Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Scheiben drückend, einem Manne zu, der drinnen in der Stube mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tische saß und emsig die Nadel handhabte, habt Ihr den vornehmen Fremden nicht bemerkt, der eben vorbeigeritten ist? Wer ist's ... was giebt's? fragte der Andere, rasch von seinem Sitze herabspringend und das Fenster öffnend; ah ... oh, nein, die verdammte Arbeit sitzt mir am Halse, daß ich kaum aufblicken darf. Den auf dem Schimmel meint Ihr? Pscht ... nicht zu laut! machte der Thorwart mit geheimnißvoller Geberde; doch wenn ich Euch rathen darf, so werft Zwirn und Nadel bei Seit' und geht zum kleinen Anker hinunter; dort wird er absteigen. Wär' mein Junge nicht fort, ich würd' selbst hingehen. Ah so, so ... rief der ehrsame Meister leise, indem er eilfertig mit beiden Armen in den Rock fuhr und Hut und Stock zusammensuchte, etwas Verdächtiges, etwas für die Speckkammer, meint Ihr, Gevatter Heinz? Nichts nutz, sagte der Thorwart mit pfiffiger und zugleich überlegener Miene, fehlgeschossen, Nachbar, weit fehlgeschossen; doch marschirt nur gleich ab, trinkt einen Schoppen beim Anker und haltet die Augen offen. Ihr wißt, ein solcher Gang hat Euch schon manchmal mehr eingetragen, als Nadel und Schere die ganze Woche lang, Meister Bötzlein. Der dienstfertige Schneider vergeudete keine Zeit mehr mit Fragen; traute er sich doch zum mindesten Scheiben drückend, einem Manne zu, der drinnen in der Stube mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tische saß und emsig die Nadel handhabte, habt Ihr den vornehmen Fremden nicht bemerkt, der eben vorbeigeritten ist? Wer ist's … was giebt's? fragte der Andere, rasch von seinem Sitze herabspringend und das Fenster öffnend; ah … oh, nein, die verdammte Arbeit sitzt mir am Halse, daß ich kaum aufblicken darf. Den auf dem Schimmel meint Ihr? Pscht … nicht zu laut! machte der Thorwart mit geheimnißvoller Geberde; doch wenn ich Euch rathen darf, so werft Zwirn und Nadel bei Seit' und geht zum kleinen Anker hinunter; dort wird er absteigen. Wär' mein Junge nicht fort, ich würd' selbst hingehen. Ah so, so … rief der ehrsame Meister leise, indem er eilfertig mit beiden Armen in den Rock fuhr und Hut und Stock zusammensuchte, etwas Verdächtiges, etwas für die Speckkammer, meint Ihr, Gevatter Heinz? Nichts nutz, sagte der Thorwart mit pfiffiger und zugleich überlegener Miene, fehlgeschossen, Nachbar, weit fehlgeschossen; doch marschirt nur gleich ab, trinkt einen Schoppen beim Anker und haltet die Augen offen. Ihr wißt, ein solcher Gang hat Euch schon manchmal mehr eingetragen, als Nadel und Schere die ganze Woche lang, Meister Bötzlein. Der dienstfertige Schneider vergeudete keine Zeit mehr mit Fragen; traute er sich doch zum mindesten <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> Scheiben drückend, einem Manne zu, der drinnen in der Stube mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tische saß und emsig die Nadel handhabte, habt Ihr den vornehmen Fremden nicht bemerkt, der eben vorbeigeritten ist?</p><lb/> <p>Wer ist's … was giebt's? fragte der Andere, rasch von seinem Sitze herabspringend und das Fenster öffnend; ah … oh, nein, die verdammte Arbeit sitzt mir am Halse, daß ich kaum aufblicken darf. Den auf dem Schimmel meint Ihr?</p><lb/> <p>Pscht … nicht zu laut! machte der Thorwart mit geheimnißvoller Geberde; doch wenn ich Euch rathen darf, so werft Zwirn und Nadel bei Seit' und geht zum kleinen Anker hinunter; dort wird er absteigen. Wär' mein Junge nicht fort, ich würd' selbst hingehen.</p><lb/> <p>Ah so, so … rief der ehrsame Meister leise, indem er eilfertig mit beiden Armen in den Rock fuhr und Hut und Stock zusammensuchte, etwas Verdächtiges, etwas für die Speckkammer, meint Ihr, Gevatter Heinz?</p><lb/> <p>Nichts nutz, sagte der Thorwart mit pfiffiger und zugleich überlegener Miene, fehlgeschossen, Nachbar, weit fehlgeschossen; doch marschirt nur gleich ab, trinkt einen Schoppen beim Anker und haltet die Augen offen. Ihr wißt, ein solcher Gang hat Euch schon manchmal mehr eingetragen, als Nadel und Schere die ganze Woche lang, Meister Bötzlein.</p><lb/> <p>Der dienstfertige Schneider vergeudete keine Zeit mehr mit Fragen; traute er sich doch zum mindesten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Scheiben drückend, einem Manne zu, der drinnen in der Stube mit untergeschlagenen Beinen auf einem Tische saß und emsig die Nadel handhabte, habt Ihr den vornehmen Fremden nicht bemerkt, der eben vorbeigeritten ist?
Wer ist's … was giebt's? fragte der Andere, rasch von seinem Sitze herabspringend und das Fenster öffnend; ah … oh, nein, die verdammte Arbeit sitzt mir am Halse, daß ich kaum aufblicken darf. Den auf dem Schimmel meint Ihr?
Pscht … nicht zu laut! machte der Thorwart mit geheimnißvoller Geberde; doch wenn ich Euch rathen darf, so werft Zwirn und Nadel bei Seit' und geht zum kleinen Anker hinunter; dort wird er absteigen. Wär' mein Junge nicht fort, ich würd' selbst hingehen.
Ah so, so … rief der ehrsame Meister leise, indem er eilfertig mit beiden Armen in den Rock fuhr und Hut und Stock zusammensuchte, etwas Verdächtiges, etwas für die Speckkammer, meint Ihr, Gevatter Heinz?
Nichts nutz, sagte der Thorwart mit pfiffiger und zugleich überlegener Miene, fehlgeschossen, Nachbar, weit fehlgeschossen; doch marschirt nur gleich ab, trinkt einen Schoppen beim Anker und haltet die Augen offen. Ihr wißt, ein solcher Gang hat Euch schon manchmal mehr eingetragen, als Nadel und Schere die ganze Woche lang, Meister Bötzlein.
Der dienstfertige Schneider vergeudete keine Zeit mehr mit Fragen; traute er sich doch zum mindesten
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/10>, abgerufen am 05.07.2024. |