Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

zweifle an der Richtigkeit dieser Behauptungen gar
nicht; aber sie dürfen uns nicht abhalten, den fernern
Fortschritten der Litteratur im alten Griechenland und
im neuern Italien, weiter nachzugehen. Die berühm-
ten Dichter, Redner und Geschichtschreiber dieser Län-
der setzten die Sprache derselben durch ihre Schriften
fest. Das Publikum nahm nach einer stillschweigen-
den Uebereinstimmung, die Wendungen, Phrasen und
Metaphern, als die besten und richtigsten an, welche
jene große Künstler in ihren Werken gebraucht hatten.
Ihre Ausdrücke wurden nach und nach allgemein aus-
gebreitet, und die Sprachen wurden durch sie verschö-
nert, veredelt und bereichert.

Werfen wir nun wieder einen Blick auf unser
Vaterland, so finden wir ein Gewirre von Sprache,
ohne alle Anmuth, das jeder nach seinen Einfällen be-
handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdrücke,
man vernachläßigt die eigentlichsten und ausdrückend-
sten Worte; und man verschwemmt oft allen Sinn
und Gedanken in einem Meer von Episoden. Ich ge-
be mir alle Mühe, um unsere Homere, unsere Virgile,
unsere Anacreons, unsere Horatze, unsere Demosthene,
unsere Cicerone, unsere Thucydides, unsere Livius, aus-
zuforschen; aber ich finde sie nirgend, alle meine Mühe
ist umsonst. Ich dächte also, wir wären aufrichtig,
und gestünden nur ehrlich, daß bis itzt die schönen
Wissenschaften in unserm Boden, noch nicht haben ge-

deihen
A 4

zweifle an der Richtigkeit dieſer Behauptungen gar
nicht; aber ſie duͤrfen uns nicht abhalten, den fernern
Fortſchritten der Litteratur im alten Griechenland und
im neuern Italien, weiter nachzugehen. Die beruͤhm-
ten Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber dieſer Laͤn-
der ſetzten die Sprache derſelben durch ihre Schriften
feſt. Das Publikum nahm nach einer ſtillſchweigen-
den Uebereinſtimmung, die Wendungen, Phraſen und
Metaphern, als die beſten und richtigſten an, welche
jene große Kuͤnſtler in ihren Werken gebraucht hatten.
Ihre Ausdruͤcke wurden nach und nach allgemein aus-
gebreitet, und die Sprachen wurden durch ſie verſchoͤ-
nert, veredelt und bereichert.

Werfen wir nun wieder einen Blick auf unſer
Vaterland, ſo finden wir ein Gewirre von Sprache,
ohne alle Anmuth, das jeder nach ſeinen Einfaͤllen be-
handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdruͤcke,
man vernachlaͤßigt die eigentlichſten und ausdruͤckend-
ſten Worte; und man verſchwemmt oft allen Sinn
und Gedanken in einem Meer von Epiſoden. Ich ge-
be mir alle Muͤhe, um unſere Homere, unſere Virgile,
unſere Anacreons, unſere Horatze, unſere Demoſthene,
unſere Cicerone, unſere Thucydides, unſere Livius, aus-
zuforſchen; aber ich finde ſie nirgend, alle meine Muͤhe
iſt umſonſt. Ich daͤchte alſo, wir waͤren aufrichtig,
und geſtuͤnden nur ehrlich, daß bis itzt die ſchoͤnen
Wiſſenſchaften in unſerm Boden, noch nicht haben ge-

