Theil dieses Satzes ist, eine Redeweise, die freilich anfechtbar ist, weil bei der Bedeutung durch das Ganze und einen Theil der andere nicht bestimmt ist, und weil man bei Körpern das Wort Theil schon in anderm Sinne gebraucht. Es müßte ein eigner Ausdruck hierfür geschaffen werden.
Es soll nun die Vermuthung, daß der Wahrheitswerth eines Satzes dessen Bedeutung ist, weiter geprüft werden. Wir haben gefunden, daß der Wahrheitswerth eines Satzes unberührt bleibt, wenn wir darin einen Ausdruck durch einen gleichbedeutenden ersetzen: wir haben aber dabei den Fall noch nicht betrachtet, daß der zu ersetzende Ausdruck selber ein Satz ist. Wenn nun unsere Ansicht richtig ist, so muß der Wahrheitswerth eines Satzes, der einen andern als Theil enthält, unverändert bleiben, wenn wir für den Theilsatz einen andern einsetzen, dessen Wahrheitswerth derselbe ist. Ausnahmen sind dann zu erwarten, wenn das Ganze oder der Theilsatz gerade oder ungerade Rede sind; denn, wie wir gesehn haben, ist die Bedeutung der Worte dann nicht die gewöhn¬ liche. Ein Satz bedeutet in der geraden Rede wieder einen Satz und in der ungeraden einen Gedanken.
Wir werden so auf die Betrachtung der Nebensätze hingelenkt. Diese treten ja als Theile eines Satzgefüges auf, das vom logischen Gesichtspunkte aus gleichfalls als Satz, und zwar als Hauptsatz, erscheint. Aber es tritt uns hier die Frage entgegen, ob denn von den Nebensätzen gleichfalls gilt, daß ihre Bedeutung ein Wahrheits¬ werth sei. Von der ungeraden Rede wissen wir ja schon das Gegentheil. Die Grammatiker sehen die Nebensätze als Vertreter von Satztheilen an und theilen sie danach ein in Nennsätze, Bei¬ sätze, Adverbsätze. Daraus könnte man die Vermuthung schöpfen, daß die Bedeutung eines Nebensatzes nicht ein Wahrheitswerth, sondern gleichartig sei der eines Nennworts oder Beiworts oder Adverbs, kurz eines Satztheils, der als Sinn keinen Gedanken, sondern nur einen Theil eines solchen hat. Nur eine eingehendere Untersuchung kann darüber Klarheit verschaffen. Wir werden uns dabei nicht streng an den grammatischen Leitfaden halten, sondern das zusammenfassen, was logisch gleichartig ist. Suchen wir zu¬ nächst solche Fälle auf, in denen der Sinn des Nebensatzes, wie wir eben vermutheten, kein selbständiger Gedanke ist.
G. Frege:
Theil dieſes Satzes iſt, eine Redeweiſe, die freilich anfechtbar iſt, weil bei der Bedeutung durch das Ganze und einen Theil der andere nicht beſtimmt iſt, und weil man bei Körpern das Wort Theil ſchon in anderm Sinne gebraucht. Es müßte ein eigner Ausdruck hierfür geſchaffen werden.
Es ſoll nun die Vermuthung, daß der Wahrheitswerth eines Satzes deſſen Bedeutung iſt, weiter geprüft werden. Wir haben gefunden, daß der Wahrheitswerth eines Satzes unberührt bleibt, wenn wir darin einen Ausdruck durch einen gleichbedeutenden erſetzen: wir haben aber dabei den Fall noch nicht betrachtet, daß der zu erſetzende Ausdruck ſelber ein Satz iſt. Wenn nun unſere Anſicht richtig iſt, ſo muß der Wahrheitswerth eines Satzes, der einen andern als Theil enthält, unverändert bleiben, wenn wir für den Theilſatz einen andern einſetzen, deſſen Wahrheitswerth derſelbe iſt. Ausnahmen ſind dann zu erwarten, wenn das Ganze oder der Theilſatz gerade oder ungerade Rede ſind; denn, wie wir geſehn haben, iſt die Bedeutung der Worte dann nicht die gewöhn¬ liche. Ein Satz bedeutet in der geraden Rede wieder einen Satz und in der ungeraden einen Gedanken.
