Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seine Hand aus der Ihrigen zurückzog. Ich weiß, was du denkst, sagte sie, ihn mit ihren sanften Augen anblickend; aber du thust mir Unrecht, Theobald. Oder warum willst du den kurzen Traum meines Glückes stören, bevor mir der Tag den süßen Schlaf verscheucht? ... Nein, sprich nicht, mein Freund, ich weiß, es bleibt mir nichts als Ergebung, und drum glaube mir, es ist eine starke Kraft von Nöthen, ein ganzes Leben lang hoffnungslos dulden und entsagen zu müssen. Nicht hoffnungslos ... die Hoffnung wenigstens mußt du mir lassen und dir selbst bewahren, Julia! Hoffen und Entsagen ... ja, Theobald. Hörst du, das sind die Schritte des Vaters vor der Thüre. Sie hatte rasch die Hand an ihre Haare gelegt und das zusammenhaltende Netz losgerissen; aber noch rollte die hellschimmernde Flut erst langsam über die Schultern herab, als der Oberst in seiner Amtstracht, in Sammtmantel und Baret ins Zimmer trat. Statt des kleinen Paradedegens hing eine lange Klinge an seiner Seite, und neben den Schoßenden der Weste blickten zwei Pistolengriffe hervor. Sein Gesicht sah ernst, fast drohend aus. Unter der Thüre blieb er stehen und schaute die Beiden an, als müßte er sich erst besinnen, was das zu bedeuten habe, oder wo er sich befinde; Julia wollte sich erbleichend erheben, um ihm entgegenzugehen; aber Theobald, der scheinbar unbefangen eine ihrer niederfallenden Flechten ergriffen, hielt sie mit einem sanften seine Hand aus der Ihrigen zurückzog. Ich weiß, was du denkst, sagte sie, ihn mit ihren sanften Augen anblickend; aber du thust mir Unrecht, Theobald. Oder warum willst du den kurzen Traum meines Glückes stören, bevor mir der Tag den süßen Schlaf verscheucht? … Nein, sprich nicht, mein Freund, ich weiß, es bleibt mir nichts als Ergebung, und drum glaube mir, es ist eine starke Kraft von Nöthen, ein ganzes Leben lang hoffnungslos dulden und entsagen zu müssen. Nicht hoffnungslos … die Hoffnung wenigstens mußt du mir lassen und dir selbst bewahren, Julia! Hoffen und Entsagen … ja, Theobald. Hörst du, das sind die Schritte des Vaters vor der Thüre. Sie hatte rasch die Hand an ihre Haare gelegt und das zusammenhaltende Netz losgerissen; aber noch rollte die hellschimmernde Flut erst langsam über die Schultern herab, als der Oberst in seiner Amtstracht, in Sammtmantel und Baret ins Zimmer trat. Statt des kleinen Paradedegens hing eine lange Klinge an seiner Seite, und neben den Schoßenden der Weste blickten zwei Pistolengriffe hervor. Sein Gesicht sah ernst, fast drohend aus. Unter der Thüre blieb er stehen und schaute die Beiden an, als müßte er sich erst besinnen, was das zu bedeuten habe, oder wo er sich befinde; Julia wollte sich erbleichend erheben, um ihm entgegenzugehen; aber Theobald, der scheinbar unbefangen eine ihrer niederfallenden Flechten ergriffen, hielt sie mit einem sanften <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0051"/> seine Hand aus der Ihrigen zurückzog. Ich weiß, was du denkst, sagte sie, ihn mit ihren sanften Augen anblickend; aber du thust mir Unrecht, Theobald. Oder warum willst du den kurzen Traum meines Glückes stören, bevor mir der Tag den süßen Schlaf verscheucht? … Nein, sprich nicht, mein Freund, ich weiß, es bleibt mir nichts als Ergebung, und drum glaube mir, es ist eine starke Kraft von Nöthen, ein ganzes Leben lang hoffnungslos dulden und entsagen zu müssen.</p><lb/> <p>Nicht hoffnungslos … die Hoffnung wenigstens mußt du mir lassen und dir selbst bewahren, Julia!</p><lb/> <p>Hoffen und Entsagen … ja, Theobald. Hörst du, das sind die Schritte des Vaters vor der Thüre.</p><lb/> <p>Sie hatte rasch die Hand an ihre Haare gelegt und das zusammenhaltende Netz losgerissen; aber noch rollte die hellschimmernde Flut erst langsam über die Schultern herab, als der Oberst in seiner Amtstracht, in Sammtmantel und Baret ins Zimmer trat. Statt des kleinen Paradedegens hing eine lange Klinge an seiner Seite, und neben den Schoßenden der Weste blickten zwei Pistolengriffe hervor. Sein Gesicht sah ernst, fast drohend aus.</p><lb/> <p>Unter der Thüre blieb er stehen und schaute die Beiden an, als müßte er sich erst besinnen, was das zu bedeuten habe, oder wo er sich befinde; Julia wollte sich erbleichend erheben, um ihm entgegenzugehen; aber Theobald, der scheinbar unbefangen eine ihrer niederfallenden Flechten ergriffen, hielt sie mit einem sanften<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
seine Hand aus der Ihrigen zurückzog. Ich weiß, was du denkst, sagte sie, ihn mit ihren sanften Augen anblickend; aber du thust mir Unrecht, Theobald. Oder warum willst du den kurzen Traum meines Glückes stören, bevor mir der Tag den süßen Schlaf verscheucht? … Nein, sprich nicht, mein Freund, ich weiß, es bleibt mir nichts als Ergebung, und drum glaube mir, es ist eine starke Kraft von Nöthen, ein ganzes Leben lang hoffnungslos dulden und entsagen zu müssen.
Nicht hoffnungslos … die Hoffnung wenigstens mußt du mir lassen und dir selbst bewahren, Julia!
Hoffen und Entsagen … ja, Theobald. Hörst du, das sind die Schritte des Vaters vor der Thüre.
Sie hatte rasch die Hand an ihre Haare gelegt und das zusammenhaltende Netz losgerissen; aber noch rollte die hellschimmernde Flut erst langsam über die Schultern herab, als der Oberst in seiner Amtstracht, in Sammtmantel und Baret ins Zimmer trat. Statt des kleinen Paradedegens hing eine lange Klinge an seiner Seite, und neben den Schoßenden der Weste blickten zwei Pistolengriffe hervor. Sein Gesicht sah ernst, fast drohend aus.
Unter der Thüre blieb er stehen und schaute die Beiden an, als müßte er sich erst besinnen, was das zu bedeuten habe, oder wo er sich befinde; Julia wollte sich erbleichend erheben, um ihm entgegenzugehen; aber Theobald, der scheinbar unbefangen eine ihrer niederfallenden Flechten ergriffen, hielt sie mit einem sanften
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