nicht gar vom Uebel. Mein Vater ließ sich nicht gern mit ihr in Erörterungen über diesen Punkt ein. Er liebte sie von ganzem Herzen, und sie verdiente es im hohen Grade. Sie war schön und voll Grazie, hatte das beste Herz von der Welt, liebte ihn über Alles, war unermüdet, für seine kleinen Bedürfnisse be- sorgt, eine gute Mutter, eine gute Hausfrau, eine Wohlthäterinn der Dürftigen. Was hätte das Herz eines Mannes noch mehr fordern können? Auch fühlte sich das Herz meines Vaters völlig befriedigt. Doch sein philoso- phischer Geist empfand nach und nach im- mer mehr das Bedürfniß eines Wesens, das in seine Jdeen eingehen, mit dem er sich über die Gegenstände unterhalten könnte, die ihm die wichtigsten waren. Er hatte oft ver- sucht, sie dafür auszubilden, aber mit wenig Erfolg.
Jn mir drang sich ihm ein bildsamer Stoff, ganz von selbst auf, und mit schöpferischer Liebe legte er Hand an, ohne auf die Menge der Bedenklichkeiten Rücksicht zu nehmen, welche ihn allenfalls davon hätten abmahnen können. Emil,
nicht gar vom Uebel. Mein Vater ließ ſich nicht gern mit ihr in Eroͤrterungen uͤber dieſen Punkt ein. Er liebte ſie von ganzem Herzen, und ſie verdiente es im hohen Grade. Sie war ſchoͤn und voll Grazie, hatte das beſte Herz von der Welt, liebte ihn uͤber Alles, war unermuͤdet, fuͤr ſeine kleinen Beduͤrfniſſe be- ſorgt, eine gute Mutter, eine gute Hausfrau, eine Wohlthaͤterinn der Duͤrftigen. Was haͤtte das Herz eines Mannes noch mehr fordern koͤnnen? Auch fuͤhlte ſich das Herz meines Vaters voͤllig befriedigt. Doch ſein philoſo- phiſcher Geiſt empfand nach und nach im- mer mehr das Beduͤrfniß eines Weſens, das in ſeine Jdeen eingehen, mit dem er ſich uͤber die Gegenſtaͤnde unterhalten koͤnnte, die ihm die wichtigſten waren. Er hatte oft ver- ſucht, ſie dafuͤr auszubilden, aber mit wenig Erfolg.
Jn mir drang ſich ihm ein bildſamer Stoff, ganz von ſelbſt auf, und mit ſchoͤpferiſcher Liebe legte er Hand an, ohne auf die Menge der Bedenklichkeiten Ruͤckſicht zu nehmen, welche ihn allenfalls davon haͤtten abmahnen koͤnnen. Emil,
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nicht gar vom Uebel. Mein Vater ließ ſich
nicht gern mit ihr in Eroͤrterungen uͤber dieſen
Punkt ein. Er liebte ſie von ganzem Herzen,
und ſie verdiente es im hohen Grade. Sie
war ſchoͤn und voll Grazie, hatte das beſte
Herz von der Welt, liebte ihn uͤber Alles, war
unermuͤdet, fuͤr ſeine kleinen Beduͤrfniſſe be-
ſorgt, eine gute Mutter, eine gute Hausfrau,
eine Wohlthaͤterinn der Duͤrftigen. Was haͤtte
das Herz eines Mannes noch mehr fordern
koͤnnen? Auch fuͤhlte ſich das Herz meines
Vaters voͤllig befriedigt. Doch ſein philoſo-
phiſcher Geiſt empfand nach und nach im-
mer mehr das Beduͤrfniß eines Weſens, das
in ſeine Jdeen eingehen, mit dem er ſich
uͤber die Gegenſtaͤnde unterhalten koͤnnte, die
ihm die wichtigſten waren. Er hatte oft ver-
ſucht, ſie dafuͤr auszubilden, aber mit wenig
Erfolg.
Jn mir drang ſich ihm ein bildſamer Stoff,
ganz von ſelbſt auf, und mit ſchoͤpferiſcher Liebe
legte er Hand an, ohne auf die Menge der
Bedenklichkeiten Ruͤckſicht zu nehmen, welche ihn
allenfalls davon haͤtten abmahnen koͤnnen. Emil,
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/72>, abgerufen am 16.02.2025.
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