Du siehst, liebe Adele, daß Ossian mein treuer Begleiter ist. Wie hätte ich den ver- gessen? er ist ja ein Geschenk von Dir. Jmmer schon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt ist er mir über Alles theuer, das liebste Gut, welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erst jetzt verstehe ich ihn ganz, und bei seinen Klag- gesängen schweigt mir das Leid im Busen. Oft stehe ich noch Abends einsam am Maste gelehnt, und betrachte die Gewölke, welche der untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will mich's oft bedünken, als lagerten die Helden vergangener Zeiten auf ihrem röthlichen Saum. Theure Gestalten! ihr begleitet Virginia nach dem Lande, wo sie einst ruhen wird unter dem moosigen Steine, den die Hand eines Fremd- lings mitleidvoll auf ihren Hügel legt. Doch nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir reden, traute Adele, als ich dieses neue Blatt anfing, sondern von meinem Eintritt in das Le- ben, und wie ich das wurde, was ich bin.
Meinen
Du ſiehſt, liebe Adele, daß Oſſian mein treuer Begleiter iſt. Wie haͤtte ich den ver- geſſen? er iſt ja ein Geſchenk von Dir. Jmmer ſchon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt iſt er mir uͤber Alles theuer, das liebſte Gut, welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erſt jetzt verſtehe ich ihn ganz, und bei ſeinen Klag- geſaͤngen ſchweigt mir das Leid im Buſen. Oft ſtehe ich noch Abends einſam am Maſte gelehnt, und betrachte die Gewoͤlke, welche der untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will mich’s oft beduͤnken, als lagerten die Helden vergangener Zeiten auf ihrem roͤthlichen Saum. Theure Geſtalten! ihr begleitet Virginia nach dem Lande, wo ſie einſt ruhen wird unter dem mooſigen Steine, den die Hand eines Fremd- lings mitleidvoll auf ihren Huͤgel legt. Doch nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir reden, traute Adele, als ich dieſes neue Blatt anfing, ſondern von meinem Eintritt in das Le- ben, und wie ich das wurde, was ich bin.
Meinen
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Du ſiehſt, liebe Adele, daß Oſſian mein
treuer Begleiter iſt. Wie haͤtte ich den ver-
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ſchon war er mein Lieblingsdichter, und jetzt iſt
er mir uͤber Alles theuer, das liebſte Gut,
welches ich aus dem Schiffbruche gerettet. Erſt
jetzt verſtehe ich ihn ganz, und bei ſeinen Klag-
geſaͤngen ſchweigt mir das Leid im Buſen.
Oft ſtehe ich noch Abends einſam am Maſte
gelehnt, und betrachte die Gewoͤlke, welche der
untergegangenen Sonne nachziehen. Dann will
mich’s oft beduͤnken, als lagerten die Helden
vergangener Zeiten auf ihrem roͤthlichen Saum.
Theure Geſtalten! ihr begleitet Virginia nach
dem Lande, wo ſie einſt ruhen wird unter dem
mooſigen Steine, den die Hand eines Fremd-
lings mitleidvoll auf ihren Huͤgel legt. Doch
nicht von meinem Grabe wollte ich mit Dir
reden, traute Adele, als ich dieſes neue Blatt
anfing, ſondern von meinem Eintritt in das Le-
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/24>, abgerufen am 27.07.2024.
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