſen, lange, lange
noch nicht, er kann noch Menſchenalter uͤber-
dauern. Furchtbare Kraͤmpfe erſchuͤtterten die
kreißende Welt, aber es erfolgte eine unzei-
tige Geburt; das wirkliche Goͤtterkind liegt
noch tief verborgen im Schoße der Mutter,
neue ſtaͤrkere Wehen werden es einſt an das
Tageslicht foͤrdern. Wann? das ſteht im Buche
des maͤchtigen Schickſals. Wehe dem armen
Geſchlechte welches als Geburtshelfer um die
Kreißende ſteht! aber auch Heil dem, welches
um die Wiege des Neugebohrenen tanzt!
Junges, kraͤftiges Leben entwickelt ſich aus Zer-
ſtoͤrung und Tod, das iſt der Troſtgedanke
fuͤr das untergehende Geſchlecht; der Blick in
die Zukunft, kann allein den ſinkenden Muth
erheben. Ach, nicht jeder vermag uͤber die
Spanne ſeiner Zeit und ſeines Raums hin-
weg zu blicken, und der Sohn des Staubes zer-
ſtaͤubt mit ihm; nur der Geiſt, welcher ſich
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia02_1820/159>, abgerufen am 17.02.2025.
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