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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Abends ist sie sehr heiter und zufrieden. Die Hypnose liefert gar kein Ergebnis. Ich beschäftige mich mit der Behandlung der Muskelschmerzen und mit der Herstellung den Sensibilität am rechten Bein, was in der Hypnose sehr leicht gelingt; die hergestellte Empfindlichkeit ist nach dem Erwachen aber zum Theil wieder verloren gegangen. Ehe ich sie verlasse, äussert sie ihre Verwunderung darüber, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, der sonst vor jedem Gewitter aufzutreten pflegte.

18. Mai. Sie hat heute Nacht geschlafen, wie es seit Jahren nicht mehr vorgekommen, klagt aber seit dem Bad über Kälte im Genick, Zusammenziehen und Schmerzen im Gesicht, in den Händen und Füssen, ihre Züge sind gespannt, ihre Hände in Krampfstellungen. Die Hypnose weist keinerlei psychischen Inhalt dieses Zustandes von "Genickkrampf" nach, den ich dann durch Massage im Wachen bessere.1



Ich hoffe, der vorstehende Auszug aus der Chronik der ersten drei Wochen wird hinreichen, ein anschauliches Bild von dem Zustand der Kranken, von der Art meiner therapeutischen Bemühung und von deren Erfolg zu geben. Ich gehe daran, die Krankengeschichte zu vervollständigen.

1 Ihre Verwunderung am Abend vorher, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, war also eine Ahnung des nahenden Zustandes, der sich damals schon vorbereitete und im Unbewussten bemerkt wurde. Diese merkwürdige Form der Ahnung war bei der vorhin erwähnten Frau Cäcilie M. etwas ganz Gewöhnliches. Jedesmal, wenn sie mir im besten Wohlbefinden etwa sagte: "Jetzt habe ich mich schon lange nicht bei Nacht vor Hexen gefürchtet" oder: "Wie froh bin ich, dass mein Augenschmerz so lange ausgeblieben ist," konnte ich sicher sein, dass die nächste Nacht der Wärterin den Dienst durch die ärgste Hexenfurcht erschweren, oder dass der nächste Zustand mit dem gefürchteten Schmerz im Auge beginnen werde. Es war jedesmal ein Durchschimmern dessen, was im Unbewussten bereits fertig vorgebildet lag, und das ahnungslose "officielle" Bewusstsein (nach Charcots Bezeichnung) verarbeitete die als plötzlicher Einfall auftauchende Vorstellung zu einer Aeusserung der Befriedigung, die immer rasch und sicher genug Lügen gestraft wurde. Frau Cäcilie, eine hochintelligente Dame, der ich auch viel Förderung im Verständniss hysterischer Symptome verdanke, machte mich selbst darauf aufmerksam, dass solche Vorkommnisse Anlass zum bekannten Aberglauben des Beschreiens und Berufens gegeben haben mögen. Man soll sich keines Glückes rühmen, andererseits auch den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Eigentlich rühmt man sich des Glückes erst dann, wenn das Unglück schon lauert, und man fasst die Ahnung in die Form des Rühmens, weil hier der Inhalt der Reminiscenz früher auftaucht als die dazu gehörige Empfindung, weil im Bewusstsein also ein erfreulicher Contrast vorhanden ist.

Abends ist sie sehr heiter und zufrieden. Die Hypnose liefert gar kein Ergebnis. Ich beschäftige mich mit der Behandlung der Muskelschmerzen und mit der Herstellung den Sensibilität am rechten Bein, was in der Hypnose sehr leicht gelingt; die hergestellte Empfindlichkeit ist nach dem Erwachen aber zum Theil wieder verloren gegangen. Ehe ich sie verlasse, äussert sie ihre Verwunderung darüber, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, der sonst vor jedem Gewitter aufzutreten pflegte.

