Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.daß den Standeshäuptern und Regimentsfähigen selbst diese Gerüchte nicht so einfältig vorkamen, wurde am deutlichsten durch den Umstand bewiesen, daß sie bald nur noch in voller Bewaffnung auf der Straße erschienen und wie in Tagen höchster Kriegsgefahr die Schultheißen mit dem Sponton in der Hand aufs Rathhaus zogen. Auch sah man schon einzelne Carrossen, die mit Frauen und Kindern der Vornehmen zu den Stadtthoren hinausfuhren. Die allgemeine Verwirrung nahm zu, als man eines Morgens früh rasch sich vergrößernde Gruppen durch die Hauptstraßen ziehen sah, die vor den ansehnlichsten Häusern stehen blieben, mit aufmerksamen Blicken die Thüren oder Vorsäulen derselben untersuchten und dann schweigend wieder weiter zogen. Der Haarkräusler Theobald, der in den letzten Tagen schon manche seiner schönen Kunden durch die Flucht verloren, wurde auf einem Gange, den er ins Freie beabsichtigt, durch dieses seltsame Treiben angelockt, an eine der Gruppen heranzutreten. Was giebt es da Neues zu schauen? fragte er den nächst vor ihm Stehenden, hätte jedoch seine Anfrage fast bereut, als der Angeredete den Kopf wendete, und er in demselben den ehrsamen Meister Bölzlein erkannte. Dieser schien indessen jeden rachsüchtigen Gedanken, den der Vorgang im kleinen Anker bei ihm erregt haben mochte, zu vergessen über der Angst, die wie ein bleiches Gespenst aus allen seinen Mienen hervorblickte, und leise antwortete er, den Zeige- daß den Standeshäuptern und Regimentsfähigen selbst diese Gerüchte nicht so einfältig vorkamen, wurde am deutlichsten durch den Umstand bewiesen, daß sie bald nur noch in voller Bewaffnung auf der Straße erschienen und wie in Tagen höchster Kriegsgefahr die Schultheißen mit dem Sponton in der Hand aufs Rathhaus zogen. Auch sah man schon einzelne Carrossen, die mit Frauen und Kindern der Vornehmen zu den Stadtthoren hinausfuhren. Die allgemeine Verwirrung nahm zu, als man eines Morgens früh rasch sich vergrößernde Gruppen durch die Hauptstraßen ziehen sah, die vor den ansehnlichsten Häusern stehen blieben, mit aufmerksamen Blicken die Thüren oder Vorsäulen derselben untersuchten und dann schweigend wieder weiter zogen. Der Haarkräusler Theobald, der in den letzten Tagen schon manche seiner schönen Kunden durch die Flucht verloren, wurde auf einem Gange, den er ins Freie beabsichtigt, durch dieses seltsame Treiben angelockt, an eine der Gruppen heranzutreten. Was giebt es da Neues zu schauen? fragte er den nächst vor ihm Stehenden, hätte jedoch seine Anfrage fast bereut, als der Angeredete den Kopf wendete, und er in demselben den ehrsamen Meister Bölzlein erkannte. Dieser schien indessen jeden rachsüchtigen Gedanken, den der Vorgang im kleinen Anker bei ihm erregt haben mochte, zu vergessen über der Angst, die wie ein bleiches Gespenst aus allen seinen Mienen hervorblickte, und leise antwortete er, den Zeige- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0042"/> daß den Standeshäuptern und Regimentsfähigen selbst diese Gerüchte nicht so einfältig vorkamen, wurde am deutlichsten durch den Umstand bewiesen, daß sie bald nur noch in voller Bewaffnung auf der Straße erschienen und wie in Tagen höchster Kriegsgefahr die Schultheißen mit dem Sponton in der Hand aufs Rathhaus zogen. Auch sah man schon einzelne Carrossen, die mit Frauen und Kindern der Vornehmen zu den Stadtthoren hinausfuhren.</p><lb/> <p>Die allgemeine Verwirrung nahm zu, als man eines Morgens früh rasch sich vergrößernde Gruppen durch die Hauptstraßen ziehen sah, die vor den ansehnlichsten Häusern stehen blieben, mit aufmerksamen Blicken die Thüren oder Vorsäulen derselben untersuchten und dann schweigend wieder weiter zogen. Der Haarkräusler Theobald, der in den letzten Tagen schon manche seiner schönen Kunden durch die Flucht verloren, wurde auf einem Gange, den er ins Freie beabsichtigt, durch dieses seltsame Treiben angelockt, an eine der Gruppen heranzutreten. Was giebt es da Neues zu schauen? fragte er den nächst vor ihm Stehenden, hätte jedoch seine Anfrage fast bereut, als der Angeredete den Kopf wendete, und er in demselben den ehrsamen Meister Bölzlein erkannte. Dieser schien indessen jeden rachsüchtigen Gedanken, den der Vorgang im kleinen Anker bei ihm erregt haben mochte, zu vergessen über der Angst, die wie ein bleiches Gespenst aus allen seinen Mienen hervorblickte, und leise antwortete er, den Zeige-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
daß den Standeshäuptern und Regimentsfähigen selbst diese Gerüchte nicht so einfältig vorkamen, wurde am deutlichsten durch den Umstand bewiesen, daß sie bald nur noch in voller Bewaffnung auf der Straße erschienen und wie in Tagen höchster Kriegsgefahr die Schultheißen mit dem Sponton in der Hand aufs Rathhaus zogen. Auch sah man schon einzelne Carrossen, die mit Frauen und Kindern der Vornehmen zu den Stadtthoren hinausfuhren.
Die allgemeine Verwirrung nahm zu, als man eines Morgens früh rasch sich vergrößernde Gruppen durch die Hauptstraßen ziehen sah, die vor den ansehnlichsten Häusern stehen blieben, mit aufmerksamen Blicken die Thüren oder Vorsäulen derselben untersuchten und dann schweigend wieder weiter zogen. Der Haarkräusler Theobald, der in den letzten Tagen schon manche seiner schönen Kunden durch die Flucht verloren, wurde auf einem Gange, den er ins Freie beabsichtigt, durch dieses seltsame Treiben angelockt, an eine der Gruppen heranzutreten. Was giebt es da Neues zu schauen? fragte er den nächst vor ihm Stehenden, hätte jedoch seine Anfrage fast bereut, als der Angeredete den Kopf wendete, und er in demselben den ehrsamen Meister Bölzlein erkannte. Dieser schien indessen jeden rachsüchtigen Gedanken, den der Vorgang im kleinen Anker bei ihm erregt haben mochte, zu vergessen über der Angst, die wie ein bleiches Gespenst aus allen seinen Mienen hervorblickte, und leise antwortete er, den Zeige-
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/42>, abgerufen am 02.03.2025. |