Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

stärkste Hebel -, muss man versuchen, nachdem man die Motive seiner Abwehr errathen, diese Motive zu entwerthen, oder selbst sie durch stärkere zu ersetzen. Hier hört wohl die Möglichkeit auf, die psychotherapeutische Thätigkeit in Formeln zu fassen. Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Theilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständniss gleichsam Absolution ertheilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maass von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, diess gestatten. Für solche psychische Bethätigung ist als unerlässliche Voraussetzung erforderlich, dass man die Natur des Falles und die Motive der hier wirksamen Abwehr ungefähr errathen habe, und zum Glück trägt die Technik des Drängens und der Druckprocedur gerade so weit. Je mehr man dergleichen Räthsel bereits gelöst hat, desto leichter wird man vielleicht ein neues errathen, und desto früher wird man die eigentlich heilende psychische Arbeit in Angriff nehmen können. Denn es ist gut, sich diess völlig klar zu machen: Wenn auch der Kranke sich von dem hysterischen Symptom erst befreit, indem er die es verursachenden pathogenen Eindrücke reproducirt und unter Affectäusserung ausspricht, so liegt doch die therapeutische Aufgabe nur darin, ihn dazu zu bewegen, und wenn diese Aufgabe einmal gelöst ist, so bleibt für den Arzt nichts mehr zu corrigiren oder aufzuheben übrig. Alles, was es an Gegensuggestionen dafür braucht, ist bereits während der Bekämpfung des Widerstandes aufgewendet worden. Der Fall ist etwa mit dem Aufschliessen einer versperrten Thüre zu vergleichen, wonach das Niederdrücken der Klinke, um sie zu öffnen, keine Schwierigkeit mehr hat.

Neben den intellectuellen Motiven, die man zur Ueberwindung des Widerstandes heranzieht, wird man ein affectives Moment, die persönliche Geltung des Arztes, selten entbehren können, und in einer Anzahl von Fällen wird Letzteres allein im Stande sein, den Widerstand zu beheben. Das ist hier nicht anders als sonst in der Medizin, und man wird keiner therapeutischen Methode zumuthen dürfen, auf die Mitwirkung dieses persönlichen Momentes gänzlich zu verzichten.

stärkste Hebel –, muss man versuchen, nachdem man die Motive seiner Abwehr errathen, diese Motive zu entwerthen, oder selbst sie durch stärkere zu ersetzen. Hier hört wohl die Möglichkeit auf, die psychotherapeutische Thätigkeit in Formeln zu fassen. Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Theilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständniss gleichsam Absolution ertheilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maass von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, diess gestatten. Für solche psychische Bethätigung ist als unerlässliche Voraussetzung erforderlich, dass man die Natur des Falles und die Motive der hier wirksamen Abwehr ungefähr errathen habe, und zum Glück trägt die Technik des Drängens und der Druckprocedur gerade so weit. Je mehr man dergleichen Räthsel bereits gelöst hat, desto leichter wird man vielleicht ein neues errathen, und desto früher wird man die eigentlich heilende psychische Arbeit in Angriff nehmen können. Denn es ist gut, sich diess völlig klar zu machen: Wenn auch der Kranke sich von dem hysterischen Symptom erst befreit, indem er die es verursachenden pathogenen Eindrücke reproducirt und unter Affectäusserung ausspricht, so liegt doch die therapeutische Aufgabe nur darin, ihn dazu zu bewegen, und wenn diese Aufgabe einmal gelöst ist, so bleibt für den Arzt nichts mehr zu corrigiren oder aufzuheben übrig. Alles, was es an Gegensuggestionen dafür braucht, ist bereits während der Bekämpfung des Widerstandes aufgewendet worden. Der Fall ist etwa mit dem Aufschliessen einer versperrten Thüre zu vergleichen, wonach das Niederdrücken der Klinke, um sie zu öffnen, keine Schwierigkeit mehr hat.