Wir werden ſo auf die Betrachtung der Nebenſätze hingelenkt. Dieſe treten ja als Theile eines Satzgefüges auf, das vom logiſchen Geſichtspunkte aus gleichfalls als Satz, und zwar als Hauptſatz, erſcheint. Aber es tritt uns hier die Frage entgegen, ob denn von den Nebenſätzen gleichfalls gilt, daß ihre Bedeutung ein Wahrheits¬ werth ſei. Von der ungeraden Rede wiſſen wir ja ſchon das Gegentheil. Die Grammatiker ſehen die Nebenſätze als Vertreter von Satztheilen an und theilen ſie danach ein in Nennſätze, Bei¬ ſätze, Adverbſätze. Daraus könnte man die Vermuthung ſchöpfen, daß die Bedeutung eines Nebenſatzes nicht ein Wahrheitswerth, ſondern gleichartig ſei der eines Nennworts oder Beiworts oder Adverbs, kurz eines Satztheils, der als Sinn keinen Gedanken, ſondern nur einen Theil eines ſolchen hat. Nur eine eingehendere Unterſuchung kann darüber Klarheit verſchaffen. Wir werden uns dabei nicht ſtreng an den grammatiſchen Leitfaden halten, ſondern das zuſammenfaſſen, was logiſch gleichartig iſt. Suchen wir zu¬ nächſt ſolche Fälle auf, in denen der Sinn des Nebenſatzes, wie wir eben vermutheten, kein ſelbſtändiger Gedanke iſt.
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G. Frege:
Theil dieſes Satzes iſt, eine Redeweiſe, die freilich anfechtbar iſt,
weil bei der Bedeutung durch das Ganze und einen Theil der
andere nicht beſtimmt iſt, und weil man bei Körpern das Wort
Theil ſchon in anderm Sinne gebraucht. Es müßte ein eigner
Ausdruck hierfür geſchaffen werden.
Es ſoll nun die Vermuthung, daß der Wahrheitswerth eines
Satzes deſſen Bedeutung iſt, weiter geprüft werden. Wir haben
gefunden, daß der Wahrheitswerth eines Satzes unberührt bleibt,
wenn wir darin einen Ausdruck durch einen gleichbedeutenden
erſetzen: wir haben aber dabei den Fall noch nicht betrachtet, daß
der zu erſetzende Ausdruck ſelber ein Satz iſt. Wenn nun unſere
Anſicht richtig iſt, ſo muß der Wahrheitswerth eines Satzes, der
einen andern als Theil enthält, unverändert bleiben, wenn wir
für den Theilſatz einen andern einſetzen, deſſen Wahrheitswerth
derſelbe iſt. Ausnahmen ſind dann zu erwarten, wenn das Ganze
oder der Theilſatz gerade oder ungerade Rede ſind; denn, wie wir
geſehn haben, iſt die Bedeutung der Worte dann nicht die gewöhn¬
liche. Ein Satz bedeutet in der geraden Rede wieder einen Satz
und in der ungeraden einen Gedanken.
Wir werden ſo auf die Betrachtung der Nebenſätze hingelenkt.
Dieſe treten ja als Theile eines Satzgefüges auf, das vom logiſchen
Geſichtspunkte aus gleichfalls als Satz, und zwar als Hauptſatz,
erſcheint. Aber es tritt uns hier die Frage entgegen, ob denn von
den Nebenſätzen gleichfalls gilt, daß ihre Bedeutung ein Wahrheits¬
werth ſei. Von der ungeraden Rede wiſſen wir ja ſchon das
Gegentheil. Die Grammatiker ſehen die Nebenſätze als Vertreter
von Satztheilen an und theilen ſie danach ein in Nennſätze, Bei¬
ſätze, Adverbſätze. Daraus könnte man die Vermuthung ſchöpfen,
daß die Bedeutung eines Nebenſatzes nicht ein Wahrheitswerth,
ſondern gleichartig ſei der eines Nennworts oder Beiworts oder
Adverbs, kurz eines Satztheils, der als Sinn keinen Gedanken,
ſondern nur einen Theil eines ſolchen hat. Nur eine eingehendere
Unterſuchung kann darüber Klarheit verſchaffen. Wir werden uns
dabei nicht ſtreng an den grammatiſchen Leitfaden halten, ſondern
das zuſammenfaſſen, was logiſch gleichartig iſt. Suchen wir zu¬
nächſt ſolche Fälle auf, in denen der Sinn des Nebenſatzes, wie
wir eben vermutheten, kein ſelbſtändiger Gedanke iſt.
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Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, N. F., Bd. 100/1 (1892), S. 25-50, hier S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frege_sinn_1892/32>, abgerufen am 28.02.2025.
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