Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seines Daseins nachjagen mag. Und für diesen Genuß wurde reichliche Vorsorge getroffen. Neben jedem Standposten, an den Thoren, am Zeughause und an der Kreuzgasse lag ein mächtiges Weinfaß, das seit einem halben Jahrhundert heute zum erstenmale wieder die feuchte Nacht des Rathhauskellers mit dem milden Tageslichte vertauscht, und vor all jenen Häusern, die am Morgen mit den verhängnißvollen Kreuzen bezeichnet gewesen, standen nun lange Tische mit leckeren Speisen bedeckt. Daran saßen die vornehmsten und holdesten Frauen, um mit eigener Hand die vorüberziehenden Patrouillen zu bedienen und neugierig mit ihnen über die Vorgänge des Tages zu discuriren. Eine Hauptrolle spielte, wie leicht zu begreifen, in all diesen Gesprächen der muthige Haarkräuslergeselle Theobald, und wieder flog sein Name von Mund zu Mund, wie am ersten Tage seiner Ankunft in der Stadt. Und wie damals rankten sich auch heute seltsame, für Viele fast unglaubliche Gerüchte an ihm empor, während Manches, um das einst Meister Bölzlein verspottet worden, nun plötzlich wieder neue Glaubwürdigkeit gewann. Daß der Haarkräusler den durch seine gewandte Körperkraft und Verwegenheit bekannten Rebellenhäuptling mitten in dem reißenden Flusse überwältigt, ohne der Kugeln zu achten, die von dem schon nahen untern Aarthurm ihm entgegenpfiffen, konnte man noch begreiflich finden, obwohl es von Tausenden keinem Zweiten gelungen sein möchte, bloß mit einem Arme die wilden seines Daseins nachjagen mag. Und für diesen Genuß wurde reichliche Vorsorge getroffen. Neben jedem Standposten, an den Thoren, am Zeughause und an der Kreuzgasse lag ein mächtiges Weinfaß, das seit einem halben Jahrhundert heute zum erstenmale wieder die feuchte Nacht des Rathhauskellers mit dem milden Tageslichte vertauscht, und vor all jenen Häusern, die am Morgen mit den verhängnißvollen Kreuzen bezeichnet gewesen, standen nun lange Tische mit leckeren Speisen bedeckt. Daran saßen die vornehmsten und holdesten Frauen, um mit eigener Hand die vorüberziehenden Patrouillen zu bedienen und neugierig mit ihnen über die Vorgänge des Tages zu discuriren. Eine Hauptrolle spielte, wie leicht zu begreifen, in all diesen Gesprächen der muthige Haarkräuslergeselle Theobald, und wieder flog sein Name von Mund zu Mund, wie am ersten Tage seiner Ankunft in der Stadt. Und wie damals rankten sich auch heute seltsame, für Viele fast unglaubliche Gerüchte an ihm empor, während Manches, um das einst Meister Bölzlein verspottet worden, nun plötzlich wieder neue Glaubwürdigkeit gewann. Daß der Haarkräusler den durch seine gewandte Körperkraft und Verwegenheit bekannten Rebellenhäuptling mitten in dem reißenden Flusse überwältigt, ohne der Kugeln zu achten, die von dem schon nahen untern Aarthurm ihm entgegenpfiffen, konnte man noch begreiflich finden, obwohl es von Tausenden keinem Zweiten gelungen sein möchte, bloß mit einem Arme die wilden <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0073"/> seines Daseins nachjagen mag. Und für diesen Genuß wurde reichliche Vorsorge getroffen. Neben jedem Standposten, an den Thoren, am Zeughause und an der Kreuzgasse lag ein mächtiges Weinfaß, das seit einem halben Jahrhundert heute zum erstenmale wieder die feuchte Nacht des Rathhauskellers mit dem milden Tageslichte vertauscht, und vor all jenen Häusern, die am Morgen mit den verhängnißvollen Kreuzen bezeichnet gewesen, standen nun lange Tische mit leckeren Speisen bedeckt. Daran saßen die vornehmsten und holdesten Frauen, um mit eigener Hand die vorüberziehenden Patrouillen zu bedienen und neugierig mit ihnen über die Vorgänge des Tages zu discuriren.</p><lb/> <p>Eine Hauptrolle spielte, wie leicht zu begreifen, in all diesen Gesprächen der muthige Haarkräuslergeselle Theobald, und wieder flog sein Name von Mund zu Mund, wie am ersten Tage seiner Ankunft in der Stadt. Und wie damals rankten sich auch heute seltsame, für Viele fast unglaubliche Gerüchte an ihm empor, während Manches, um das einst Meister Bölzlein verspottet worden, nun plötzlich wieder neue Glaubwürdigkeit gewann. Daß der Haarkräusler den durch seine gewandte Körperkraft und Verwegenheit bekannten Rebellenhäuptling mitten in dem reißenden Flusse überwältigt, ohne der Kugeln zu achten, die von dem schon nahen untern Aarthurm ihm entgegenpfiffen, konnte man noch begreiflich finden, obwohl es von Tausenden keinem Zweiten gelungen sein möchte, bloß mit einem Arme die wilden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
seines Daseins nachjagen mag. Und für diesen Genuß wurde reichliche Vorsorge getroffen. Neben jedem Standposten, an den Thoren, am Zeughause und an der Kreuzgasse lag ein mächtiges Weinfaß, das seit einem halben Jahrhundert heute zum erstenmale wieder die feuchte Nacht des Rathhauskellers mit dem milden Tageslichte vertauscht, und vor all jenen Häusern, die am Morgen mit den verhängnißvollen Kreuzen bezeichnet gewesen, standen nun lange Tische mit leckeren Speisen bedeckt. Daran saßen die vornehmsten und holdesten Frauen, um mit eigener Hand die vorüberziehenden Patrouillen zu bedienen und neugierig mit ihnen über die Vorgänge des Tages zu discuriren.
Eine Hauptrolle spielte, wie leicht zu begreifen, in all diesen Gesprächen der muthige Haarkräuslergeselle Theobald, und wieder flog sein Name von Mund zu Mund, wie am ersten Tage seiner Ankunft in der Stadt. Und wie damals rankten sich auch heute seltsame, für Viele fast unglaubliche Gerüchte an ihm empor, während Manches, um das einst Meister Bölzlein verspottet worden, nun plötzlich wieder neue Glaubwürdigkeit gewann. Daß der Haarkräusler den durch seine gewandte Körperkraft und Verwegenheit bekannten Rebellenhäuptling mitten in dem reißenden Flusse überwältigt, ohne der Kugeln zu achten, die von dem schon nahen untern Aarthurm ihm entgegenpfiffen, konnte man noch begreiflich finden, obwohl es von Tausenden keinem Zweiten gelungen sein möchte, bloß mit einem Arme die wilden
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/73>, abgerufen am 27.07.2024. |