Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wär's so, dann müßt' ich Euch beneiden, um diese That, wie um ein seltenes, höchstes Lebensglück, nach dem ich stets fruchtlos und vergeblich gerungen. Aber nein, nein, Ihr täuscht Euch; der Mensch handelt nie voll und unbeirrt aus freiem Willen; denn schon in dem Augenblicke, wo dieser Wille einen Entschluß in der Seele hervorrufen will, wird er bewußt oder unbewußt durch eine Reihe von Ursachen bestimmt, die außer uns bestehen, und über die wir nicht gebieten, denen wir nur gehorchen können. Bis zu einem gewissen Grade muß ich Eurer Ansicht recht geben, obwohl sie von den Verkündern unbeschränkter Freiheit so wenig getheilt wird, als von den Verfechtern bevorzugter Rechte und absoluter Gewalt. Und dennoch hab' ich Recht, und zwar nicht bloß bis zu einem gewissen Grade, fuhr der Hauptmann eifrig fort, da nur auf diesem Wege eine sittliche Weltordnung zu begreifen und eine gerechte Beurtheilung der Menschen möglich ist; denn eben weil die sittliche Kraft des Einzelnen, der freie Wille, nie frei und unbeirrt zu wirken vermag, hängt auch der besten That das Unvollkommene an, aus dem dann die Schuld, die Strafe, das Verhängniß entspringt. Und so liegt die Schuld meines Unterganges nicht in Euch, noch bei Jenen, die mir das Urtheil gesprochen, sondern eben in der Unvollkommenheit meiner Handlungen, die sich nach unabänderlichen Gesetzen rächen muß. Wie sollt' ich wär's so, dann müßt' ich Euch beneiden, um diese That, wie um ein seltenes, höchstes Lebensglück, nach dem ich stets fruchtlos und vergeblich gerungen. Aber nein, nein, Ihr täuscht Euch; der Mensch handelt nie voll und unbeirrt aus freiem Willen; denn schon in dem Augenblicke, wo dieser Wille einen Entschluß in der Seele hervorrufen will, wird er bewußt oder unbewußt durch eine Reihe von Ursachen bestimmt, die außer uns bestehen, und über die wir nicht gebieten, denen wir nur gehorchen können. Bis zu einem gewissen Grade muß ich Eurer Ansicht recht geben, obwohl sie von den Verkündern unbeschränkter Freiheit so wenig getheilt wird, als von den Verfechtern bevorzugter Rechte und absoluter Gewalt. Und dennoch hab' ich Recht, und zwar nicht bloß bis zu einem gewissen Grade, fuhr der Hauptmann eifrig fort, da nur auf diesem Wege eine sittliche Weltordnung zu begreifen und eine gerechte Beurtheilung der Menschen möglich ist; denn eben weil die sittliche Kraft des Einzelnen, der freie Wille, nie frei und unbeirrt zu wirken vermag, hängt auch der besten That das Unvollkommene an, aus dem dann die Schuld, die Strafe, das Verhängniß entspringt. Und so liegt die Schuld meines Unterganges nicht in Euch, noch bei Jenen, die mir das Urtheil gesprochen, sondern eben in der Unvollkommenheit meiner Handlungen, die sich nach unabänderlichen Gesetzen rächen muß. Wie sollt' ich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0095"/> wär's so, dann müßt' ich Euch beneiden, um diese That, wie um ein seltenes, höchstes Lebensglück, nach dem ich stets fruchtlos und vergeblich gerungen. Aber nein, nein, Ihr täuscht Euch; der Mensch handelt nie voll und unbeirrt aus freiem Willen; denn schon in dem Augenblicke, wo dieser Wille einen Entschluß in der Seele hervorrufen will, wird er bewußt oder unbewußt durch eine Reihe von Ursachen bestimmt, die außer uns bestehen, und über die wir nicht gebieten, denen wir nur gehorchen können.</p><lb/> <p>Bis zu einem gewissen Grade muß ich Eurer Ansicht recht geben, obwohl sie von den Verkündern unbeschränkter Freiheit so wenig getheilt wird, als von den Verfechtern bevorzugter Rechte und absoluter Gewalt.</p><lb/> <p>Und dennoch hab' ich Recht, und zwar nicht bloß bis zu einem gewissen Grade, fuhr der Hauptmann eifrig fort, da nur auf diesem Wege eine sittliche Weltordnung zu begreifen und eine gerechte Beurtheilung der Menschen möglich ist; denn eben weil die sittliche Kraft des Einzelnen, der freie Wille, nie frei und unbeirrt zu wirken vermag, hängt auch der besten That das Unvollkommene an, aus dem dann die Schuld, die Strafe, das Verhängniß entspringt. Und so liegt die Schuld meines Unterganges nicht in Euch, noch bei Jenen, die mir das Urtheil gesprochen, sondern eben in der Unvollkommenheit meiner Handlungen, die sich nach unabänderlichen Gesetzen rächen muß. Wie sollt' ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
wär's so, dann müßt' ich Euch beneiden, um diese That, wie um ein seltenes, höchstes Lebensglück, nach dem ich stets fruchtlos und vergeblich gerungen. Aber nein, nein, Ihr täuscht Euch; der Mensch handelt nie voll und unbeirrt aus freiem Willen; denn schon in dem Augenblicke, wo dieser Wille einen Entschluß in der Seele hervorrufen will, wird er bewußt oder unbewußt durch eine Reihe von Ursachen bestimmt, die außer uns bestehen, und über die wir nicht gebieten, denen wir nur gehorchen können.
Bis zu einem gewissen Grade muß ich Eurer Ansicht recht geben, obwohl sie von den Verkündern unbeschränkter Freiheit so wenig getheilt wird, als von den Verfechtern bevorzugter Rechte und absoluter Gewalt.
Und dennoch hab' ich Recht, und zwar nicht bloß bis zu einem gewissen Grade, fuhr der Hauptmann eifrig fort, da nur auf diesem Wege eine sittliche Weltordnung zu begreifen und eine gerechte Beurtheilung der Menschen möglich ist; denn eben weil die sittliche Kraft des Einzelnen, der freie Wille, nie frei und unbeirrt zu wirken vermag, hängt auch der besten That das Unvollkommene an, aus dem dann die Schuld, die Strafe, das Verhängniß entspringt. Und so liegt die Schuld meines Unterganges nicht in Euch, noch bei Jenen, die mir das Urtheil gesprochen, sondern eben in der Unvollkommenheit meiner Handlungen, die sich nach unabänderlichen Gesetzen rächen muß. Wie sollt' ich
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/95>, abgerufen am 17.02.2025. |