Sobald am Sonnabende die letzten Strahlen des Lichts hinter den blauen Gebirgen ver- schwinden, verläßt jeder sein Tagewerk, und trägt sein Arbeitsgeräth zu den Säulen des Tempels. Hier lehnt der Pflüger seine Pflug- schar und das Joch seiner Stiere an, der Schnitter hängt hier seine Sichel auf, die Bin- derin ihren Rechen. Jeder kniet oder setzt sich auf die Stufen nieder, und dankt dem Ewigen, für seinen Beistand, im stillen oder lauten Ge- bet, je nachdem er sich allein, oder in Gesell- schaft befindet. Der Feiertag wird mit Unter- haltungen und Spielen hingebracht; kein Ge- schäft wird vorgenommen, die Wartung des Viehs, und die Beschickung des Herdes aus- genommen, wobei wir alle gemeinschaftlich hel- fen. Am Montage holt jeder, in aller Frühe, sein Geräth aus der Obhut des Tempels, und fängt sein Wochenwerk mit dankbaren Gedan- ken an Gottes Schutz und Führung an. Kein Priesterthum soll je die lautere Quelle unserer Ueberzeugung trüben. -- Du schüttelst miß- trauisch den Kopf, Adele! O, ich weiß wohl, man glaubt, die Lehre des Deismus könne in
Sobald am Sonnabende die letzten Strahlen des Lichts hinter den blauen Gebirgen ver- ſchwinden, verlaͤßt jeder ſein Tagewerk, und traͤgt ſein Arbeitsgeraͤth zu den Saͤulen des Tempels. Hier lehnt der Pfluͤger ſeine Pflug- ſchar und das Joch ſeiner Stiere an, der Schnitter haͤngt hier ſeine Sichel auf, die Bin- derin ihren Rechen. Jeder kniet oder ſetzt ſich auf die Stufen nieder, und dankt dem Ewigen, fuͤr ſeinen Beiſtand, im ſtillen oder lauten Ge- bet, je nachdem er ſich allein, oder in Geſell- ſchaft befindet. Der Feiertag wird mit Unter- haltungen und Spielen hingebracht; kein Ge- ſchaͤft wird vorgenommen, die Wartung des Viehs, und die Beſchickung des Herdes aus- genommen, wobei wir alle gemeinſchaftlich hel- fen. Am Montage holt jeder, in aller Fruͤhe, ſein Geraͤth aus der Obhut des Tempels, und faͤngt ſein Wochenwerk mit dankbaren Gedan- ken an Gottes Schutz und Fuͤhrung an. Kein Prieſterthum ſoll je die lautere Quelle unſerer Ueberzeugung truͤben. — Du ſchuͤttelſt miß- trauiſch den Kopf, Adele! O, ich weiß wohl, man glaubt, die Lehre des Deismus koͤnne in
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Sobald am Sonnabende die letzten Strahlen
des Lichts hinter den blauen Gebirgen ver-
ſchwinden, verlaͤßt jeder ſein Tagewerk, und
traͤgt ſein Arbeitsgeraͤth zu den Saͤulen des
Tempels. Hier lehnt der Pfluͤger ſeine Pflug-
ſchar und das Joch ſeiner Stiere an, der
Schnitter haͤngt hier ſeine Sichel auf, die Bin-
derin ihren Rechen. Jeder kniet oder ſetzt ſich
auf die Stufen nieder, und dankt dem Ewigen,
fuͤr ſeinen Beiſtand, im ſtillen oder lauten Ge-
bet, je nachdem er ſich allein, oder in Geſell-
ſchaft befindet. Der Feiertag wird mit Unter-
haltungen und Spielen hingebracht; kein Ge-
ſchaͤft wird vorgenommen, die Wartung des
Viehs, und die Beſchickung des Herdes aus-
genommen, wobei wir alle gemeinſchaftlich hel-
fen. Am Montage holt jeder, in aller Fruͤhe,
ſein Geraͤth aus der Obhut des Tempels, und
faͤngt ſein Wochenwerk mit dankbaren Gedan-
ken an Gottes Schutz und Fuͤhrung an. Kein
Prieſterthum ſoll je die lautere Quelle unſerer
Ueberzeugung truͤben. — Du ſchuͤttelſt miß-
trauiſch den Kopf, Adele! O, ich weiß wohl,
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia02_1820/137>, abgerufen am 16.02.2025.
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