18. Mai. Sie hat heute Nacht geschlafen, wie es seit Jahren nicht mehr vorgekommen, klagt aber seit dem Bad über Kälte im Genick, Zusammenziehen und Schmerzen im Gesicht, in den Händen und Füssen, ihre Züge sind gespannt, ihre Hände in Krampfstellungen. Die Hypnose weist keinerlei psychischen Inhalt dieses Zustandes von „Genickkrampf“ nach, den ich dann durch Massage im Wachen bessere.1



Ich hoffe, der vorstehende Auszug aus der Chronik der ersten drei Wochen wird hinreichen, ein anschauliches Bild von dem Zustand der Kranken, von der Art meiner therapeutischen Bemühung und von deren Erfolg zu geben. Ich gehe daran, die Krankengeschichte zu vervollständigen.

1 Ihre Verwunderung am Abend vorher, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, war also eine Ahnung des nahenden Zustandes, der sich damals schon vorbereitete und im Unbewussten bemerkt wurde. Diese merkwürdige Form der Ahnung war bei der vorhin erwähnten Frau Cäcilie M. etwas ganz Gewöhnliches. Jedesmal, wenn sie mir im besten Wohlbefinden etwa sagte: „Jetzt habe ich mich schon lange nicht bei Nacht vor Hexen gefürchtet“ oder: „Wie froh bin ich, dass mein Augenschmerz so lange ausgeblieben ist,“ konnte ich sicher sein, dass die nächste Nacht der Wärterin den Dienst durch die ärgste Hexenfurcht erschweren, oder dass der nächste Zustand mit dem gefürchteten Schmerz im Auge beginnen werde. Es war jedesmal ein Durchschimmern dessen, was im Unbewussten bereits fertig vorgebildet lag, und das ahnungslose „officielle“ Bewusstsein (nach Charcots Bezeichnung) verarbeitete die als plötzlicher Einfall auftauchende Vorstellung zu einer Aeusserung der Befriedigung, die immer rasch und sicher genug Lügen gestraft wurde. Frau Cäcilie, eine hochintelligente Dame, der ich auch viel Förderung im Verständniss hysterischer Symptome verdanke, machte mich selbst darauf aufmerksam, dass solche Vorkommnisse Anlass zum bekannten Aberglauben des Beschreiens und Berufens gegeben haben mögen. Man soll sich keines Glückes rühmen, andererseits auch den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Eigentlich rühmt man sich des Glückes erst dann, wenn das Unglück schon lauert, und man fasst die Ahnung in die Form des Rühmens, weil hier der Inhalt der Reminiscenz früher auftaucht als die dazu gehörige Empfindung, weil im Bewusstsein also ein erfreulicher Contrast vorhanden ist.
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          <p>18. <hi rendition="#g">Mai</hi>. Sie hat heute Nacht geschlafen, wie es seit Jahren nicht mehr vorgekommen, klagt aber seit dem Bad über Kälte im Genick, Zusammenziehen und Schmerzen im Gesicht, in den Händen und Füssen, ihre Züge sind gespannt, ihre Hände in Krampfstellungen. Die Hypnose weist keinerlei psychischen Inhalt dieses Zustandes von &#x201E;Genickkrampf&#x201C; nach, den ich dann durch Massage im Wachen bessere.<note place="foot" n="1">Ihre Verwunderung am Abend vorher, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, war also eine Ahnung des nahenden Zustandes, der sich damals schon vorbereitete und im Unbewussten bemerkt wurde. Diese merkwürdige Form der Ahnung war bei der vorhin erwähnten Frau Cäcilie M. etwas ganz Gewöhnliches. Jedesmal, wenn sie mir im besten Wohlbefinden etwa sagte: &#x201E;Jetzt habe ich mich schon lange nicht bei Nacht vor Hexen gefürchtet&#x201C; oder: &#x201E;Wie froh bin ich, dass mein Augenschmerz so lange ausgeblieben ist,&#x201C; konnte ich sicher sein, dass die nächste Nacht der Wärterin den Dienst durch die ärgste Hexenfurcht erschweren, oder dass der nächste Zustand mit dem gefürchteten Schmerz im Auge beginnen werde. Es war jedesmal ein Durchschimmern dessen, was im Unbewussten bereits fertig vorgebildet lag, und das ahnungslose &#x201E;officielle&#x201C; Bewusstsein (nach Charcots Bezeichnung) verarbeitete die als