Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.... Tod oder Leben, Seligkeit oder Verdammniß; gleichviel. Du mußt dein Geschick kennen lernen. Als er das Siegel mit einem raschen Zuge losgelös't und seine Blicke die ersten Zeilen überflogen hatten, sprang er empor, um wie ein Trunkener durch das Gemach zu schwanken. Dabei preßte er das Blatt gegen seine Brust und rief mit zitternder Stimme: O Julia, vergib mir, daß ich einen Augenblick an dem Starkmuthe deiner Liebe zweifeln konnte ... du Herrliche, du Hochherzige, der mein Leben und Sterben, mein letzter Athemzug gehören soll! Er warf sich wieder auf einen Stuhl und drückte beide Hände auf die Augen, als wären sie, von einem plötzlichen Glanze geblendet, nicht mehr im Stande, das helle Tageslicht zu ertragen. So saß er lange vor sich hingebeugt, ehe er es wagte, den Brief zu Ende zu lesen. Und er that Wohl daran, diesen Augenblick des reinen, unvergällten Glückes in seiner ganzen Seligkeit durchzukosten, bevor er dem Zweifel gestattete, einen Schatten über das rosige Morgenland seiner Hoffnungen auszugießen; denn ach, wie wenige Augenblicke ungetrübten Glückes zählt das Menschenleben, dieser seltsame Traum des Daseins, der mit einer Klage beginnt, um mit einem Seufzer zu Ende zu gehen! -- Theobald mußte diesem unabänderlichen Geschicke sich ebenfalls unterwerfen, als er endlich das Blatt wieder vor die Augen hob, so wenige Worte außer den schon gelesenen dasselbe auch ent- … Tod oder Leben, Seligkeit oder Verdammniß; gleichviel. Du mußt dein Geschick kennen lernen. Als er das Siegel mit einem raschen Zuge losgelös't und seine Blicke die ersten Zeilen überflogen hatten, sprang er empor, um wie ein Trunkener durch das Gemach zu schwanken. Dabei preßte er das Blatt gegen seine Brust und rief mit zitternder Stimme: O Julia, vergib mir, daß ich einen Augenblick an dem Starkmuthe deiner Liebe zweifeln konnte … du Herrliche, du Hochherzige, der mein Leben und Sterben, mein letzter Athemzug gehören soll! Er warf sich wieder auf einen Stuhl und drückte beide Hände auf die Augen, als wären sie, von einem plötzlichen Glanze geblendet, nicht mehr im Stande, das helle Tageslicht zu ertragen. So saß er lange vor sich hingebeugt, ehe er es wagte, den Brief zu Ende zu lesen. Und er that Wohl daran, diesen Augenblick des reinen, unvergällten Glückes in seiner ganzen Seligkeit durchzukosten, bevor er dem Zweifel gestattete, einen Schatten über das rosige Morgenland seiner Hoffnungen auszugießen; denn ach, wie wenige Augenblicke ungetrübten Glückes zählt das Menschenleben, dieser seltsame Traum des Daseins, der mit einer Klage beginnt, um mit einem Seufzer zu Ende zu gehen! — Theobald mußte diesem unabänderlichen Geschicke sich ebenfalls unterwerfen, als er endlich das Blatt wieder vor die Augen hob, so wenige Worte außer den schon gelesenen dasselbe auch ent- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0080"/> … Tod oder Leben, Seligkeit oder Verdammniß; gleichviel. Du mußt dein Geschick kennen lernen.</p><lb/> <p>Als er das Siegel mit einem raschen Zuge losgelös't und seine Blicke die ersten Zeilen überflogen hatten, sprang er empor, um wie ein Trunkener durch das Gemach zu schwanken. Dabei preßte er das Blatt gegen seine Brust und rief mit zitternder Stimme: O Julia, vergib mir, daß ich einen Augenblick an dem Starkmuthe deiner Liebe zweifeln konnte … du Herrliche, du Hochherzige, der mein Leben und Sterben, mein letzter Athemzug gehören soll!</p><lb/> <p>Er warf sich wieder auf einen Stuhl und drückte beide Hände auf die Augen, als wären sie, von einem plötzlichen Glanze geblendet, nicht mehr im Stande, das helle Tageslicht zu ertragen.</p><lb/> <p>So saß er lange vor sich hingebeugt, ehe er es wagte, den Brief zu Ende zu lesen. Und er that Wohl daran, diesen Augenblick des reinen, unvergällten Glückes in seiner ganzen Seligkeit durchzukosten, bevor er dem Zweifel gestattete, einen Schatten über das rosige Morgenland seiner Hoffnungen auszugießen; denn ach, wie wenige Augenblicke ungetrübten Glückes zählt das Menschenleben, dieser seltsame Traum des Daseins, der mit einer Klage beginnt, um mit einem Seufzer zu Ende zu gehen! — Theobald mußte diesem unabänderlichen Geschicke sich ebenfalls unterwerfen, als er endlich das Blatt wieder vor die Augen hob, so wenige Worte außer den schon gelesenen dasselbe auch ent-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
… Tod oder Leben, Seligkeit oder Verdammniß; gleichviel. Du mußt dein Geschick kennen lernen.
Als er das Siegel mit einem raschen Zuge losgelös't und seine Blicke die ersten Zeilen überflogen hatten, sprang er empor, um wie ein Trunkener durch das Gemach zu schwanken. Dabei preßte er das Blatt gegen seine Brust und rief mit zitternder Stimme: O Julia, vergib mir, daß ich einen Augenblick an dem Starkmuthe deiner Liebe zweifeln konnte … du Herrliche, du Hochherzige, der mein Leben und Sterben, mein letzter Athemzug gehören soll!
Er warf sich wieder auf einen Stuhl und drückte beide Hände auf die Augen, als wären sie, von einem plötzlichen Glanze geblendet, nicht mehr im Stande, das helle Tageslicht zu ertragen.
So saß er lange vor sich hingebeugt, ehe er es wagte, den Brief zu Ende zu lesen. Und er that Wohl daran, diesen Augenblick des reinen, unvergällten Glückes in seiner ganzen Seligkeit durchzukosten, bevor er dem Zweifel gestattete, einen Schatten über das rosige Morgenland seiner Hoffnungen auszugießen; denn ach, wie wenige Augenblicke ungetrübten Glückes zählt das Menschenleben, dieser seltsame Traum des Daseins, der mit einer Klage beginnt, um mit einem Seufzer zu Ende zu gehen! — Theobald mußte diesem unabänderlichen Geschicke sich ebenfalls unterwerfen, als er endlich das Blatt wieder vor die Augen hob, so wenige Worte außer den schon gelesenen dasselbe auch ent-
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/80>, abgerufen am 17.02.2025. |