Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

auf's Herz, diese lieben Kinder zu verlassen. - Was ist's mit Ihrer Mutter? Lebt sie wohl so einsam und hat Sie zu sich beschieden? Oder war sie krank um diese Zeit und Sie erwarteten Nachricht von ihr? - Nein, sie ist kränklich, aber nicht gerade krank und hat eine Gesellschafterin bei sich. - Warum mussten Sie also die Kinder verlassen? - Es war im Hause nicht mehr auszuhalten. Die Haushälterin, die Köchin und die Französin scheinen geglaubt zu haben, dass ich mich in meiner Stellung überhebe, haben sich zu einer kleinen Intrigue gegen mich vereinigt, dem Grosspapa (der Kinder) alles Mögliche über mich hinterbracht, und ich fand an den beiden Herren nicht die Stütze, die ich erwartet hatte, als ich bei ihnen Klage führte. Darauf habe ich dem Herrn Director (dem Vater der Kinder) meine Demission angeboten, er antwortete sehr freundlich, ich sollte es mir doch zwei Wochen überlegen, ehe ich ihm meinen definitiven Entschluss mittheilte. In dieser Zeit der Schwebe war ich damals; ich glaubte, ich würde das Haus verlassen. Ich bin seither geblieben. - Und fesselte Sie etwas Besonderes an die Kinder ausser deren Zärtlichkeit gegen Sie? - Ja, ich hatte der Mutter, die eine entfernte Verwandte meiner Mutter war, auf ihrem Todtenbette versprochen, dass ich mich der Kleinen mit allen Kräften annehmen, dass ich sie nicht verlassen und ihnen die Mutter ersetzen werde. Dieses Versprechen hatte ich gebrochen, als ich gekündigt hatte.

So schien denn die Analyse der subjectiven Geruchsempfindung vollendet; dieselbe war in der That dereinst eine objective gewesen, und zwar innig associirt mit einem Erlebniss, einer kleinen Scene, in welcher widerstreitende Affecte einander entgegengetreten waren, das Bedauern, diese Kinder zu verlassen, und die Kränkungen, welche sie doch zu diesem Entschlüsse drängten. Der Brief der Mutter hatte sie begreiflicherweise an die Motive zu diesem Entschluss erinnert, da sie von hier zu ihrer Mutter zu gehen gedachte. Der Conflict der Affecte hatte den Moment zum Trauma erhoben, und als Symbol des Traumas war ihr die damit verbundene Geruchsempfindung geblieben. Es bedurfte noch der Erklärung dafür, dass sie von all den sinnlichen Wahrnehmungen jener Scene gerade den einen Geruch zum Symbol ausgewählt hatte. Ich war aber schon darauf vorbereitet, die chronische Erkrankung ihrer Nase für diese Erklärung zu verwerten. Auf mein directes Fragen gab sie auch an, sie hätte gerade zu dieser Zeit wieder an einem so heftigen Schnupfen gelitten, dass sie kaum etwas roch. Den Geruch der verbrannten Mehlspeise nahm sie aber in

auf’s Herz, diese lieben Kinder zu verlassen. – Was ist’s mit Ihrer Mutter? Lebt sie wohl so einsam und hat Sie zu sich beschieden? Oder war sie krank um diese Zeit und Sie erwarteten Nachricht von ihr? – Nein, sie ist kränklich, aber nicht gerade krank und hat eine Gesellschafterin bei sich. – Warum mussten Sie also die Kinder verlassen? – Es war im Hause nicht mehr auszuhalten. Die Haushälterin, die Köchin und die Französin scheinen geglaubt zu haben, dass ich mich in meiner Stellung überhebe, haben sich zu einer kleinen Intrigue gegen mich vereinigt, dem Grosspapa (der Kinder) alles Mögliche über mich hinterbracht, und ich fand an den beiden Herren nicht die Stütze, die ich erwartet hatte, als ich bei ihnen Klage führte. Darauf habe ich dem Herrn Director (dem Vater der Kinder) meine Demission angeboten, er antwortete sehr freundlich, ich sollte es mir doch zwei Wochen überlegen, ehe ich ihm meinen definitiven Entschluss mittheilte. In dieser Zeit der Schwebe war ich damals; ich glaubte, ich würde das Haus verlassen. Ich bin seither geblieben. – Und fesselte Sie etwas Besonderes an die Kinder ausser deren Zärtlichkeit gegen Sie? – Ja, ich hatte der Mutter, die eine entfernte Verwandte meiner Mutter war, auf ihrem Todtenbette versprochen, dass ich mich der Kleinen mit allen Kräften annehmen, dass ich sie nicht verlassen und ihnen die Mutter ersetzen werde. Dieses Versprechen hatte ich gebrochen, als ich gekündigt hatte.