plötzlicher Einfall auftauchende Vorstellung zu einer Aeusserung der Befriedigung, die immer rasch und sicher genug Lügen gestraft wurde. Frau Cäcilie, eine hochintelligente Dame, der ich auch viel Förderung im Verständniss hysterischer Symptome verdanke, machte mich selbst darauf aufmerksam, dass solche Vorkommnisse Anlass zum bekannten Aberglauben des Beschreiens und Berufens gegeben haben mögen. Man soll sich keines Glückes rühmen, andererseits auch den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Eigentlich rühmt man sich des Glückes erst dann, wenn das Unglück schon lauert, und man fasst die Ahnung in die Form des Rühmens, weil hier der Inhalt der Reminiscenz früher auftaucht als die dazu gehörige Empfindung, weil im Bewusstsein also ein erfreulicher Contrast vorhanden ist.</note></p>
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[63/0069] Abends ist sie sehr heiter und zufrieden. Die Hypnose liefert gar kein Ergebnis. Ich beschäftige mich mit der Behandlung der Muskelschmerzen und mit der Herstellung den Sensibilität am rechten Bein, was in der Hypnose sehr leicht gelingt; die hergestellte Empfindlichkeit ist nach dem Erwachen aber zum Theil wieder verloren gegangen. Ehe ich sie verlasse, äussert sie ihre Verwunderung darüber, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, der sonst vor jedem Gewitter aufzutreten pflegte. 18. Mai. Sie hat heute Nacht geschlafen, wie es seit Jahren nicht mehr vorgekommen, klagt aber seit dem Bad über Kälte im Genick, Zusammenziehen und Schmerzen im Gesicht, in den Händen und Füssen, ihre Züge sind gespannt, ihre Hände in Krampfstellungen. Die Hypnose weist keinerlei psychischen Inhalt dieses Zustandes von „Genickkrampf“ nach, den ich dann durch Massage im Wachen bessere. 1 Ich hoffe, der vorstehende Auszug aus der Chronik der ersten drei Wochen wird hinreichen, ein anschauliches Bild von dem Zustand der Kranken, von der Art meiner therapeutischen Bemühung und von deren Erfolg zu geben. Ich gehe daran, die Krankengeschichte zu vervollständigen. 1 Ihre Verwunderung am Abend vorher, dass sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, war also eine Ahnung des nahenden Zustandes, der sich damals schon vorbereitete und im Unbewussten bemerkt wurde. Diese merkwürdige Form der Ahnung war bei der vorhin erwähnten Frau Cäcilie M. etwas ganz Gewöhnliches. Jedesmal, wenn sie mir im besten Wohlbefinden etwa sagte: „Jetzt habe ich mich schon lange nicht bei Nacht vor Hexen gefürchtet“ oder: „Wie froh bin ich, dass mein Augenschmerz so lange ausgeblieben ist,“ konnte ich sicher sein, dass die nächste Nacht der Wärterin den Dienst durch die ärgste Hexenfurcht erschweren, oder dass der nächste Zustand mit dem gefürchteten Schmerz im Auge beginnen werde. Es war jedesmal ein Durchschimmern dessen, was im Unbewussten bereits fertig vorgebildet lag, und das ahnungslose „officielle“ Bewusstsein (nach Charcots Bezeichnung) verarbeitete die als plötzlicher Einfall auftauchende Vorstellung zu einer Aeusserung der Befriedigung, die immer rasch und sicher genug Lügen gestraft wurde. Frau Cäcilie, eine hochintelligente Dame, der ich auch viel Förderung im Verständniss hysterischer Symptome verdanke, machte mich selbst darauf aufmerksam, dass solche Vorkommnisse Anlass zum bekannten Aberglauben des Beschreiens und Berufens gegeben haben mögen. Man soll sich keines Glückes rühmen, andererseits auch den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Eigentlich rühmt man sich des Glückes erst dann, wenn das Unglück schon lauert, und man fasst die Ahnung in die Form des Rühmens, weil hier der Inhalt der Reminiscenz früher auftaucht als die dazu gehörige Empfindung, weil im Bewusstsein also ein erfreulicher Contrast vorhanden ist.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/69>, abgerufen am 26.11.2024.