Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kämpfen; sie hätten in dir wenigstens einen Gegner fürchten müssen, so lange du ihren Streichen nicht erlegen wärest; jetzt bist du ihnen nichts als ein Wurm, über den sie achtlos hinweggehen, oder verächtlich die Ferse auf ihn setzen. Er war auf die Brücke gekommen, die zum Thore führt, und beugte sich über das Geländer, um in den hochgehenden Strom hinabzuschauen. Die Wasser schossen wildflutend heran und brachen sich aufschäumend an den mächtigen Steinpfeilern; aber die ganze Brücke war fortwährend von einem unheimlichen Schüttern durchbebt, und wer über dieselbe ging, beeilte seine Schritte, als wollte er einer drohenden Gefahr entrinnen. Einmal werdet ihr doch noch zusammenbrechen vor diesen lebendigen Schneewassern des Hochgebirges, rief Theobald in den schäumenden Strudel hinunter; -- ihr ahnt es und zittert, ihr stolzen, herzlosen Stützen des alten Bauwerkes. -- Das solltet Ihr nicht wünschen, Herr, sagte eine Stimme, es will sonst aller feste Grund wanken. Es war der Wärter am nahen Thore, der neben Theobald stand. Uebrigens wenn Ihr noch hinaus wollt, wie ich denke, fügte er leiser bei, so beeilt Euch; ich erwarte jeden Augenblick den Befehl zum Thorschlusse. Wie, mitten am Tage? Der Alte hob die Achseln ein wenig in die Höhe und sagte scheu umherblickend: Thut wie Ihr wollt, Herr. Mancher möcht' froh sein, er wäre so nah' hier wie Ihr's seid. kämpfen; sie hätten in dir wenigstens einen Gegner fürchten müssen, so lange du ihren Streichen nicht erlegen wärest; jetzt bist du ihnen nichts als ein Wurm, über den sie achtlos hinweggehen, oder verächtlich die Ferse auf ihn setzen. Er war auf die Brücke gekommen, die zum Thore führt, und beugte sich über das Geländer, um in den hochgehenden Strom hinabzuschauen. Die Wasser schossen wildflutend heran und brachen sich aufschäumend an den mächtigen Steinpfeilern; aber die ganze Brücke war fortwährend von einem unheimlichen Schüttern durchbebt, und wer über dieselbe ging, beeilte seine Schritte, als wollte er einer drohenden Gefahr entrinnen. Einmal werdet ihr doch noch zusammenbrechen vor diesen lebendigen Schneewassern des Hochgebirges, rief Theobald in den schäumenden Strudel hinunter; — ihr ahnt es und zittert, ihr stolzen, herzlosen Stützen des alten Bauwerkes. — Das solltet Ihr nicht wünschen, Herr, sagte eine Stimme, es will sonst aller feste Grund wanken. Es war der Wärter am nahen Thore, der neben Theobald stand. Uebrigens wenn Ihr noch hinaus wollt, wie ich denke, fügte er leiser bei, so beeilt Euch; ich erwarte jeden Augenblick den Befehl zum Thorschlusse. Wie, mitten am Tage? Der Alte hob die Achseln ein wenig in die Höhe und sagte scheu umherblickend: Thut wie Ihr wollt, Herr. Mancher möcht' froh sein, er wäre so nah' hier wie Ihr's seid. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0061"/> kämpfen; sie hätten in dir wenigstens einen Gegner fürchten müssen, so lange du ihren Streichen nicht erlegen wärest; jetzt bist du ihnen nichts als ein Wurm, über den sie achtlos hinweggehen, oder verächtlich die Ferse auf ihn setzen. Er war auf die Brücke gekommen, die zum Thore führt, und beugte sich über das Geländer, um in den hochgehenden Strom hinabzuschauen. Die Wasser schossen wildflutend heran und brachen sich aufschäumend an den mächtigen Steinpfeilern; aber die ganze Brücke war fortwährend von einem unheimlichen Schüttern durchbebt, und wer über dieselbe ging, beeilte seine Schritte, als wollte er einer drohenden Gefahr entrinnen. Einmal werdet ihr doch noch zusammenbrechen vor diesen lebendigen Schneewassern des Hochgebirges, rief Theobald in den schäumenden Strudel hinunter; — ihr ahnt es und zittert, ihr stolzen, herzlosen Stützen des alten Bauwerkes. — Das solltet Ihr nicht wünschen, Herr, sagte eine Stimme, es will sonst aller feste Grund wanken. Es war der Wärter am nahen Thore, der neben Theobald stand. Uebrigens wenn Ihr noch hinaus wollt, wie ich denke, fügte er leiser bei, so beeilt Euch; ich erwarte jeden Augenblick den Befehl zum Thorschlusse.</p><lb/> <p>Wie, mitten am Tage?</p><lb/> <p>Der Alte hob die Achseln ein wenig in die Höhe und sagte scheu umherblickend: Thut wie Ihr wollt, Herr. Mancher möcht' froh sein, er wäre so nah' hier wie Ihr's seid.</p><lb/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
kämpfen; sie hätten in dir wenigstens einen Gegner fürchten müssen, so lange du ihren Streichen nicht erlegen wärest; jetzt bist du ihnen nichts als ein Wurm, über den sie achtlos hinweggehen, oder verächtlich die Ferse auf ihn setzen. Er war auf die Brücke gekommen, die zum Thore führt, und beugte sich über das Geländer, um in den hochgehenden Strom hinabzuschauen. Die Wasser schossen wildflutend heran und brachen sich aufschäumend an den mächtigen Steinpfeilern; aber die ganze Brücke war fortwährend von einem unheimlichen Schüttern durchbebt, und wer über dieselbe ging, beeilte seine Schritte, als wollte er einer drohenden Gefahr entrinnen. Einmal werdet ihr doch noch zusammenbrechen vor diesen lebendigen Schneewassern des Hochgebirges, rief Theobald in den schäumenden Strudel hinunter; — ihr ahnt es und zittert, ihr stolzen, herzlosen Stützen des alten Bauwerkes. — Das solltet Ihr nicht wünschen, Herr, sagte eine Stimme, es will sonst aller feste Grund wanken. Es war der Wärter am nahen Thore, der neben Theobald stand. Uebrigens wenn Ihr noch hinaus wollt, wie ich denke, fügte er leiser bei, so beeilt Euch; ich erwarte jeden Augenblick den Befehl zum Thorschlusse.
Wie, mitten am Tage?
Der Alte hob die Achseln ein wenig in die Höhe und sagte scheu umherblickend: Thut wie Ihr wollt, Herr. Mancher möcht' froh sein, er wäre so nah' hier wie Ihr's seid.
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/61>, abgerufen am 27.07.2024. |