Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.paar Secunden in einer Absence. Sie lebte nur von Obst, Melonen und dgl., um den qualvollen Durst zu mildern. Als das etwa 6 Wochen gedauert hatte, raisonnirte sie einmal in der Hypnose über ihre englische Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da deren kleiner Hund, das ekelhafte Thier, aus einem Glas getrunken habe. Sie habe nichts gesagt, denn sie wolle höflich sein. Nachdem sie ihrem stecken gebliebenen Aerger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie zu trinken, trank ohne Hemmung eine grosse Menge Wasser und erwachte aus der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer verschwunden. Ebenso schwanden sonderbare hartnäckige Marotten, nachdem das Erlebniss erzählt, war, welches dazu den Anlass gegeben hatte. Ein grosser Schritt war aber geschehen, als auf dieselbe Weise als erstes der Dauersymptome die Contractur des rechten Beines geschwunden war, die allerdings schon vorher sehr abgenommen hatte. Aus diesen Erfahrungen, dass die hysterischen Phänomene bei dieser Kranken verschwanden, sobald in der Hypnose das Ereigniss reproducirt war, welches das Symptom veranlasst hatte, - daraus entwickelte sich eine therapeutische technische Procedur, die an logischer Consequenz und systematischer Durchführung nichts zu wünschen liess. Jedes einzelne Symptom dieses verwickelten Krankheitsbildes wurde für sich vorgenommen; die sämmtlichen Anlässe, bei denen es aufgetreten war, in umgekehrter Reihenfolge erzählt, beginnend mit den Tagen, bevor Patientin bettlägerig geworden, nach rückwärts bis zu der Veranlassung des erstmaligen Auftretens. War dieses erzählt, so war das Symptom damit für immer behoben. So wurden die Contracturparesen und Anästhesien, die verschiedensten Seh- und Hörstörungen, Neuralgien, Husten, Zittern und dgl. und schliesslich auch die Sprachstörungen "wegerzählt". Als Sehstörungen wurden z. B. einzeln erledigt: der Strabismus conv. mit Doppeltsehen; Ablenkung beider Augen nach rechts, so dass die zugreifende Hand immer links neben das Object greift; Gesichtsfeldeinschränkung; centrale Amblyopie; Makropsie; Sehen eines Todtenkopfs an Stelle des Vaters; Unfähigkeit zu lesen. Dieser Analyse entzogen blieben nur einzelne Phänomene, die sich während des Krankenlagers entwickelt hatten, wie die Ausbreitung der Contracturparese auf die linke Seite, und die wahrscheinlich auch wirklich keine directe psychische Veranlassung hatten. paar Secunden in einer Absence. Sie lebte nur von Obst, Melonen und dgl., um den qualvollen Durst zu mildern. Als das etwa 6 Wochen gedauert hatte, raisonnirte sie einmal in der Hypnose über ihre englische Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da deren kleiner Hund, das ekelhafte Thier, aus einem Glas getrunken habe. Sie habe nichts gesagt, denn sie wolle höflich sein. Nachdem sie ihrem stecken gebliebenen Aerger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie zu trinken, trank ohne Hemmung eine grosse Menge Wasser und erwachte aus der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer verschwunden. Ebenso schwanden sonderbare hartnäckige Marotten, nachdem das Erlebniss erzählt, war, welches dazu den Anlass gegeben hatte. Ein grosser Schritt war aber geschehen, als auf dieselbe Weise als erstes der Dauersymptome die Contractur des rechten Beines geschwunden war, die allerdings schon vorher sehr abgenommen hatte. Aus diesen Erfahrungen, dass die hysterischen Phänomene bei dieser Kranken verschwanden, sobald in der Hypnose das Ereigniss reproducirt war, welches das Symptom veranlasst hatte, – daraus entwickelte sich eine therapeutische technische Procedur, die an logischer Consequenz und systematischer Durchführung nichts zu wünschen liess. Jedes einzelne Symptom dieses verwickelten Krankheitsbildes wurde für sich vorgenommen; die sämmtlichen Anlässe, bei denen es aufgetreten war, in umgekehrter Reihenfolge erzählt, beginnend mit den Tagen, bevor Patientin bettlägerig geworden, nach rückwärts bis zu der Veranlassung des erstmaligen Auftretens. War dieses erzählt, so war das Symptom damit für immer behoben. So wurden die Contracturparesen und Anästhesien, die verschiedensten Seh- und Hörstörungen, Neuralgien, Husten, Zittern und dgl. und schliesslich auch die Sprachstörungen „wegerzählt“. Als Sehstörungen wurden z. B. einzeln erledigt: der Strabismus conv. mit Doppeltsehen; Ablenkung beider Augen nach rechts, so dass die zugreifende Hand immer links neben das Object greift; Gesichtsfeldeinschränkung; centrale Amblyopie; Makropsie; Sehen eines Todtenkopfs an Stelle des Vaters; Unfähigkeit zu lesen. Dieser Analyse entzogen blieben nur einzelne Phänomene, die sich während des Krankenlagers entwickelt hatten, wie die Ausbreitung der Contracturparese auf die linke Seite, und die wahrscheinlich auch wirklich keine directe psychische Veranlassung hatten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0033" n="27"/> paar Secunden in einer Absence. Sie lebte