Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nicht getraute, ihn um seinen Paß, um woher und wohin zu befragen. Das muß wenigstens der Abgesandte einer fürstlichen Hoheit sein, hatte er gedacht, wenn es nicht eine solche erlauchte Person selbst ist, die sich das Vergnügen macht, allein zu reisen, oder deren Gefolge erst nachkommen wird. Aber als der Fremde schon vorbeigeritten, hatte er seinen Schimmel wieder umgelenkt und den Thorwart nach einer Herberge gefragt. Dieser nannte ehrerbietigst die goldene Sonne und den Distelzwang als die Gasthäuser, in denen vornehme Reisende abzusteigen pflegten. Der Fremde jedoch erwiderte, er begehre vor Allem nach der Zunftherberge, in der sich die Haarkräusler und Perrückenmacher zum Abendtrunke einfänden. Aha, dachte der Thorwart, die gewünschte Herberge nennend und einen bedeutungsvollen Blick auf die braunen Haare des Fremden werfend, die sich in üppiger Fülle unter dem kleinen Hute hervorrollten, hab's auf den ersten Blick getroffen; meine Augen sind nicht umsonst seit dreißig Jahren im Dienste gewesen. Der will incognito bleiben und sich seine Haare färben lassen oder so was, bevor er sich in Gesellschaft zeigt. Na, wollen sehen, ob es ihm gelingen wird. Bin auch kein Dummkopf, ich. Und um dem Selbstgefühle, das durch die letzten Worte leuchtete, alsbald die richtige Geltung zu verschaffen, trat der Thorwart an das nächste Haus und ließ seine Finger pochend auf ein kleines Fenster fallen. Schwerenoth, Gevatter, rief er, sein Gesicht hart an die nicht getraute, ihn um seinen Paß, um woher und wohin zu befragen. Das muß wenigstens der Abgesandte einer fürstlichen Hoheit sein, hatte er gedacht, wenn es nicht eine solche erlauchte Person selbst ist, die sich das Vergnügen macht, allein zu reisen, oder deren Gefolge erst nachkommen wird. Aber als der Fremde schon vorbeigeritten, hatte er seinen Schimmel wieder umgelenkt und den Thorwart nach einer Herberge gefragt. Dieser nannte ehrerbietigst die goldene Sonne und den Distelzwang als die Gasthäuser, in denen vornehme Reisende abzusteigen pflegten. Der Fremde jedoch erwiderte, er begehre vor Allem nach der Zunftherberge, in der sich die Haarkräusler und Perrückenmacher zum Abendtrunke einfänden. Aha, dachte der Thorwart, die gewünschte Herberge nennend und einen bedeutungsvollen Blick auf die braunen Haare des Fremden werfend, die sich in üppiger Fülle unter dem kleinen Hute hervorrollten, hab's auf den ersten Blick getroffen; meine Augen sind nicht umsonst seit dreißig Jahren im Dienste gewesen. Der will incognito bleiben und sich seine Haare färben lassen oder so was, bevor er sich in Gesellschaft zeigt. Na, wollen sehen, ob es ihm gelingen wird. Bin auch kein Dummkopf, ich. Und um dem Selbstgefühle, das durch die letzten Worte leuchtete, alsbald die richtige Geltung zu verschaffen, trat der Thorwart an das nächste Haus und ließ seine Finger pochend auf ein kleines Fenster fallen. Schwerenoth, Gevatter, rief er, sein Gesicht hart an die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0009"/> nicht getraute, ihn um seinen Paß, um woher und wohin zu befragen. Das muß wenigstens der Abgesandte einer fürstlichen Hoheit sein, hatte er gedacht, wenn es nicht eine solche erlauchte Person selbst ist, die sich das Vergnügen macht, allein zu reisen, oder deren Gefolge erst nachkommen wird. Aber als der Fremde schon vorbeigeritten, hatte er seinen Schimmel wieder umgelenkt und den Thorwart nach einer Herberge gefragt. Dieser nannte ehrerbietigst die goldene Sonne und den Distelzwang als die Gasthäuser, in denen vornehme Reisende abzusteigen pflegten. Der Fremde jedoch erwiderte, er begehre vor Allem nach der Zunftherberge, in der sich die Haarkräusler und Perrückenmacher zum Abendtrunke einfänden. Aha, dachte der Thorwart, die gewünschte Herberge nennend und einen bedeutungsvollen Blick auf die braunen Haare des Fremden werfend, die sich in üppiger Fülle unter dem kleinen Hute hervorrollten, hab's auf den ersten Blick getroffen; meine Augen sind nicht umsonst seit dreißig Jahren im Dienste gewesen. Der will incognito bleiben und sich seine Haare färben lassen oder so was, bevor er sich in Gesellschaft zeigt. Na, wollen sehen, ob es ihm gelingen wird. Bin auch kein Dummkopf, ich.</p><lb/> <p>Und um dem Selbstgefühle, das durch die letzten Worte leuchtete, alsbald die richtige Geltung zu verschaffen, trat der Thorwart an das nächste Haus und ließ seine Finger pochend auf ein kleines Fenster fallen. Schwerenoth, Gevatter, rief er, sein Gesicht hart an die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
nicht getraute, ihn um seinen Paß, um woher und wohin zu befragen. Das muß wenigstens der Abgesandte einer fürstlichen Hoheit sein, hatte er gedacht, wenn es nicht eine solche erlauchte Person selbst ist, die sich das Vergnügen macht, allein zu reisen, oder deren Gefolge erst nachkommen wird. Aber als der Fremde schon vorbeigeritten, hatte er seinen Schimmel wieder umgelenkt und den Thorwart nach einer Herberge gefragt. Dieser nannte ehrerbietigst die goldene Sonne und den Distelzwang als die Gasthäuser, in denen vornehme Reisende abzusteigen pflegten. Der Fremde jedoch erwiderte, er begehre vor Allem nach der Zunftherberge, in der sich die Haarkräusler und Perrückenmacher zum Abendtrunke einfänden. Aha, dachte der Thorwart, die gewünschte Herberge nennend und einen bedeutungsvollen Blick auf die braunen Haare des Fremden werfend, die sich in üppiger Fülle unter dem kleinen Hute hervorrollten, hab's auf den ersten Blick getroffen; meine Augen sind nicht umsonst seit dreißig Jahren im Dienste gewesen. Der will incognito bleiben und sich seine Haare färben lassen oder so was, bevor er sich in Gesellschaft zeigt. Na, wollen sehen, ob es ihm gelingen wird. Bin auch kein Dummkopf, ich.
Und um dem Selbstgefühle, das durch die letzten Worte leuchtete, alsbald die richtige Geltung zu verschaffen, trat der Thorwart an das nächste Haus und ließ seine Finger pochend auf ein kleines Fenster fallen. Schwerenoth, Gevatter, rief er, sein Gesicht hart an die
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/9>, abgerufen am 16.02.2025. |