hätte es dir gern erspart, sagte sie, aber du wolltest meine Winke nicht verstehen. Jch brach in Thränen aus. Beruhige dich, liebe Virginia, sagte sie, wir Weiber sind ja ein Mahl zum ge- horchen gebohren, gib diesen kleinen Eigensinn auf. Eigensinn! o Himmel und Erde! -- Du kamst dazu und liebkosetest mich mit Deiner gutmüthi- gen Art, redetest mir so freundlich zu, daß ich am Ende eure Friedensvorschläge annahm, mich, wenn ich außerhalb meines Zimmers erschiene, bunt zu kleiden, und mich öffentlich und in Gesell- schaft mit heiterem Gesichte zu zeigen. O, welch ein Opfer brachte ich der bittenden Freundschaft, und mit welcher Sehnsucht eilte ich in meine Einsamkeit zurück, um meine schwarzen Gewän- der anzulegen, und mich von ganzer Seele be- trüben zu können! Welch ein Wechsel für mich! ich, die nie den Schein des Zwanges gefühlt hatte, frei aufgewachsen war, wie das Reh des Wal- des, nun umgarnt mit tausend Netzen und noch keinen Ausgang gewahrend!
haͤtte es dir gern erſpart, ſagte ſie, aber du wollteſt meine Winke nicht verſtehen. Jch brach in Thraͤnen aus. Beruhige dich, liebe Virginia, ſagte ſie, wir Weiber ſind ja ein Mahl zum ge- horchen gebohren, gib dieſen kleinen Eigenſinn auf. Eigenſinn! o Himmel und Erde! — Du kamſt dazu und liebkoſeteſt mich mit Deiner gutmuͤthi- gen Art, redeteſt mir ſo freundlich zu, daß ich am Ende eure Friedensvorſchlaͤge annahm, mich, wenn ich außerhalb meines Zimmers erſchiene, bunt zu kleiden, und mich oͤffentlich und in Geſell- ſchaft mit heiterem Geſichte zu zeigen. O, welch ein Opfer brachte ich der bittenden Freundſchaft, und mit welcher Sehnſucht eilte ich in meine Einſamkeit zuruͤck, um meine ſchwarzen Gewaͤn- der anzulegen, und mich von ganzer Seele be- truͤben zu koͤnnen! Welch ein Wechſel fuͤr mich! ich, die nie den Schein des Zwanges gefuͤhlt hatte, frei aufgewachſen war, wie das Reh des Wal- des, nun umgarnt mit tauſend Netzen und noch keinen Ausgang gewahrend!
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haͤtte es dir gern erſpart, ſagte ſie, aber du
wollteſt meine Winke nicht verſtehen. Jch brach
in Thraͤnen aus. Beruhige dich, liebe Virginia,
ſagte ſie, wir Weiber ſind ja ein Mahl zum ge-
horchen gebohren, gib dieſen kleinen Eigenſinn auf.
Eigenſinn! o Himmel und Erde! — Du kamſt
dazu und liebkoſeteſt mich mit Deiner gutmuͤthi-
gen Art, redeteſt mir ſo freundlich zu, daß ich am
Ende eure Friedensvorſchlaͤge annahm, mich,
wenn ich außerhalb meines Zimmers erſchiene,
bunt zu kleiden, und mich oͤffentlich und in Geſell-
ſchaft mit heiterem Geſichte zu zeigen. O, welch
ein Opfer brachte ich der bittenden Freundſchaft,
und mit welcher Sehnſucht eilte ich in meine
Einſamkeit zuruͤck, um meine ſchwarzen Gewaͤn-
der anzulegen, und mich von ganzer Seele be-
truͤben zu koͤnnen! Welch ein Wechſel fuͤr mich!
ich, die nie den Schein des Zwanges gefuͤhlt hatte,
frei aufgewachſen war, wie das Reh des Wal-
des, nun umgarnt mit tauſend Netzen und noch
keinen Ausgang gewahrend!
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/200>, abgerufen am 27.07.2024.
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