So schien denn die Analyse der subjectiven Geruchsempfindung vollendet; dieselbe war in der That dereinst eine objective gewesen, und zwar innig associirt mit einem Erlebniss, einer kleinen Scene, in welcher widerstreitende Affecte einander entgegengetreten waren, das Bedauern, diese Kinder zu verlassen, und die Kränkungen, welche sie doch zu diesem Entschlüsse drängten. Der Brief der Mutter hatte sie begreiflicherweise an die Motive zu diesem Entschluss erinnert, da sie von hier zu ihrer Mutter zu gehen gedachte. Der Conflict der Affecte hatte den Moment zum Trauma erhoben, und als Symbol des Traumas war ihr die damit verbundene Geruchsempfindung geblieben. Es bedurfte noch der Erklärung dafür, dass sie von all den sinnlichen Wahrnehmungen jener Scene gerade den einen Geruch zum Symbol ausgewählt hatte. Ich war aber schon darauf vorbereitet, die chronische Erkrankung ihrer Nase für diese Erklärung zu verwerten. Auf mein directes Fragen gab sie auch an, sie hätte gerade zu dieser Zeit wieder an einem so heftigen Schnupfen gelitten, dass sie kaum etwas roch. Den Geruch der verbrannten Mehlspeise nahm sie aber in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="98"/>
auf&#x2019;s Herz, diese lieben Kinder zu verlassen. &#x2013; Was ist&#x2019;s mit Ihrer Mutter? Lebt sie wohl so einsam und hat Sie zu sich beschieden? Oder war sie krank um diese Zeit und Sie erwarteten Nachricht von ihr? &#x2013; Nein, sie ist kränklich, aber nicht gerade krank und hat eine Gesellschafterin bei sich. &#x2013; Warum mussten Sie also die Kinder verlassen? &#x2013; Es war im Hause nicht mehr auszuhalten. Die Haushälterin, die Köchin und die Französin scheinen geglaubt zu haben, dass ich mich in meiner Stellung überhebe, haben sich zu einer kleinen Intrigue gegen mich vereinigt, dem Grosspapa (der Kinder) alles Mögliche über mich hinterbracht, und ich fand an den beiden Herren nicht die Stütze, die ich erwartet hatte, als ich bei ihnen Klage führte. Darauf habe ich dem Herrn Director (dem Vater der Kinder) meine Demission angeboten, er antwortete sehr freundlich, ich sollte es mir doch zwei Wochen überlegen, ehe ich ihm meinen definitiven Entschluss mittheilte. In dieser Zeit der Schwebe war ich damals; ich glaubte, ich würde das Haus verlassen. Ich bin seither geblieben. &#x2013; Und fesselte Sie etwas Besonderes an die Kinder ausser deren Zärtlichkeit gegen Sie? &#x2013; Ja, ich hatte der Mutter, die eine entfernte Verwandte meiner Mutter war, auf ihrem Todtenbette versprochen, dass ich mich der Kleinen mit allen Kräften annehmen, dass ich sie nicht verlassen und ihnen die Mutter ersetzen werde. Dieses Versprechen hatte ich gebrochen, als ich gekündigt hatte.</p>
          <p>So schien denn die Analyse der subjectiven Geruchsempfindung vollendet; dieselbe war in der That dereinst eine objective gewesen, und zwar innig associirt mit einem Erlebniss, einer kleinen Scene, in welcher widerstreitende Affecte einander entgegengetreten waren, das Bedauern, diese Kinder zu verlassen, und die Kränkungen, welche sie doch zu diesem Entschlüsse drängten. Der Brief der Mutter hatte sie begreiflicherweise an die Motive zu diesem Entschluss erinnert, da sie von hier zu ihrer Mutter zu gehen gedachte. Der Conflict der Affecte hatte den Moment zum Trauma erhoben, und als Symbol