nur von Obst, Melonen und dgl., um den qualvollen Durst zu mildern. Als das etwa 6 Wochen gedauert hatte, raisonnirte sie einmal in der Hypnose über ihre englische Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da deren kleiner Hund, das ekelhafte Thier, aus einem Glas getrunken habe. Sie habe nichts gesagt, denn sie wolle höflich sein. Nachdem sie ihrem stecken gebliebenen Aerger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie zu trinken, trank ohne Hemmung eine grosse Menge Wasser und erwachte aus der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer verschwunden. Ebenso schwanden sonderbare hartnäckige Marotten, nachdem das Erlebniss erzählt, war, welches dazu den Anlass gegeben hatte. Ein grosser Schritt war aber geschehen, als auf dieselbe Weise als erstes der Dauersymptome die Contractur des rechten Beines geschwunden war, die allerdings schon vorher sehr abgenommen hatte. Aus diesen Erfahrungen, dass die hysterischen Phänomene bei dieser Kranken verschwanden, sobald in der Hypnose das Ereigniss reproducirt war, welches das Symptom veranlasst hatte, – daraus entwickelte sich eine therapeutische technische Procedur, die an logischer Consequenz und systematischer Durchführung nichts zu wünschen liess. Jedes einzelne Symptom dieses verwickelten Krankheitsbildes wurde für sich vorgenommen; die sämmtlichen Anlässe, bei denen es aufgetreten war, in umgekehrter Reihenfolge erzählt, beginnend mit den Tagen, bevor Patientin bettlägerig geworden, nach rückwärts bis zu der Veranlassung des erstmaligen Auftretens. War dieses erzählt, so war das Symptom damit für immer behoben.</p> <p>So wurden die Contracturparesen und Anästhesien, die verschiedensten Seh- und Hörstörungen, Neuralgien, Husten, Zittern und dgl. und schliesslich auch die Sprachstörungen „wegerzählt“. Als Sehstörungen wurden z. B. einzeln erledigt: der Strabismus conv. mit Doppeltsehen; Ablenkung beider Augen nach rechts, so dass die zugreifende Hand immer links neben das Object greift; Gesichtsfeldeinschränkung; centrale Amblyopie; Makropsie; Sehen eines Todtenkopfs an Stelle des Vaters; Unfähigkeit zu lesen. Dieser Analyse entzogen blieben nur einzelne Phänomene, die sich während des Krankenlagers entwickelt hatten, wie die Ausbreitung der Contracturparese auf die linke Seite, und die wahrscheinlich auch wirklich keine directe psychische Veranlassung hatten.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0033]
paar Secunden in einer Absence. Sie lebte nur von Obst, Melonen und dgl., um den qualvollen Durst zu mildern. Als das etwa 6 Wochen gedauert hatte, raisonnirte sie einmal in der Hypnose über ihre englische Gesellschafterin, die sie nicht liebte, und erzählte dann mit allen Zeichen des Abscheus, wie sie auf deren Zimmer gekommen sei, und da deren kleiner Hund, das ekelhafte Thier, aus einem Glas getrunken habe. Sie habe nichts gesagt, denn sie wolle höflich sein. Nachdem sie ihrem stecken gebliebenen Aerger noch energisch Ausdruck gegeben, verlangte sie zu trinken, trank ohne Hemmung eine grosse Menge Wasser und erwachte aus der Hypnose mit dem Glas an den Lippen. Die Störung war damit für immer verschwunden. Ebenso schwanden sonderbare hartnäckige Marotten, nachdem das Erlebniss erzählt, war, welches dazu den Anlass gegeben hatte. Ein grosser Schritt war aber geschehen, als auf dieselbe Weise als erstes der Dauersymptome die Contractur des rechten Beines geschwunden war, die allerdings schon vorher sehr abgenommen hatte. Aus diesen Erfahrungen, dass die hysterischen Phänomene bei dieser Kranken verschwanden, sobald in der Hypnose das Ereigniss reproducirt war, welches das Symptom veranlasst hatte, – daraus entwickelte sich eine therapeutische technische Procedur, die an logischer Consequenz und systematischer Durchführung nichts zu wünschen liess. Jedes einzelne Symptom dieses verwickelten Krankheitsbildes wurde für sich vorgenommen; die sämmtlichen Anlässe, bei denen es aufgetreten war, in umgekehrter Reihenfolge erzählt, beginnend mit den Tagen, bevor Patientin bettlägerig geworden, nach rückwärts bis zu der Veranlassung des erstmaligen Auftretens. War dieses erzählt, so war das Symptom damit für immer behoben.
So wurden die Contracturparesen und Anästhesien, die verschiedensten Seh- und Hörstörungen, Neuralgien, Husten, Zittern und dgl. und schliesslich auch die Sprachstörungen „wegerzählt“. Als Sehstörungen wurden z. B. einzeln erledigt: der Strabismus conv. mit Doppeltsehen; Ablenkung beider Augen nach rechts, so dass die zugreifende Hand immer links neben das Object greift; Gesichtsfeldeinschränkung; centrale Amblyopie; Makropsie; Sehen eines Todtenkopfs an Stelle des Vaters; Unfähigkeit zu lesen. Dieser Analyse entzogen blieben nur einzelne Phänomene, die sich während des Krankenlagers entwickelt hatten, wie die Ausbreitung der Contracturparese auf die linke Seite, und die wahrscheinlich auch wirklich keine directe psychische Veranlassung hatten.
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