deihen
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="7"/>
zweifle an der Richtigkeit die&#x017F;er Behauptungen gar<lb/>
nicht; aber &#x017F;ie du&#x0364;rfen uns nicht abhalten, den fernern<lb/>
Fort&#x017F;chritten der Litteratur im alten <placeName>Griechenland</placeName> und<lb/>
im neuern <placeName>Italien</placeName>, weiter nachzugehen. Die beru&#x0364;hm-<lb/>
ten Dichter, Redner und Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber die&#x017F;er La&#x0364;n-<lb/>
der &#x017F;etzten die Sprache der&#x017F;elben durch ihre Schriften<lb/>
fe&#x017F;t. Das Publikum nahm nach einer &#x017F;till&#x017F;chweigen-<lb/>
den Ueberein&#x017F;timmung, die Wendungen, Phra&#x017F;en und<lb/>
Metaphern, als die be&#x017F;ten und richtig&#x017F;ten an, welche<lb/>
jene große Ku&#x0364;n&#x017F;tler in ihren Werken gebraucht hatten.<lb/>
Ihre Ausdru&#x0364;cke wurden nach und nach allgemein aus-<lb/>
gebreitet, und die Sprachen wurden durch &#x017F;ie ver&#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nert, veredelt und bereichert.</p><lb/>
        <p>Werfen wir nun wieder einen Blick auf un&#x017F;er<lb/>
Vaterland, &#x017F;o finden wir ein Gewirre von Sprache,<lb/>
ohne alle Anmuth, das jeder nach &#x017F;einen Einfa&#x0364;llen be-<lb/>
handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdru&#x0364;cke,<lb/>
man vernachla&#x0364;ßigt die eigentlich&#x017F;ten und ausdru&#x0364;ckend-<lb/>
&#x017F;ten Worte; und man ver&#x017F;chwemmt oft allen Sinn<lb/>
und Gedanken in einem Meer von Epi&#x017F;oden. Ich ge-<lb/>
be mir alle Mu&#x0364;he, um un&#x017F;ere <persName>Homer</persName>e, un&#x017F;ere <persName>Virgil</persName>e,<lb/>
un&#x017F;ere <persName>Anacreon</persName>s, un&#x017F;ere <persName>Horatz</persName>e, un&#x017F;ere <persName>Demo&#x017F;then</persName>e,<lb/>
un&#x017F;ere <persName>Cicero</persName>ne, un&#x017F;ere <persName>Thucydides</persName>, un&#x017F;ere <persName>Livius</persName>, aus-<lb/>
zufor&#x017F;chen; aber ich finde &#x017F;ie nirgend, alle meine Mu&#x0364;he<lb/>
i&#x017F;t um&#x017F;on&#x017F;t. Ich da&#x0364;chte al&#x017F;o, wir wa&#x0364;ren aufrichtig,<lb/>
und ge&#x017F;tu&#x0364;nden nur ehrlich, daß bis itzt die &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften in un&#x017F;erm Boden, noch nicht haben ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">deihen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0013] zweifle an der Richtigkeit dieſer Behauptungen gar nicht; aber ſie duͤrfen uns nicht abhalten, den fernern Fortſchritten der Litteratur im alten Griechenland und im neuern Italien, weiter nachzugehen. Die beruͤhm- ten Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber dieſer Laͤn- der ſetzten die Sprache derſelben durch ihre Schriften feſt. Das Publikum nahm nach einer ſtillſchweigen- den Uebereinſtimmung, die Wendungen, Phraſen und Metaphern, als die beſten und richtigſten an, welche jene große Kuͤnſtler in ihren Werken gebraucht hatten. Ihre Ausdruͤcke wurden nach und nach allgemein aus- gebreitet, und die Sprachen wurden durch ſie verſchoͤ- nert, veredelt und bereichert. Werfen wir nun wieder einen Blick auf unſer Vaterland, ſo finden wir ein Gewirre von Sprache, ohne alle Anmuth, das jeder nach ſeinen Einfaͤllen be- handelt. Man kennt hier keine Wahl der Ausdruͤcke, man vernachlaͤßigt die eigentlichſten und ausdruͤckend- ſten Worte; und man verſchwemmt oft allen Sinn und Gedanken in einem Meer von Epiſoden. Ich ge- be mir alle Muͤhe, um unſere Homere, unſere Virgile, unſere Anacreons, unſere Horatze, unſere Demoſthene, unſere Cicerone, unſere Thucydides, unſere Livius, aus- zuforſchen; aber ich finde ſie nirgend, alle meine Muͤhe iſt umſonſt. Ich daͤchte alſo, wir waͤren aufrichtig, und geſtuͤnden nur ehrlich, daß bis itzt die ſchoͤnen Wiſſenſchaften in unſerm Boden, noch nicht haben ge- deihen A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/13
Zitationshilfe: Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/13>, abgerufen am 22.11.2024.