Neben den intellectuellen Motiven, die man zur Ueberwindung des Widerstandes heranzieht, wird man ein affectives Moment, die persönliche Geltung des Arztes, selten entbehren können, und in einer Anzahl von Fällen wird Letzteres allein im Stande sein, den Widerstand zu beheben. Das ist hier nicht anders als sonst in der Medizin, und man wird keiner therapeutischen Methode zumuthen dürfen, auf die Mitwirkung dieses persönlichen Momentes gänzlich zu verzichten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0254" n="248"/>
stärkste Hebel &#x2013;, muss man versuchen, nachdem man die Motive seiner Abwehr errathen, diese Motive zu entwerthen, oder selbst sie durch stärkere zu ersetzen. Hier hört wohl die Möglichkeit auf, die psychotherapeutische Thätigkeit in Formeln zu fassen. Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Theilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständniss gleichsam Absolution ertheilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maass von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, diess gestatten. Für solche psychische Bethätigung ist als unerlässliche Voraussetzung erforderlich, dass man die Natur des Falles und die Motive der hier wirksamen Abwehr ungefähr errathen habe, und zum Glück trägt die Technik des Drängens und der Druckprocedur gerade so weit. Je mehr man dergleichen Räthsel bereits gelöst hat, desto leichter wird man vielleicht ein neues errathen, und desto früher wird man die eigentlich heilende psychische Arbeit in Angriff nehmen können. Denn es ist gut, sich diess völlig klar zu machen: Wenn auch der Kranke sich von dem hysterischen Symptom erst befreit, indem er die es verursachenden pathogenen Eindrücke reproducirt und unter Affectäusserung ausspricht, so liegt doch die therapeutische Aufgabe <hi rendition="#g">nur darin, ihn dazu zu bewegen</hi>, und wenn diese Aufgabe einmal gelöst ist, so bleibt für den Arzt nichts mehr zu corrigiren oder aufzuheben übrig. Alles, was es an Gegensuggestionen dafür braucht, ist bereits während der Bekämpfung des Widerstandes aufgewendet worden. Der Fall ist etwa mit dem Aufschliessen einer versperrten Thüre zu vergleichen, wonach das Niederdrücken der Klinke, um sie zu öffnen, keine Schwierigkeit mehr hat.</p>
          <p>Neben den intellectuellen Motiven, die man zur Ueberwindung des Widerstandes heranzieht, wird man ein affectives Moment, die persönliche Geltung des Arztes, selten entbehren können, und in einer Anzahl von Fällen wird Letzteres allein im Stande sein, den Widerstand zu beheben. Das ist hier nicht anders als sonst in der Medizin, und man wird keiner therapeutischen Methode zumuthen dürfen, auf die Mitwirkung dieses persönlichen Momentes gänzlich zu verzichten.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0254] stärkste Hebel –, muss man versuchen, nachdem man die Motive seiner Abwehr errathen, diese Motive zu entwerthen, oder selbst sie durch stärkere zu ersetzen. Hier hört wohl die Möglichkeit auf, die psychotherapeutische Thätigkeit in Formeln zu fassen. Man wirkt, so gut man kann, als Aufklärer, wo die Ignoranz eine Scheu erzeugt hat, als Lehrer, als Vertreter einer freieren oder überlegenen Weltauffassung, als Beichthörer, der durch die Fortdauer seiner Theilnahme und seiner Achtung nach abgelegtem Geständniss gleichsam Absolution ertheilt; man sucht dem Kranken menschlich etwas zu leisten, soweit der Umfang der eigenen Persönlichkeit und das Maass von Sympathie, das man für den betreffenden Fall aufbringen kann, diess gestatten. Für solche psychische Bethätigung ist als unerlässliche Voraussetzung erforderlich, dass man die Natur des Falles und die Motive der hier wirksamen Abwehr ungefähr errathen habe, und zum Glück trägt die Technik des Drängens und der Druckprocedur gerade so weit. Je mehr man dergleichen Räthsel bereits gelöst hat, desto leichter wird man vielleicht ein neues errathen, und desto früher wird man die eigentlich heilende psychische Arbeit in Angriff nehmen können. Denn es ist gut, sich diess völlig klar zu machen: Wenn auch der Kranke sich von dem hysterischen Symptom erst befreit, indem er die es verursachenden pathogenen Eindrücke reproducirt und unter Affectäusserung ausspricht, so liegt doch die therapeutische Aufgabe nur darin, ihn dazu zu bewegen, und wenn diese Aufgabe einmal gelöst ist, so bleibt für den Arzt nichts mehr zu corrigiren oder aufzuheben übrig. Alles, was es an Gegensuggestionen dafür braucht, ist bereits während der Bekämpfung des Widerstandes aufgewendet worden. Der Fall ist etwa mit dem Aufschliessen einer versperrten Thüre zu vergleichen, wonach das Niederdrücken der Klinke, um sie zu öffnen, keine Schwierigkeit mehr hat. Neben den intellectuellen Motiven, die man zur Ueberwindung des Widerstandes heranzieht, wird man ein affectives Moment, die persönliche Geltung des Arztes, selten entbehren können, und in einer Anzahl von Fällen wird Letzteres allein im Stande sein, den Widerstand zu beheben. Das ist hier nicht anders als sonst in der Medizin, und man wird keiner therapeutischen Methode zumuthen dürfen, auf die Mitwirkung dieses persönlichen Momentes gänzlich zu verzichten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/254
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/254>, abgerufen am 24.11.2024.