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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

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welcher ihm am meisten Recht zu haben scheint;
er muß aber nie vergessen, daß er mit den
Gegnern einen gemeinschaftlichen Vater hat, und
ist die Fehde vorüber, so eifre jeglicher dem an-
dern nach im Guten, und lege nicht durch
Maulen, oder kindisches Prahlen, neuen Grund
zum Streit. Ja hätte ich nur ein einziges
Stückchen Brot zu geben, ich würde es dem
hungernden Fremden, vor allen, reichen; denn der
einheimische Bruder fände eher eine zweite Hülfs-
quelle, als der, welchem des Hauses Gelegen-
heit ganz unbekannt ist. So dachte und fühlte
mein edler Vater, wenige werden ihm gleichen.
O, könnte ich sein schönes Bild mahlen in der
Stunde des Abschiedes! wie er da stand mit
dem festen ruhigen Heldenblick. Freundlich trock-
nete er mir die Augen, und strich mir die Locken
von der Stirn. Arme Virginia, sagte er, du
bist schlimmer daran, als wir; wir handeln, du
mußt das Schicksal leidend erwarten. Du hast
den meisten Muth vonnöthen. Schaue jeder
Gefahr standhaft und besonnen entgegen, und
sie wird kleiner werden. Jch lasse dich in einer
Lage zurück, wo ich für jedes andern Weib zit-

welcher ihm am meiſten Recht zu haben ſcheint;
er muß aber nie vergeſſen, daß er mit den
Gegnern einen gemeinſchaftlichen Vater hat, und
iſt die Fehde voruͤber, ſo eifre jeglicher dem an-
dern nach im Guten, und lege nicht durch
Maulen, oder kindiſches Prahlen, neuen Grund
zum Streit. Ja haͤtte ich nur ein einziges
Stuͤckchen Brot zu geben, ich wuͤrde es dem
hungernden Fremden, vor allen, reichen; denn der
einheimiſche Bruder faͤnde eher eine zweite Huͤlfs-
quelle, als der, welchem des Hauſes Gelegen-
heit ganz unbekannt iſt. So dachte und fuͤhlte
mein edler Vater, wenige werden ihm gleichen.
O, koͤnnte ich ſein ſchoͤnes Bild mahlen in der
Stunde des Abſchiedes! wie er da ſtand mit
dem feſten ruhigen Heldenblick. Freundlich trock-
nete er mir die Augen, und ſtrich mir die Locken
von der Stirn. Arme Virginia, ſagte er, du
biſt ſchlimmer daran, als wir; wir handeln, du
mußt das Schickſal leidend erwarten. Du haſt
den meiſten Muth vonnoͤthen. Schaue jeder
Gefahr ſtandhaft und beſonnen entgegen, und
ſie wird kleiner werden. Jch laſſe dich in einer
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[168/0178] welcher ihm am meiſten Recht zu haben ſcheint; er muß aber nie vergeſſen, daß er mit den Gegnern einen gemeinſchaftlichen Vater hat, und iſt die Fehde voruͤber, ſo eifre jeglicher dem an- dern nach im Guten, und lege nicht durch Maulen, oder kindiſches Prahlen, neuen Grund zum Streit. Ja haͤtte ich nur ein einziges Stuͤckchen Brot zu geben, ich wuͤrde es dem hungernden Fremden, vor allen, reichen; denn der einheimiſche Bruder faͤnde eher eine zweite Huͤlfs- quelle, als der, welchem des Hauſes Gelegen- heit ganz unbekannt iſt. So dachte und fuͤhlte mein edler Vater, wenige werden ihm gleichen. O, koͤnnte ich ſein ſchoͤnes Bild mahlen in der Stunde des Abſchiedes! wie er da ſtand mit dem feſten ruhigen Heldenblick. Freundlich trock- nete er mir die Augen, und ſtrich mir die Locken von der Stirn. Arme Virginia, ſagte er, du biſt ſchlimmer daran, als wir; wir handeln, du mußt das Schickſal leidend erwarten. Du haſt den meiſten Muth vonnoͤthen. Schaue jeder Gefahr ſtandhaft und beſonnen entgegen, und ſie wird kleiner werden. Jch laſſe dich in einer Lage zuruͤck, wo ich fuͤr jedes andern Weib zit-

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Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/178>, abgerufen am 25.11.2024.