Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

send, willst du den treuen Jüngling nicht hö-
ren, der dir die letzten Grüße seines Bruders
bringt? willst du nicht hören, wie er starb?
Diese Vorstellungen wirkten, und wir kamen
gegen Abend in Monthameau an.

Bleicher Schrecken mahlte sich auf allen
Gesichtern als man uns erblickte. Mucius glühete
einen Augenblick auf in Freude, als er, beim
Eintritt in das Zimmer, mich erblickte. Aber
nur einen Augenblick. Blässe des Todes scheuchte
den röthlichen Schimmer hinweg, er stürzte au-
ßer sich zu den Füßen meiner Mutter, und rief
in Tönen der Verzweiflung: ich bringe ihn nicht
zurück! Halb bewußtlos sank die Mutter auf
seine Schulter hinab. Alles schluchzte, und es
verging eine geraume Zeit, ehe ein Wort die
Grabesstille unterbrach. Nach und nach löste
sich dann freilich, der starre Schmerz in laute
Klagen auf. Es wurde gefragt und erzählt,
und die Mitternacht rückte heran bei traurigen
Gesprächen. Die Natur forderte endlich ihre
Rechte, und Schlaf sank auf die müde gewein-
ten Augen herab. Die Morgensonne weckte uns
zu neuem Jammer. Mir insbesondre stand der

ſend, willſt du den treuen Juͤngling nicht hoͤ-
ren, der dir die letzten Gruͤße ſeines Bruders
bringt? willſt du nicht hoͤren, wie er ſtarb?
Dieſe Vorſtellungen wirkten, und wir kamen
gegen Abend in Monthameau an.

Bleicher Schrecken mahlte ſich auf allen
Geſichtern als man uns erblickte. Mucius gluͤhete
einen Augenblick auf in Freude, als er, beim
Eintritt in das Zimmer, mich erblickte. Aber
nur einen Augenblick. Blaͤſſe des Todes ſcheuchte
den roͤthlichen Schimmer hinweg, er ſtuͤrzte au-
ßer ſich zu den Fuͤßen meiner Mutter, und rief
in Toͤnen der Verzweiflung: ich bringe ihn nicht
zuruͤck! Halb bewußtlos ſank die Mutter auf
ſeine Schulter hinab. Alles ſchluchzte, und es
verging eine geraume Zeit, ehe ein Wort die
Grabesſtille unterbrach. Nach und nach loͤſte
ſich dann freilich, der ſtarre Schmerz in laute
Klagen auf. Es wurde gefragt und erzaͤhlt,
und die Mitternacht ruͤckte heran bei traurigen
Geſpraͤchen. Die Natur forderte endlich ihre
Rechte, und Schlaf ſank auf die muͤde gewein-
ten Augen herab. Die Morgenſonne weckte uns
zu neuem Jammer. Mir insbeſondre ſtand der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="139"/>
&#x017F;end, will&#x017F;t du den treuen Ju&#x0364;ngling nicht ho&#x0364;-<lb/>
ren, der dir die letzten Gru&#x0364;ße &#x017F;eines Bruders<lb/>
bringt? will&#x017F;t du nicht ho&#x0364;ren, wie er &#x017F;tarb?<lb/>
Die&#x017F;e Vor&#x017F;tellungen wirkten, und wir kamen<lb/>
gegen Abend in Monthameau an.</p><lb/>
          <p>Bleicher Schrecken mahlte &#x017F;ich auf allen<lb/>
Ge&#x017F;ichtern als man uns erblickte. Mucius glu&#x0364;hete<lb/>
einen Augenblick auf in Freude, als er, beim<lb/>
Eintritt in das Zimmer, mich erblickte. Aber<lb/>
nur einen Augenblick. Bla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e des Todes &#x017F;cheuchte<lb/>
den ro&#x0364;thlichen Schimmer hinweg, er &#x017F;tu&#x0364;rzte au-<lb/>
ßer &#x017F;ich zu den Fu&#x0364;ßen meiner Mutter, und rief<lb/>
in To&#x0364;nen der Verzweiflung: ich bringe ihn nicht<lb/>
zuru&#x0364;ck! Halb bewußtlos &#x017F;ank die Mutter auf<lb/>
&#x017F;eine Schulter hinab. Alles &#x017F;chluchzte, und es<lb/>
verging eine geraume Zeit, ehe ein Wort die<lb/>
Grabes&#x017F;tille unterbrach. Nach und nach lo&#x0364;&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ich dann freilich, der &#x017F;tarre Schmerz in laute<lb/>
Klagen auf. Es wurde gefragt und erza&#x0364;hlt,<lb/>
und die Mitternacht ru&#x0364;ckte heran bei traurigen<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;chen. Die Natur forderte endlich ihre<lb/>
Rechte, und Schlaf &#x017F;ank auf die mu&#x0364;de gewein-<lb/>
ten Augen herab. Die Morgen&#x017F;onne weckte uns<lb/>
zu neuem Jammer. Mir insbe&#x017F;ondre &#x017F;tand der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0149] ſend, willſt du den treuen Juͤngling nicht hoͤ- ren, der dir die letzten Gruͤße ſeines Bruders bringt? willſt du nicht hoͤren, wie er ſtarb? Dieſe Vorſtellungen wirkten, und wir kamen gegen Abend in Monthameau an. Bleicher Schrecken mahlte ſich auf allen Geſichtern als man uns erblickte. Mucius gluͤhete einen Augenblick auf in Freude, als er, beim Eintritt in das Zimmer, mich erblickte. Aber nur einen Augenblick. Blaͤſſe des Todes ſcheuchte den roͤthlichen Schimmer hinweg, er ſtuͤrzte au- ßer ſich zu den Fuͤßen meiner Mutter, und rief in Toͤnen der Verzweiflung: ich bringe ihn nicht zuruͤck! Halb bewußtlos ſank die Mutter auf ſeine Schulter hinab. Alles ſchluchzte, und es verging eine geraume Zeit, ehe ein Wort die Grabesſtille unterbrach. Nach und nach loͤſte ſich dann freilich, der ſtarre Schmerz in laute Klagen auf. Es wurde gefragt und erzaͤhlt, und die Mitternacht ruͤckte heran bei traurigen Geſpraͤchen. Die Natur forderte endlich ihre Rechte, und Schlaf ſank auf die muͤde gewein- ten Augen herab. Die Morgenſonne weckte uns zu neuem Jammer. Mir insbeſondre ſtand der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/149
Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/149>, abgerufen am 25.11.2024.