Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.IV. Als Theobald mit einem Herzen voll Glück und Leid, voll Zorn und Wehmuth die Stadt aufwärts schritt, sah er über die Kreuzgasse vier Rathsherren auf das Rathhaus zugehen, die mit bloßen Degen einen Gefangenen in ihrer Mitte führten. Dieser schien unvermuthet, doch nicht ohne hartnäckigen Widerstand überwältigt worden zu sein; der Hausrock, den er trug, war an vielen Stellen zerrissen und das Gesicht von einem Schusse verbrannt. Theobald kannte den Mann, der ihm schon früher durch körperliche Schönheit und durch die Größe seiner Gestalt, aber auch zugleich durch ein barsches, prahlerisches Wesen aufgefallen; es war der Lieutenant Fueter bei der Stadtgarnison, und die Verschwörung hatte also selbst bei diesen berufenen Wächtern des Gesetzes und der Ordnung Eingang gefunden; dieser Gedanke schien auch auf das kleine Trüpplein Burger, die sich in bunter Bewaffnung vor dem Rathhause eingefunden, einen bedenklichen Eindruck zu machen, denn man sah da und dort einen von ihnen um die Ecke schleichen und nicht wieder zum Vorschein kommen. Das unbewaffnete Volk, das sich in dichten Haufen herbeidrängte, verhielt sich ruhig, offenbar überrascht und noch unentschlossen, auf welche Seite es sich zu schlagen habe. Als der Gefangene ins Rathhaus geführt war, trat aus demselben der Schultheiß, mit IV. Als Theobald mit einem Herzen voll Glück und Leid, voll Zorn und Wehmuth die Stadt aufwärts schritt, sah er über die Kreuzgasse vier Rathsherren auf das Rathhaus zugehen, die mit bloßen Degen einen Gefangenen in ihrer Mitte führten. Dieser schien unvermuthet, doch nicht ohne hartnäckigen Widerstand überwältigt worden zu sein; der Hausrock, den er trug, war an vielen Stellen zerrissen und das Gesicht von einem Schusse verbrannt. Theobald kannte den Mann, der ihm schon früher durch körperliche Schönheit und durch die Größe seiner Gestalt, aber auch zugleich durch ein barsches, prahlerisches Wesen aufgefallen; es war der Lieutenant Fueter bei der Stadtgarnison, und die Verschwörung hatte also selbst bei diesen berufenen Wächtern des Gesetzes und der Ordnung Eingang gefunden; dieser Gedanke schien auch auf das kleine Trüpplein Burger, die sich in bunter Bewaffnung vor dem Rathhause eingefunden, einen bedenklichen Eindruck zu machen, denn man sah da und dort einen von ihnen um die Ecke schleichen und nicht wieder zum Vorschein kommen. Das unbewaffnete Volk, das sich in dichten Haufen herbeidrängte, verhielt sich ruhig, offenbar überrascht und noch unentschlossen, auf welche Seite es sich zu schlagen habe. Als der Gefangene ins Rathhaus geführt war, trat aus demselben der Schultheiß, mit <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0057"/> </div> <div type="chapter" n="4"> <head>IV.</head><lb/> <p>Als Theobald mit einem Herzen voll Glück und Leid, voll Zorn und Wehmuth die Stadt aufwärts schritt, sah er über die Kreuzgasse vier Rathsherren auf das Rathhaus zugehen, die mit bloßen Degen einen Gefangenen in ihrer Mitte führten. Dieser schien unvermuthet, doch nicht ohne hartnäckigen Widerstand überwältigt worden zu sein; der Hausrock, den er trug, war an vielen Stellen zerrissen und das Gesicht von einem Schusse verbrannt. Theobald kannte den Mann, der ihm schon früher durch körperliche Schönheit und durch die Größe seiner Gestalt, aber auch zugleich durch ein barsches, prahlerisches Wesen aufgefallen; es war der Lieutenant Fueter bei der Stadtgarnison, und die Verschwörung hatte also selbst bei diesen berufenen Wächtern des Gesetzes und der Ordnung Eingang gefunden; dieser Gedanke schien auch auf das kleine Trüpplein Burger, die sich in bunter Bewaffnung vor dem Rathhause eingefunden, einen bedenklichen Eindruck zu machen, denn man sah da und dort einen von ihnen um die Ecke schleichen und nicht wieder zum Vorschein kommen. Das unbewaffnete Volk, das sich in dichten Haufen herbeidrängte, verhielt sich ruhig, offenbar überrascht und noch unentschlossen, auf welche Seite es sich zu schlagen habe. Als der Gefangene ins Rathhaus geführt war, trat aus demselben der Schultheiß, mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
IV.
Als Theobald mit einem Herzen voll Glück und Leid, voll Zorn und Wehmuth die Stadt aufwärts schritt, sah er über die Kreuzgasse vier Rathsherren auf das Rathhaus zugehen, die mit bloßen Degen einen Gefangenen in ihrer Mitte führten. Dieser schien unvermuthet, doch nicht ohne hartnäckigen Widerstand überwältigt worden zu sein; der Hausrock, den er trug, war an vielen Stellen zerrissen und das Gesicht von einem Schusse verbrannt. Theobald kannte den Mann, der ihm schon früher durch körperliche Schönheit und durch die Größe seiner Gestalt, aber auch zugleich durch ein barsches, prahlerisches Wesen aufgefallen; es war der Lieutenant Fueter bei der Stadtgarnison, und die Verschwörung hatte also selbst bei diesen berufenen Wächtern des Gesetzes und der Ordnung Eingang gefunden; dieser Gedanke schien auch auf das kleine Trüpplein Burger, die sich in bunter Bewaffnung vor dem Rathhause eingefunden, einen bedenklichen Eindruck zu machen, denn man sah da und dort einen von ihnen um die Ecke schleichen und nicht wieder zum Vorschein kommen. Das unbewaffnete Volk, das sich in dichten Haufen herbeidrängte, verhielt sich ruhig, offenbar überrascht und noch unentschlossen, auf welche Seite es sich zu schlagen habe. Als der Gefangene ins Rathhaus geführt war, trat aus demselben der Schultheiß, mit
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/57>, abgerufen am 27.07.2024. |