des Traumas war ihr die damit verbundene Geruchsempfindung geblieben. Es bedurfte noch der Erklärung dafür, dass sie von all den sinnlichen Wahrnehmungen jener Scene gerade den einen Geruch zum Symbol ausgewählt hatte. Ich war aber schon darauf vorbereitet, die chronische Erkrankung ihrer Nase für diese Erklärung zu verwerten. Auf mein directes Fragen gab sie auch an, sie hätte gerade zu dieser Zeit wieder an einem so heftigen Schnupfen gelitten, dass sie kaum etwas roch. Den Geruch der verbrannten Mehlspeise nahm sie aber in
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0104] auf’s Herz, diese lieben Kinder zu verlassen. – Was ist’s mit Ihrer Mutter? Lebt sie wohl so einsam und hat Sie zu sich beschieden? Oder war sie krank um diese Zeit und Sie erwarteten Nachricht von ihr? – Nein, sie ist kränklich, aber nicht gerade krank und hat eine Gesellschafterin bei sich. – Warum mussten Sie also die Kinder verlassen? – Es war im Hause nicht mehr auszuhalten. Die Haushälterin, die Köchin und die Französin scheinen geglaubt zu haben, dass ich mich in meiner Stellung überhebe, haben sich zu einer kleinen Intrigue gegen mich vereinigt, dem Grosspapa (der Kinder) alles Mögliche über mich hinterbracht, und ich fand an den beiden Herren nicht die Stütze, die ich erwartet hatte, als ich bei ihnen Klage führte. Darauf habe ich dem Herrn Director (dem Vater der Kinder) meine Demission angeboten, er antwortete sehr freundlich, ich sollte es mir doch zwei Wochen überlegen, ehe ich ihm meinen definitiven Entschluss mittheilte. In dieser Zeit der Schwebe war ich damals; ich glaubte, ich würde das Haus verlassen. Ich bin seither geblieben. – Und fesselte Sie etwas Besonderes an die Kinder ausser deren Zärtlichkeit gegen Sie? – Ja, ich hatte der Mutter, die eine entfernte Verwandte meiner Mutter war, auf ihrem Todtenbette versprochen, dass ich mich der Kleinen mit allen Kräften annehmen, dass ich sie nicht verlassen und ihnen die Mutter ersetzen werde. Dieses Versprechen hatte ich gebrochen, als ich gekündigt hatte. So schien denn die Analyse der subjectiven Geruchsempfindung vollendet; dieselbe war in der That dereinst eine objective gewesen, und zwar innig associirt mit einem Erlebniss, einer kleinen Scene, in welcher widerstreitende Affecte einander entgegengetreten waren, das Bedauern, diese Kinder zu verlassen, und die Kränkungen, welche sie doch zu diesem Entschlüsse drängten. Der Brief der Mutter hatte sie begreiflicherweise an die Motive zu diesem Entschluss erinnert, da sie von hier zu ihrer Mutter zu gehen gedachte. Der Conflict der Affecte hatte den Moment zum Trauma erhoben, und als Symbol des Traumas war ihr die damit verbundene Geruchsempfindung geblieben. Es bedurfte noch der Erklärung dafür, dass sie von all den sinnlichen Wahrnehmungen jener Scene gerade den einen Geruch zum Symbol ausgewählt hatte. Ich war aber schon darauf vorbereitet, die chronische Erkrankung ihrer Nase für diese Erklärung zu verwerten. Auf mein directes Fragen gab sie auch an, sie hätte gerade zu dieser Zeit wieder an einem so heftigen Schnupfen gelitten, dass sie kaum etwas roch. Den Geruch der verbrannten Mehlspeise nahm sie aber in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/104
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/104>, abgerufen am 23.11.2024.